MKL1888:Schiiten
[466] Schiiten (Mehrzahl von „Schiä“), mohammedan. Sekte, welche im Gegensatz zu den Sunniten Ali, den Sohn Abu Talebs, den Schwiegersohn des Propheten, als den rechtmäßigen Nachfolger Mohammeds anerkennen und die ersten drei Kalifen: Abu Bekr, Osman und Omar, als Usurpatoren betrachten und verdammen. Bald nach dem Tod Mohammeds entstanden, trat die Sekte erst dann öffentlich auf, als die Verfolgung der Aliden durch die ersten Omejjaden einen Teil der Moslemin zum Rachekampf herausforderte. In Persien, wohin die Aliden sich zuerst flüchteten, und wo das verletzte Nationalgefühl den Arabismus besonders haßte, fand der Schiismus die größte Ausbreitung und wurde durch den Schah Ismael al Safi (s. Persien, S. 873) zur Staatsreligion erhoben. Aus dem Successionsstreit hat sich mit der Zeit auch eine Differenz der Dogmen ergeben: [467] man gab der Sunna und der Tradition verschiedene Auslegungen, ja selbst einzelne Stellen des Korans wurden strittig, und so geschah es, daß die S. selbst in der Auffassung mancher Grundideen des Islam von den Sunniten abweichen. Im allgemeinen läßt sich sagen, daß der Schiite sich strenger an das Wort hält als der Sunnite und, im Gegensatz zu der landläufigen Meinung in Europa, der orthodoxere von beiden ist. Von Persien aus hat der Schiitismus gegen W. so gut wie keine und nach SO. nur geringe Verbreitung gefunden, nämlich in Indien und in der Gegend zwischen Herat und Kabul auf der Hochebene von Pamir. Der Nationalität nach sind die S. größtenteils Arier, d. h. Perser und Inder; zu den Türken können nur die von Aserbeidschân und Transkaukasien gerechnet werden, und arabische S. gibt es nur in Bagdad und seiner Umgebung. Da die S. das Kalifat nicht anerkennen, so hat auch die geistige Oberherrschaft des Sultans von Konstantinopel für sie keine Geltung, und der Schah von Persien wird nur als Beschützer des Glaubens, nicht aber als Stellvertreter des Propheten angesehen.