Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Seilerwaren“ in Meyers Konversations-Lexikon
Seite mit dem Stichwort „Seilerwaren“ in Meyers Konversations-Lexikon
Band 14 (1889), Seite 834835
Mehr zum Thema bei
Wikisource-Logo
Wikisource: [[{{{Wikisource}}}]]
Wikipedia-Logo
Wikipedia: Seil
Wiktionary-Logo
Wiktionary:
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Indexseite
Empfohlene Zitierweise
Seilerwaren. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 14, Seite 834–835. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Seilerwaren (Version vom 09.12.2023)

[834] Seilerwaren, aus Hanf, Flachs oder anderm Material hergestellte Seile, Taue, Bindfäden und ähnliche Produkte. Hanf eignet sich durch die Länge und Festigkeit seiner Fasern ganz besonders zu S., Flachs wird nur zu dünnen Bindfäden benutzt. Andre Rohstoffe sind: Lindenbast zu Brunnenseilen, Packstricken und Trockenschnuren für Papierfabriken; ostindischer Hanf oder Sunnhanf, welcher wegen seiner kürzern Faser dem europäischen nachsteht; neuseeländischer Flachs, dessen Produkte die aus europäischem Hanf gefertigten noch übertreffen sollen; Manila- und Jutehanf, welche bedeutend leichter als europäischer Hanf sind und zu Glockenschnüren, Matten und Tauwerk aller Art verarbeitet werden; Aloehanf, dessen Seile sich wie diejenigen aus Manilahanf durch schnelles Trocknen auszeichnen, weshalb sie nicht geteert zu werden brauchen. Die genannten Fasern werden zuerst gehechelt und zwar auf groben Hecheln, welche aus 6–7 Reihen eiserner Zähne von 7–30 cm Länge und 1–1,3 cm Dicke bestehen, die in einem starken Eichenholzklotz befestigt sind, der auf einer Werkbank festliegt, während der Arbeiter eine Handvoll fächerartig ausgebreitet vorsichtig durch die Zähne zieht und den Hanf zugleich nach der Länge sortiert. Aus den Fasern wird zuerst Garn gesponnen, und durch wiederholtes Zusammendrehen von Garnen werden Seile und Taue gebildet, Arbeiten, die sämtlich auf der Reeper- oder Seilerbahn, einem langen, freien, geschützten Platz, stattfinden. Als Werkzeug dient das Seilerrad, welches aus einem hölzernen Gestell besteht, in dem etwa 1,5 m über dem Fußboden 4–8 horizontale Spindeln parallel gelagert sind, die von einem 1,5 m großen Rad vermittelst Schnüre in Drehung versetzt werden und an den freien Enden Haken zur Befestigung des Spinnmaterials tragen. Der Spinner bindet sich den Hanf um den Leib, zieht ein entsprechendes Büschelchen Fasern heraus, hängt dieses mit einer Öse (Müsche) in einen der Haken des Rades und schreitet nun rückwärts fort, wobei sich neue Fasern herausziehen, die mit den alten zusammengedreht werden. In der rechten Hand hält er den Spinnlappen, durch welchen er den gesponnenen Faden glättet. Die so erhaltenen, zu dünnen Seilen bestimmten Fäden werden sofort weiter verarbeitet; diejenigen zu stärkern Seilen haspelt man indessen auf, um sie dann vereinigt auf ein Gestell zu bringen, von welchem aus sie zu den aus einer beliebigen, oft großen Anzahl Fäden bestehenden Litzen verarbeitet werden. Diese Arbeit, das „Abbrühen“, beruht darauf, daß die Fäden, wenn sie parallel nebeneinander gelegt und an beiden Enden untereinander vereinigt werden (Scheren, aufschweifen), das Bestreben haben, sich aufzudrehen. [835] Dies können sie indessen nur, indem sie sich umeinander winden. Bringt man daher jedes Ende des Fadenbündels an einen Haken und dreht auf der einen Seite in dem entgegengesetzten Sinn, in welchem die Fäden gedreht sind, so folgt man nur dem von selbst vorhandenen Bestreben und erhält eine Litze, welche, sich selbst überlassen, nicht wieder aufgeht. Wünscht man eine drallere, härtere Beschaffenheit der Litze, so wendet man das „Schnüren“ an, wobei die Fäden nur an dem einen Ende vereinigt, an dem andern aber noch an besondern drehbaren Häkchen befestigt sind, von denen sie, während die Litze bereits gebildet wird, noch im Sinn der ursprünglichen Drehung des Fadens nachgedreht werden. Bei stärkern, aus aufgehaspelten Fäden hergestellten Litzen werden die Haspeln (Spulen) in rotierende Gabeln gelegt, die sämtlichen von ihnen ausgehenden Fäden durch eine Öse gezogen und an dem in derselben Richtung rotierenden Haken eines kleinen Wagens, des Seilwagens, befestigt. In demselben Maß, wie dieser zurückbewegt wird, bildet sich von der Öse ab die Litze mit der entgegengesetzten Windung wie die einzelnen Fäden. Drei oder vier solcher Litzen werden dann zu einem Seil vereinigt nach genau denselben Prinzipien. In größern Betrieben erzeugt man das Garn und die Litzen auf Maschinen, welche als grobe Watermaschinen (s. Spinnen) anzusehen sind. Zum Zusammendrehen von Tauen (Tauschlagen) wird mit Vorteil die Seilmaschine benutzt, welche Litzen, auf Spulen gewickelt, übernimmt, zusammendreht und sofort aufwickelt. Fig. 1–3 zeigen in einer etwas ältern Ausführung das Wesen der Seilmaschine. Die drei Litzen befinden sich auf den Spulen H, werden von den sich drehenden Walzen I abgezogen und über die Rollen K einem mit drei Kerben versehenen Körper M (Lehre) zugeführt, damit sie gleichmäßig zusammenlaufen und zwar in dem Rohr O. Über diesem liegt der Rahmen GG, der, von der Welle P mittels Kegelräder um eine vertikale Achse rotierend, die Litzen zusammendreht, welche sich dann als Tau auf die große Spule D aufwickeln, die von der durch die Schnurrolle E gedrehten Welle F mitgenommen wird. Die Rahmen mit den Spulen HH drehen sich um vertikale, in den Lagern N gehaltene Achsen Q durch die Zahnräder BB und C von der Welle P aus, um den Draht zu ersetzen, der durch das entgegengesetzte Zusammendrehen in O verloren geht. Das Abziehen der Litzen durch die Walzen I erfolgt durch eine Schraube ohne Ende J. Die Rollen K sitzen in Gabeln eines Ringes LJ, der auf die Säule A geschoben ist, welcher die Lehre M trägt. Durch einen besondern Mechanismus wird die Spule D auf F hin- und hergeschoben, um das Tau regelmäßig aufzuwickeln. Die im Handel vorkommenden Waren sind entweder direkt aus Fäden: Bindfaden, Sackband, Schnuren, Korden, Stricke, oder aus Litzen gedreht: Stränge, Schnuren, Leinen, Seile oder Taue, glatte, flache oder Bandseile. Bindfaden wird in der Regel durch Zusammendrehen zweier Fäden gebildet, die man beim Schnüren sehr wenig nachdreht, so daß die Bindfäden geschmeidig bleiben. Das Sackband ist immer dreischäftig und hat stärkern Draht, dient zum Binden von Säcken, Verpacken u. dgl. Noch stärker gedreht sind die Schnuren, z. B. zum Anhängen der Bleilote oder Senkbleie. Die Korden bestehen aus zwei oder drei Fäden, welche von allen S. den stärksten Draht haben. Die Stricke nehmen von dem einen zum andern Ende an Dicke ab und bestehen aus Flachs oder Hanf und Werg; sie gehören zu den geringsten S. Die Stränge werden als Zugstränge für Fuhrwerke benutzt; sie sind aus besserm Material gefertigt als die Stricke und werden aus vier Litzen von je 3–4 Fäden zusammengedreht. Zügel sind nach Art der Stränge verfertigt, aber weniger sorgfältig. Aus Litzen gefertigte Schnuren kommen häufig zur Anwendung.

Fig. 2. Fig. 3.  Fig. 1. 
Fig. 1–3. Seilmaschine.

Das Material ist Kernhanf; oft werden dieselben gebleicht. Die Leinen bilden den Übergang zu den Seilen (Fangleinen, Packleinen, Wäschleinen). Die stärkern Leinen sind aus vier, die dünnern aus drei Litzen gedreht. Zwischen Seilen und Tauen ist eine scharfe Grenze nicht zu ziehen. Bei Seilen zum allgemeinen Gebrauch, außer zum Seewesen, ist der Umfang selten größer als 18–20 cm; sie sind gewöhnlich vierschäftig und haben in der Mitte ein dünneres Seil, die Seele, welche jedoch bei Seilen unter 8 cm Umfang weggelassen wird. Bandseile entstehen durch Vereinigung nebeneinander liegender und abwechselnd entgegengesetzt gedrehter Rundseile, welche durch eine quer hindurchgestochene Hanfschnur oder einen Metalldraht zusammengenäht werden. Vgl. Denhöfer, Illustriertes Seilerbuch (2. Ausg., Leipz. 1869); Rohrbach, Das Seilergewerbe (Weim. 1885).