Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Schmarotzer“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 14 (1889), Seite 548550
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Schmarotzer. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 14, Seite 548–550. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Schmarotzer (Version vom 13.04.2024)

[548] Schmarotzer (Parasiten), Organismen, welche sich auf Kosten eines andern Organismus ernähren, indem sie sich freiwillig an oder in dessen Organen zeitweilig oder für immer aufhalten. Nach dieser Definition ist im allgemeinen der S. bedeutend kleiner als sein Wirt, doch läßt sich schon mit Rücksicht hierauf keine scharfe Grenze zwischen Freilebenden und Parasiten ziehen, zumal viele Tiere wie auch Pflanzen nur in der Jugend oder nur im Alter dem Schmarotzertum huldigen, die übrige Zeit ihres Lebens jedoch sich selbständig ernähren, andre auch wohl in regelmäßiger Weise den Wirt mit einem andern vertauschen, bei noch andern nur das eine Geschlecht schmarotzt etc. Man unterscheidet meist folgende Abstufungen des Parasitismus: echte Parasiten, welche sich ganz von andern Tieren ernähren, Kommensalen (Tischgenossen, Mitesser), welche von der Nahrung andrer mit genießen, und Mutualisten, welche gegenseitig aufeinander angewiesen sind. – Im Tierreich äußert sich der Kommensalismus und Mutualismus in sehr verschiedener Weise, am wenigsten jedenfalls noch, wenn der sogen. S. den Wirt lediglich als Wohnung zu benutzen scheint, wie z. B. der Schlangenaal (Fierasfer), der sich im Leib einer Seegurke aufhält, aber von Krebsen lebt und auch meist den Kopf aus der hintern Öffnung seiner lebenden Behausung herausstreckt. Andre Fische finden sich konstant in oder am Körper von Seerosen und Quallen und mögen wohl nur ihren Schutz genießen. Sehr viele Kommensalisten finden sich unter Krebsen und Würmern, von denen ein großer Teil zum Leben der beständigen Hilfe andrer Tiere bedarf. Der Einsiedlerkrebs lebt in verlassenen Schneckengehäusen, welche neben ihm gewöhnlich noch ein Ringelwurm bewohnt, während eine Seerose außerhalb auf dem Gehäuse sitzt und in naher Beziehung zu dem Krebse steht, der sie vielleicht sogar füttert, jedenfalls aber, wenn er ein andres Schneckengehäuse aufsucht, mit auf dieses überträgt. Die Seerose ihrerseits verhindert bei der Gefährlichkeit ihrer Nesselorgane die Annäherung vieler dem Krebs nachstellender Tiere, so daß hier die gegenseitige Abhängigkeit deutlich hervortritt. Manche Insekten, die auf Säugetieren und Vögeln wohnen und sich von deren normal abgefallenen Hautschuppen nähren, lassen sich gleichfalls, insofern ihre Anwesenheit dem Wirt von Nutzen ist, zu den Mutualisten rechnen; dasselbe gilt von gewissen Milben, die auf echte Schmarotzermilben Jagd machen und so die Haut der Säugetiere und Vögel von diesen lästigen Parasiten befreien (sogen. Hilfsparasiten). Echte Parasiten sind besonders zahlreich unter den Würmern vertreten und wohl bei den meisten höhern und vielen niedern Tieren zu finden. So beherbergt allein der Mensch häufig verschiedene Bandwürmer im Darm, Distomen in der Leber, im Darm und Blut, Nematoden in den Verdauungswegen oder im Blut, einige junge Bandwürmer im Augapfel, in den Gehirnventrikeln, dem Herzen und Bindegewebe; ferner aber leben von seinem Blut Läuse, Flöhe und Wanzen, zuweilen Zecken. Diese echten S. nähren sich von den Bestandteilen des lebenden Körpers und erzeugen häufig genug Krankheiten, selbst den Tod. Meist sind sie an bestimmte Teile des Wirtskörpers oder wenigstens an bestimmte Wirte gebunden. Auch auf oder in Schmarotzern hausen manchmal andre S. Viele S. erreichen nicht in einem und demselben Wirt oder wenigstens nicht in demselben Organ ihre volle Entwickelung; sie sind dann zu Wanderungen gezwungen oder gelangen passiv in einen andern Wirt, indem dieser z. B. das Tier frißt, welches den S. im Jugendzustand enthält, der sich nun in den Verdauungswegen des neuen Wirtes zur Geschlechtsreife entwickelt. Man unterscheidet übrigens nach dem Aufenthalt in oder auf dem Wirtstier Ento-, resp. Ektoparasiten (Binnen-, resp. Außenschmarotzer). Zu den in jedem Alter freien Schmarotzern gehören die Blutegel, Mücken, Fliegen, Flöhe, Läuse, Wanzen, Milben etc.; sie siedeln sich niemals auf dem andern Tier an, nähren sich zwar von dessen Blut, nehmen ihm aber nie das Leben (Halbparasiten). Andre S. sind nur in der Jugend frei, siedeln sich bei erlangter Reife in einem andern Tier an und erleiden dann oft eine sehr beträchtliche Wandlung der Gestalt. Auch schmarotzt wohl das Männchen in oder auf dem (mitunter selbst schon parasitischen) [549] Weibchen, z. B. bei dem Wurm Bonellia sowie bei niedern Schmarotzerkrebsen. Bei manchen Tieren leben nur die Jugendstadien parasitisch, die Erwachsenen dagegen frei, z. B. die Schlupfwespen, welche ihre Eier in Insektenlarven legen, die Bremsen u. a. m. Einen in den meisten Fällen bedeutenden Einfluß übt das Schmarotzertum auf den S. selbst, einen meist sehr viel geringern auf den Wirt aus. Letzterer wird manchmal mißgestaltet, blutarm etc., ersterer aber büßt in dem Maß, wie er sich an die neue, bequemere Lebensweise auf Kosten eines andern gewöhnt, seine eignen Organe ein. Daher sind viele Parasiten mehr oder weniger augenlos, haben verkümmerte Gliedmaßen, ein rückgebildetes Nerven- und Blutgefäßsystem, ja manche bestehen nur noch aus einem sackförmigen Körper, welcher außer den Geschlechtswerkzeugen kaum noch etwas andres enthält. Zu solchen der sogen. regressiven Metamorphose verfallenen Tieren gehören z. B. unter den niedern Krebsen die Wurzelfüßer (s. Rankenfüßer), die man früher längere Zeit geradezu für Geschwülste ihrer Wirte gehalten hat, bis man die aus ihnen hervorkommende Brut für echte junge Krebschen, die munter umherschwimmen und fressen, erkannte.

Auch im Pflanzenreich spielt der Parasitismus eine große Rolle. Orchideen, Aroideen, Lianen, der Epheu und die an Baumstämmen wachsenden Moose und Flechten sind zwar nicht als S. zu bezeichnen, weil sie auch auf lebloser Unterlage gedeihen und ihre Nahrung nicht aus der lebenden Pflanze, auf welcher sie wuchern, sondern höchstens aus abgestorbenen Rindenteilen derselben und aus den durch Staub und Regen zugeführten Stoffen beziehen (Pseudoparasiten); aber es gibt zahlreiche echte S. unter höhern und niedern Pflanzen. Bei den Phanerogamen stellt sich stets eine feste organische Verbindung her zwischen gewissen Organen des Schmarotzers und des Wirtes, und es ist, wie bei den Loranthaceen (Mistel etc.), der S. gänzlich dem Boden entzogen, oder er keimt im Boden, geht auf den Wirt über und läßt dann die Verbindung mit dem Erdboden eingehen (Cuscuta), oder er steht scheinbar selbständig im Boden, ist aber thatsächlich den Wurzeln seines Wirtes aufgepflanzt (Balanophoreen, Rhizantheen, Orobancheen, Santalaceen, mehrere Skrofularineen). Von diesen Schmarotzern besitzen nun manche Chlorophyll, assimilieren also selbständig Kohlensäure und Wasser und entnehmen dem Wirt nur mineralische Stoffe; andre (Kuskuteen, Orobancheen, Balanophoreen, Rhizantheen) sind chlorophylllos und werden von ihren Wirten vollständig ernährt. In demselben Grad, wie der Chlorophyllapparat der Schmarotzerpflanzen in seiner Ausbildung abnimmt, tritt auch in andern Organteilen derselben (in Wurzeln, Sproßachsen sowie in Teilen der Blüte und des Samens) eine mit jener in direktem Zusammenhang stehende, oft sehr auffallende Verkümmerung ein, welche mit der Formreduktion tierischer Parasiten nahe verwandt erscheint. Weit größer als unter den höhern Pflanzen ist die Zahl der S. bei den Thallophyten, besonders den Pilzen. Diese bewohnen die verschiedensten Pflanzen und Tiere, müssen als chlorophylllose Pflanzen von den Wirten vollständig ernährt werden und bringen an denselben meist bestimmte Krankheiten hervor, welche sehr häufig die befallenen Organe zerstören oder den Wirt töten. Unter den vollkommnern Pilzen mit Mycelium und gesondertem Fruchtträger siedelt sich ersteres entweder nur auf der Oberfläche der Pflanzenteile an, überzieht nur die Epidermis und entwickelt daher auch die Fruchtträger an der Luft (epiphyte S., wie Erysiphe), oder das Mycelium lebt innerhalb der Pflanze (endophyte S.), indem der Keimschlauch der auf der Epidermis keimenden Spore durch die Außenwand einer Epidermiszelle oder durch eine Spaltöffnung in das Innere der Pflanze eindringt. Hier kriechen die Myceliumfäden entweder nur zwischen die Zellen der Nährpflanze, wobei sie bisweilen kurze blinde Aussackungen (Haustorien) in den Innenraum der Zelle treiben, oder sie durchwuchern das Gewebe des Wirtes ohne Rücksicht auf den Bau desselben nach allen Richtungen und zerstören es vollständig. Die Fruchtbildung der endophyten S. geschieht bisweilen auch innerhalb der befallenen Pflanzenteile; häufiger aber entwickelt der Parasit seine Fruktifikation an der Oberfläche der befallenen Pflanze oder unterhalb der Epidermis, durch welche sie bei allmählicher Erstarkung von selbst hervorbricht. Durch eine Art Reiz, welchen der S. hervorzubringen scheint, findet zugleich eine Überernährung (Hypertrophie) des befallenen Organs statt, welche sich durch allerlei abnorme Formveränderungen dokumentiert. Der endophyte S. bleibt in seiner Ausbreitung oft auf einen kleinen Teil der Pflanze beschränkt, oft durchwuchert er aber auch die ganze Pflanze; er stirbt mit einjährigen Gewächsen ab, hält sich dagegen in perennierenden Organen oft sehr lange (Knollen, Zwiebeln etc.) und kann auch mit diesen fortgepflanzt werden; niemals aber siedelt er sein Mycelium in den Samen und Embryonen der von ihm befallenen Pflanze an und wird daher auch nicht durch diese fortgepflanzt. Manche Pilze, besonders Pyrenomyceten und Diskomyceten, entwickeln nur ihr Mycelium und eine erste Generation von Fortpflanzungsorganen auf der lebenden, ihre vollkommenste Fruchtform aber erst auf der von ihnen getöteten Pflanze; sie sind also in der Jugend S., im Alter Saprophyten. Viele Schmarotzerpilze entwickeln sich mit Generationswechsel, und je nachdem sich beide Generationen auf einem und demselben oder auf verschiedenen Wirten entwickeln, unterscheidet man autözische und heterözische Pilze. Die Rostpilze bieten für beide Fälle zahlreiche Beispiele. Zu den endophyten Schmarotzern gehören sämtliche Brandpilze, die Uredineen, welche die Rostkrankheiten erzeugen, die Peronosporeen (Kartoffelpilz etc.), Exoascus, viele Pyrenomyceten (Mutterkorn etc.), Diskomyceten (Rhytisma, Hysterium, Peziza). Die einfachsten endophyten Schmarotzerpilze sind die einzelligen Chytridiaceen, welche in den Zellen von Phanerogamen, Algen, Infusorien leben und sich durch Schwärmsporen auf andre Pflanzen verbreiten. Ähnliches gilt von mehreren Saprolegnieen. Pilze aus verschiedenen Abteilungen schmarotzen auf Tieren, besonders auf Insekten; Empusa tötet viele Fliegen, Mücken, Raupen, ebenso Cordyceps, welch letzterer Gattung auch Botrytis Bassiana angehört, die Ursache der Muskardine der Seidenraupe. Die an höhern Tieren schmarotzenden echten Pilze sind zum Teil nur unvollständig bekannt. Sie bewohnen teils die Schleimhäute der Zunge und des Mundes, wie der Pilz (Saccharomyces albicans) der als Soor, Aphthen oder Schwämmchen bekannten Pustelbildung bei Kindern, teils die Haut des Kopfes und andrer Körperstellen, teils das Haar und erzeugen verschiedene Krankheiten (Favus, Mentagra, Herpes tonsurans, Pityriasis versicolor). Sämtliche genannte Hautkrankheiten scheinen durch einen und denselben Pilz veranlaßt zu werden. Auch Schizomyceten schmarotzen am tierischen Körper und finden sich oft in großer Zahl in den krankhaft veränderten Säften oder Sekreten. Von diesen sind die in faulenden Flüssigkeiten [550] stets vorkommenden Schizomyceten schwer zu unterscheiden. Für eine Reihe von Krankheitsformen, wie Milzbrand, Tuberkulose, Cholera, ist die Abhängigkeit derselben von bestimmten Spaltpilzen sicher nachgewiesen (s. Bakterien). Zwischen den Pilzarten, die an einen bestimmten Organismus gebunden sind (obligate S.), und den rein saprophytischen Pilzen gibt es zahlreiche Übergänge in Pilzformen, welche nur unter besondern Umständen parasitär auftreten (fakultative S.). Besonders die auf Warmblütern vorkommenden Pilzschmarotzer scheinen der letztern Kategorie anzugehören. Der Parasitismus tritt im Pflanzenreich auch in Formen auf, bei denen die beteiligten Wesen sich nicht wohl als Wirt und S. in dem Sinn wie in den bisher erwähnten Fällen unterscheiden lassen (Wohnparasiten). So leben Algen in gewissen Teilen höherer Pflanzen eingeschlossen, besonders eine Art von Nostoc ausnahmslos in den Blättern gewisser Moose, gleichsam als gehörte sie zu diesen, an denen sie auch keinen schädlichen Einfluß hervorbringt; ähnlich findet sich ein Scytonema in den innern Geweben des Stammes von Gunnera scabra, eine Protokokkacee, Chlorochytrium Lemnae, im Laub der Lemna trisulca etc. Noch merkwürdigere Fälle bieten die Flechten, wo sich zwischen Pilzen (der eigentlichen Flechte) und Algen (Gonidien) eine Art parasitisches Verhältnis gebildet hat, welches ohne Analogon in der ganzen übrigen Schöpfung ist, indem hier beide Teile auf wechselseitige Ernährung angewiesen sind, in ihrer Vereinigung sich fortpflanzen (Soredien) und nur noch wie Organe eines einfachen Individuums erscheinen. Vgl. v. Beneden, Die S. des Tierreichs (Leipz. 1876); Perty, Über den Parasitismus in der organischen Natur (2. Aufl., Berl. 1874); Leuckart, Die menschlichen Parasiten (2. Aufl., Leipz. 1879, 2 Bde.); Derselbe, Allgemeine Naturgeschichte der Parasiten (das. 1879); Robin, Histoire naturelle des végétaux parasites qui croissent sur l’homme et sur les animaux vivants (Par. 1858); Nitzsch-Giebel, Insecta epizoa (Leipz. 1874); Küchenmeister und Zürn, Die Parasiten des Menschen (2. Aufl., das. 1878–81); Kühn, Krankheiten der Kulturgewächse (2. Aufl., Berl. 1859); Heller, Die S. (Münch. 1880); R. Hartig, Lehrbuch der Baumkrankheiten (Berl. 1882); De Bary, Vorlesungen über Bakterien (2. Aufl., Leipz. 1887); Derselbe, Die Erscheinung der Symbiose (Straßb. 1879); Sorauer, Pflanzenkrankheiten (2. Aufl., Berl. 1887); Derselbe, Die Schäden der einheimischen Kulturpflanzen durch tierische und pflanzliche S. (das. 1888).