Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Sprachfehler“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 15 (1889), Seite 182
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Sprachfehler. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 15, Seite 182. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Sprachfehler (Version vom 05.10.2021)

[182] Sprachfehler (besser Sprachstörungen) werden bedingt durch Bildungsfehler oder Erkrankungen 1) der lautbildenden Organe (Kehlkopf, Schlund, Mund), 2) des diesen Artikulationsorganen zugehörenden Nervenapparats. Über S. der ersten Gruppe s. die betreffenden Artikel. Die S. der zweiten Gruppe, die eigentlichen S., äußern sich als solche der Artikulation, d. h. der mechanischen Silben- und Wortbildung, und solche der Diktion, d. h. der Fähigkeit, einen Gedanken in richtiger Wahl und Anordnung der Wörter zum Ausdruck zu bringen. Bei den Fehlern der Artikulation handelt es sich um Beeinträchtigung derjenigen Muskelbewegungen, welche nötig sind, um einen bestimmten Laut hervorzubringen; diese Muskeln werden in Thätigkeit versetzt von dem zwölften Gehirnnerv (nervus hypoglossus), und da die Ursprungsstellen oder Kerne dieses Nervs im verlängerten Mark (bulbus), am Boden des vierten Gehirnventrikels, gelegen sind, so sind es besonders häufig Blutungen oder andre Veränderungen dieses Gehirnteils, welche zu schweren Bewegungsstörungen der Lippen-, Zungen- und Schlundmuskulatur (Bulbärparalyse, s. d.) führen. Die S. der Diktion sind stets bedingt durch Erkrankungen des Großhirns (z. B. Gehirnerweichung), und zwar sind es besonders zwei Stellen der Großhirnrinde, deren Zerstörung die als Aphasie benannten S. herbeiführt. Die eine dieser Stellen (von Broca entdeckt) findet sich bei Rechtshändern im Fuß der dritten linken Stirnwindung, die andre (nach Wernicke) in der ersten Schläfenwindung. Ist die erstere erkrankt, so findet sich motorische oder ataktische Aphasie, d. h. der Kranke ist nicht im stande, die Bewegungen seiner Sprachwerkzeuge so zu beeinflussen, daß ein ihm in seinem Bewußtsein vorschwebender Laut ertönt. Bei Schädigung der zweiten Stelle tritt sensorische Aphasie (Worttaubheit Kußmauls) ein, wobei der Kranke trotz vorhandener Intelligenz und bei intaktem Gehör den Sinn gesprochener Worte nicht auffassen kann. Als amnestische Aphasie bezeichnet man das Unvermögen des Kranken, für einen ihm bekannten Gegenstand die richtige Bezeichnung zu finden; als Paraphasie das Verwechseln ganzer Wörter oder Silben, ein krankhaftes Sichversprechen. – Den Störungen der Sprache entsprechen solche des Schreibens, der Aphasie die Agraphie; doch findet sich z. B. bei sensorischer Aphasie nicht etwa auch sensorische Agraphie, d. h. das Unvermögen, Geschriebenes zu verstehen, woraus hervorgeht, daß die Zentren des Hörens und Lesens an verschiedenen Stellen der Gehirnrinde ihren Sitz haben. Da die meisten S. durch solche Gehirnveränderungen bedingt werden, welche einen dauernden Verlust von Rindensubstanz mit sich bringen, so sollte man annehmen, daß diese S. unheilbar sein müßten; doch lehrt die Erfahrung, daß teilweise oder völlige Heilung eintreten kann, wobei namentlich methodischer Unterricht von Erfolg ist. Vgl. Kußmaul, Störungen der Sprache (2. Aufl., Leipz. 1881).