Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Synthĕsis“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 15 (1889), Seite 464
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Synthĕsis. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 15, Seite 464. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Synth%C4%95sis (Version vom 17.03.2023)

[464] Synthĕsis (griech., Synthese), Zusammenstellung, Verknüpfung (im Gegensatz zur Analysis, d. h. Zerlegung, Trennung), insbesondere die Verbindung von Vorstellungen und Begriffen untereinander, wie sie in der Auffassung der sinnlichen Erscheinungen stattfindet, insofern hierbei die Mannigfaltigkeit der wahrgenommenen Merkmale in eins zusammenfließt. Hiernach versteht man unter einer synthetischen Erklärung eine solche, bei welcher sich der Begriff aus dem zusammenfassenden Denken ergibt, indem seine Merkmale vorher bekannt sind und auch die Art ihrer Verknüpfung nicht zweifelhaft ist. Ein synthetisches Urteil ist ein solches, dessen Prädikat nicht mit dem Subjektsbegriff schon gegeben ist, wie z. B. in dem Urteil: alle Körper nehmen einen Raum ein, sondern als eine neue Bestimmung zu jenem hinzutritt, wie in dem Urteil: jeder Veränderung liegt eine Ursache zu Grunde. Ist dabei das Urteil von der Erfahrung abhängig, so wird es (mit Kant) S. a posteriori, im entgegengesetzten Fall S. a priori genannt. Analog ist die Unterscheidung der synthetisch (progressiv) und analytisch (regressiv) gebildeten Schlußreihen, insofern man entweder von gewissen Prämissen aus fortschreitend Folgerungen zieht, oder rückwärts zu den letzten Gründen zu gelangen sucht. Ebenso versteht man unter synthetischer Methode diejenige, bei welcher, von den Prinzipien ausgehend, die Folgerungen entwickelt, unter analytischer Methode dagegen diejenige, bei welcher die Prinzipien aus den Thatsachen abgeleitet werden. – S. heißt auch die Darstellung chemischer Verbindungen aus den Elementen oder aus einfachern Verbindungen durch Einführung von Atomen oder Atomgruppen. Die S. besitzt als Untersuchungsmethode neben der Analyse (s. d.) eine große Bedeutung für die Chemie und feierte den ersten Triumph 1828, als Wöhler den Harnstoff aus den Elementen darstellte. Diese große Entdeckung blieb aber ganz vereinzelt, bis Berthelot auf die Wichtigkeit der S. für die organische Chemie hinwies. Seitdem wurden durch S. unter anderm erhalten: Essigsäure, Ameisensäure, Alkohol, Benzol, Kreatin, Guanidin, Krotonsäure, Senföl, Cholin, Vanillin, Pikolin, Indigo, Muskarin, Coniin etc., auch wurden Methoden ausgearbeitet zur S. ganzer Körpergruppen, wie der Alkohole, Phenole, Aldehyde, Säuren, Basen etc. Von besonderm Interesse ist die S. solcher Verbindungen, welche im Organismus durch den Lebensprozeß gebildet werden, weil die künstliche Darstellung dieser Substanzen lehrt, daß in den lebenden Organismen dieselben Gesetze walten wie in der sogen. toten Natur. Auch für die Praxis haben die Erfolge der S. hohe Bedeutung und dürften solche in Zukunft noch mehr gewinnen. Alizarin, Vanillin, Indigo und Senföl werden künstlich dargestellt und spielen bereits neben dem Krapp, der Vanille, den aus der Indigopflanze und den Senfsamen gewonnenen Produkten eine Rolle in der Industrie. Man hat auch schon synthetisch gewonnenen Alkohol auf den Industrieausstellungen gezeigt, und da man von der Ameisensäure und Essigsäure leicht zur Stearin- und Palmitinsäure gelangen kann, da anderseits auch Glycerin durch S. darzustellen ist und die genannten Säuren mit dem Glycerin sich leicht zu Fetten vereinigen lassen, so ist die Möglichkeit der Gewinnung von Fett ohne Pflanzen und Tiere gegeben. Die moderne Chemie wendet die S. hauptsächlich an, um über die Konstitution der Verbindungen Aufschluß zu erhalten.