Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Technologie“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 15 (1889), Seite 555556
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Technologie. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 15, Seite 555–556. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Technologie (Version vom 13.12.2021)

[555] Technologie (griech., Gewerbskunde), die Lehre von den Mitteln und Verfahrungsarten zur Umwandlung der rohen Naturprodukte in Gebrauchsgegenstände. Da diese Umwandlung nur durch eine Änderung des innern Wesens, d. h. der Substanz, nach den Gesetzen der Chemie oder durch eine Änderung der äußern Form oder Gestalt nach den Gesetzen der Mechanik erfolgen kann, so teilt man das Gebiet der T., das die ganze Industrie umfaßt, ein in chemische und mechanische T. Die chemische T. beschäftigt sich mit der Darstellung chemischer Materialien (Alkalien, Säuren, Salze, Farben, Teerfarben, Ultramarin etc.), der Brenn- und Leuchtstoffe (Kohle, Stearin, Leuchtgas etc.), der Nahrungs-, Genuß- und Arzneimittel (Brot, Bier, Branntwein, Zucker, Chinin etc.), mit der Färberei, Druckerei, Gerberei, Thonwarenfabrikation etc. Die mechanische T. zieht in ihren Bereich die Bearbeitung der Metalle, des Holzes und ähnlicher Materialien auf Grund ihrer Arbeitseigenschaften (Gießfähigkeit, Dehnbarkeit, Schmiedbarkeit, Teilbarkeit), die Verarbeitung der Faserstoffe (Spinnerei, Seilerei, Weberei, Papierfabrikation), die Verarbeitung der verschiedenen Produkte (Stickerei, Wirkerei, Flechterei etc.) etc. Eine Menge Gewerbe gehören selbstverständlich zum Teil der chemischen, zum Teil der mechanischen T. an, da sie ihrer Natur nach sowohl chemische als mechanische Prozesse verlangen (Glas, Thonwaren, Kautschuk etc.).

Als man anfing, den Gewerben eine wissenschaftliche Grundlage zu geben, lag es nahe, dies in der Weise zu thun, daß man den Stoff nach den einzelnen Gewerben ordnete und diese besonders behandelte (Bierbrauerei, Branntweinbrennerei, Färberei, Gießerei, Schlosserei, Uhrmacherei, Tischlerei, Drechslerei, Böttcherei, Baumwoll-, Flachs-, Wollspinnerei etc.). Auf solche Weise entstand die sogen. spezielle T. als eine Lehrmethode, welche auch jetzt noch Anwendung findet, wenn es sich um die Darstellung solcher Gewerbe handelt, die wenig oder gar keine gemeinsamen Anknüpfungspunkte besitzen. Da dies namentlich in den chemischen Gewerben der Fall ist, weil in der praktischen Handhabung der chemischen Gesetze solche Verschiedenheiten obwalten, daß nur einzelne Gegenstände, z. B. Feuerungsanlagen, vielen zugleich angehören, so ist hier die Methode der speziellen T. die Regel. In der Weiterentwickelung der T. gewann man jedoch noch eine andre Grundlage für die Behandlung dadurch, daß man Gruppen [556] bildete, indem man alle jene Beschäftigungen, welche in ihren Prozessen, Mitteln, Manipulationen etc. viele Ähnlichkeit und Gleichheit besitzen, zusammenfaßte und ohne Rücksicht auf ihre Einzelheiten ordnete und untersuchte. Weil dadurch die Behandlung eine allgemeinere wird, so heißt diese Art der Darstellung allgemeine T. Diese Methode reiht alle Mittel zu gleichem Zweck (Gußformen, Bohrer, Drehbänke u. dgl.) aneinander, macht sie dadurch übersichtlich und stellt sie zum Vergleich nebeneinander, weshalb sie auch vergleichende T. genannt wird. Einer auf die Weise gewonnenen Gruppeneinteilung ist namentlich das Gebiet der mechanischen T. fähig, indem z. B. alle Metallarbeiten, alle Holzarbeiten, die Spinnerei aller Faserstoffe, die Weberei aller Fäden sich in einzelne Gruppen zusammenfassen lassen. Da diese Methode außerdem nicht nur die anregendste und die fruchtbarste ist, sondern es auch allein ermöglicht, das ausgedehnte Gebiet der mechanischen Industrie zu beherrschen, so hat sie allgemein als Lehrmethode in der mechanischen T. Eingang gefunden. Innerhalb der Gruppen gewinnt man in den Arbeitseigenschaften der Materialien eine weitere Grundlage für die Anordnung und somit einzelne Kapitel für die Bearbeitung auf Grund der Schmelzbarkeit (Gießerei), Dehnbarkeit (Schmieden, Walzen, Drahtziehen), Teilbarkeit (Scheren, Meißel, Hobel, Bohrer, Sägen, Fräsen etc.). Die Gewerbskunde wurde zuerst als Bestandteil der kameralistischen Studien, etwa seit 1772 an der Universität gelehrt. Beckmann (s. d. 2) wurde durch seine Schriften, in denen er die einzelnen Industriezweige nach der innern Verwandtschaft ihrer Hauptverrichtungen behandelte, der Begründer der T., welcher er auch den Namen gab. Nach ihm waren Hermbstädt in Berlin und Poppe in Tübingen bedeutend, die neuere Richtung aber erhielt die T. durch Prechtl und Altmütter in Wien und namentlich durch Karmarsch in Hannover, welcher der Begründer der allgemeinen, vergleichenden T. wurde. Die chemische T. wurde in neuester Zeit besonders durch Knapp in Braunschweig, Heeren in Hannover, Wagner in Würzburg, die mechanische durch Hartig in Dresden, Hoyer in München, Exner in Wien gefördert. Die Litteratur der T. ist außerordentlich reichhaltig. Als Hauptwerke gelten: Prechtl, Technologische Encyklopädie oder alphabetisches Handbuch der T., der technischen Chemie und des Maschinenwesens (Stuttg. 1829–55, 20 Bde.; Supplemente, hrsg. von Karmarsch 1857 bis 1869, 5 Bde.); Karmarsch und Heeren, Technisches Wörterbuch (3. Aufl. von Kick und Gintl, Prag 1874 ff.); Karmarsch, Handbuch der mechanischen T. (6. Aufl. von Fischer, Leipz. 1888 ff.); Kronauer, Atlas für mechanische T., auf Grundlage von Karmarsch’ „Handbuch“, mit Erklärungen (Hann. 1862); Hoyer, Lehrbuch der vergleichenden mechanischen T. (2. Aufl., Wiesb. 1888); Muspratt-Stohmann, Encyklopädisches Handbuch der technischen Chemie (4. Aufl., Braunschw. 1886 ff.); Knapp, Lehrbuch der chemischen T. (3. Aufl., das. 1865–75, 2 Bde.); Bolley-Birnbaums Sammelwerk: „Handbuch der chemischen T.“ (das. 1862 ff., 8 Bde., in vielen Teilen); R. Wagner, Handbuch der chemischen T. (12. Aufl., Leipz. 1886); Payen, Handbuch der technischen Chemie (deutsch von Stohmann und Engler, Stuttg. 1870–74, 2 Bde.); Wagners „Jahresbericht über die Leistungen der chemischen T.“ (Leipz., seit 1855, jetzt hrsg. von Fischer); Poppe, Geschichte der T. (Götting. 1807–11, 3 Bde.); Karmarsch, Geschichte der T. seit der Mitte des 18. Jahrhunderts (Münch. 1871); Blümner, T. und Terminologie der Gewerbe und Künste bei Griechen und Römern (Leipz. 1875–1884, 3 Bde.); Noiré, Das Werkzeug und seine Bedeutung für die Entwickelungsgeschichte der Menschheit (Mainz 1880); Lazarus Geiger, Zur Entwickelungsgeschichte der Menschheit (2. Aufl., Stuttg. 1878).