MKL1888:Schaugebilde (Schauapparate) der Pflanzen
[722] ✽ Schaugebilde (Schauapparate) der Pflanzen. Sofern eine große Anzahl von Pflanzen für ihre Befruchtung sowohl als für die Verbreitung ihrer Samen auf die Mitwirkung von Tieren, namentlich von Insekten, Vögeln und Säugern, angewiesen ist, haben sich bei ihnen Einrichtungen entwickelt, die lediglich darauf abzielen, die Aufmerksamkeit der erwünschten Gäste schon aus einiger Entfernung zu erregen und die Auffindung der Blüten oder Früchte im dunkeln Laub zu erleichtern. Natürlich spielt dabei die Farbe eine Hauptrolle und bei einer großen Klasse der hier zu besprechenden Erscheinungen namentlich die rote Farbe, weil sie am besten von dem grünen Laub absticht. Wir haben dabei drei Hauptfälle zu unterscheiden, nämlich florale S., extraflorale S. und Fruchtschaugebilde.
Die floralen S. stellen im allgemeinen das dar, was die deutsche Sprache in feiner Unterscheidung von dem bloßen Blütenbegriff als Blume bezeichnet, denn nur die größern und auffälligern Blüten nennen wir so. Die Blume ist ein S. an sich, aber es sind dabei sehr verschiedene Fälle zu unterscheiden, je nachdem der äußerste Blattwirtel der Blüte, d. h. der Kelch, oder die eigentliche Blumenkrone oder die Staubfäden oder gar Fruchtknoten mit Narbe das Hauptschaugebilde darstellen. Fälle, in denen der Kelch, also der äußerste Blattwirtel, als solcher wirkt, finden wir bei vielen unsrer bekanntesten Feld- und Gartenblumen, bei Caltha-, Ranunculus-, Anemone-, Helleborus-, Aquilegia- und Delphinium-Arten, bei denen die Blumenblätter nur unscheinbare Gebilde darstellen, der Kelch aber schön gefärbt entwickelt ist. Bei vielen Pflanzen, namentlich aus der [723] Abteilung der Monokotyledonen, wirken Kelch- und Blumenkrone in gleichartiger Ausbildung zusammen als S., namentlich in prachtvoller Entwickelung bei Lilien, Kaiserkronen, Narzissen, Krokus, Amaryllis etc. Dasselbe kommt aber auch bei vielen Dikotyledonen vor, z. B. bei den Fuchsien, manchen Gesneriaceen (namentlich Alloplectus cristatus mit feuerrotem Kelch und dottergelber Krone) und manchen Nubiaceen (der Gattungen Mussaenda, Pogonopus, Pinckneya, Warszewitzia), bei denen sich ein einzelner Kelchzipfel zu einem laubblattgroßen, prachtvoll gefärbten S. entwickelt, während die andern ganz klein bleiben. Warszewitzia coccinea wird durch diesen großen, scharlachroten Kelchzipfel zu einem der auffälligsten Gewächse Westindiens. Bei vielen Myrtaceen, Mimoseen und Kapparideen trockner Gegenden, namentlich bei den Gattungen Eucalyptus, Melaleuca und Acacia, überlassen die unscheinbaren oder abfälligen Blumenblätter das Anlockungsgeschäft ganz den buschigen und lebhaft gefärbten Staubfäden. Manchmal wächst auch ein Teil der Staubblätter blumenblattartig aus, wie bei manchen Kommelinaceen, noch auffälliger bei den häufig in Gärten gezogenen Canna-Arten, vor allem aber in den weiblichen Blüten der Pandaneen und Cyklantheen, wo bei der Gattung Carludovica die Staminodien zu langen, farbigen Fäden auswachsen. Der letzte hierher gehörige Fall, in welchem die Narben und andre Teile des Fruchtknotens blumenblattartig auswachsen, wird besonders schön durch die Schwertlilienarten unsrer Gärten vorgeführt. Einen besondern Fall stellt die Zusammendrängung vieler kleinerer Insektenblüten zu strauß-, dolden-, kopf- und traubenförmigen Blütenständen, die in ihrer Verbindung natürlich weiter sichtbar sind, als wenn sie einzeln und halbversteckt in den Blattachseln stünden, dar, und dabei widmen sich häufig die Randblüten der Dolden, indem sie strahlen- oder zungenförmig auswachsen, dafür aber unfruchtbar werden, ausschließlich dem Anlockungsgeschäft, wie bei vielen Umbelliferen, Kaprifoliaceen, Saxifrageen u. a. Auf den Gipfel getrieben erscheint dieses Prinzip bei den Dipsaceen und Kompositen, wo durch Zusammendrängung kleinerer Blüten eine scheinbar einfache Blume höherer Ordnung entsteht, indem die Randblüten (Strahl- oder Zungenblüten) scheinbar zu Blumenblättern auswachsen, die oft auch in der Farbe zu den meist gelben Scheibenblüten wirksame Gegensätze bilden, wie bei Maßliebe, Astern, Zinnien, Georginen etc. Zuweilen treten die zusammengesetzten Blumen kleinerer Art nochmals (wie einfache Blumen) zu Dolden und Sträußen zusammen, ja manchmal, wie beim Edelweiß, vereinigen sie sich zu einer scheinbar einfachen Blume dritter Ordnung, wobei aber zugleich extraflorale S. beteiligt sind. Ein Seitenstück hierzu bildet das Blühen vor dem Erscheinen oder nach dem Abfall der Blätter, wodurch ein ganzer Baum zu einem riesigen, weithin leuchtenden Blumenstrauß wird, wie unsre Obstbäume aus den Familien der Pomaceen und Amygdaleen, namentlich aber viele tropische Leguminosen und vor allen die Korallenbäume (Erythrina-Arten), deren von Insekten, Kolibris und Papageien umschwärmte Wipfel in scharlachroter Blütenpracht strahlen. Bei manchen tropischen Bäumen teilen sich die Astsysteme nach den Himmelsrichtungen in die Blütenzusammendrängung, indem z. B. bei Mangifera indica und Eriodendron anfractuosum erst die eine Wipfelseite die Blätter verliert und Blüten treibt und dann die andre. Hierher gehören zum Teil auch die Stammblütler, die, wie der Judasbäum (Cercis Siliquastrum), ihre Blüten an sehr auffälliger Stelle aus dem Stamm und altem Holz hervortreiben, wobei nicht immer, wie beim Kakao-, Kalabassen- und Kanonenkugelbaum (Couroupita guianensis), die Schwere der Früchte die alleinige Ursache für das Erscheinen der Blüten am Stamm und an den dickern Ästen bildet. Bei dem letzterwähnten westindischen Baum sieht man in der dicht belaubten Krone niemals Blüten oder Früchte, diese erscheinen vielmehr ausschließlich an Adventivzweigen, die am Stamm hervorbrechen und denselben lianenartig umstricken. Ähnlich verhält sich Anona rhizantha in Brasilien.
Da wir uns aber bei den Blumen des Zweckes der Anlockung kaum noch bewußt werden, so nehmen die extrafloralen S., d. h. die außerhalb der Blüte, aber in deren Nähe befindlichen, lebhaft gefärbten Hochblätter, Brakteen oder Hüllblätter, ein allgemeineres Interesse in Anspruch. Hierher gehören in unsrer Flora die schön purpurrot, violett oder blau gefärbten Hüllblätter der Melampyrum-Arten, die an der Spitze des Stengels einen lebhaft gefärbten Schopf bilden, der oft mit der Blütenfarbe angenehm kontrastiert. Ähnliche Beispiele liefern verschiedene Salbei-Arten, namentlich die in den Gärten häufig gezogene Scharlachsalbei (Salvia sclarea). Bei den Aroideen, von denen die Calla-Arten allgemein bekannt sind, haben die großen, kahn- oder dütenförmigen Hüllblätter oft geradezu die Gestalt einer schneeweißen, gelben oder siegellackrot (bei Anthurium Scherzerianum) gefärbten Flagge, die zum Sammeln der Besucher auffordert; bei manchen Arum-Arten ist jedoch Hülle und Kolbengipfel trübrot, wie faules Fleisch gefärbt, um Aasfliegen anzulocken. Ähnliche lebhaft gefärbte Hüllblätter haben in den Tropen Pandanen, Bananen, Helikonien und namentlich Bromeliaceen, bei denen sich außerdem oft am Gipfel des Blütenstandes ein brennendroter oder auch mehrfarbiger Blätterschopf wie eine Riesenblüte erhebt. Manchmal werden diese Blätter nach dem Verblühen wieder grün und nehmen am Assimilationsgeschäft teil, weil ihre Funktion als S. eben mit der Blütezeit erfüllt und nach derselben überflüssig ist. Bei den Bougainvillea-Arten sind die unscheinbaren Blüten mit großen, oft herrlich rosenroten Hüllblättern versehen, die den ganzen südamerikanischen Landschaften ihre Charakterfarbe leihen, so daß Humboldt meinte, der Mars könne wohl einer ähnlichen Vegetation seine rote Farbe verdanken. Bei den Marcgraviaceen sind die meist lebhaft gefärbten Brakteen oft noch außerdem in Honigbehälter umgewandelt. Den schönsten Anblick gewähren die Hochblätter oder Brakteen, wenn sie sich zu einem lebhaft gefärbten Stern, einer Hülle oder Straußmanschette um die Einzelblüte oder den Blütenstand zusammenfügen. Das beste Beispiel gibt die häufig bei uns gezogene Weihnachtsblume (Poinsettia pulcherrima), eine mexikanische Euphorbiacee, deren unscheinbare gelbgrüne Blüten von einem handgroßen, zinnoberroten Hüllblätterstern umgeben sind. Einen stahlblauen Hüllenstern von ähnlicher Größe besitzt das von den Alpenbewohnern häufig als Hutschmuck getragene Eryngium alpinum und das Edelweiß, eine Blume dritter Ordnung wird von einem Stern schneeweißer Hochblätter umgeben. Ähnliche schön blau oder rot gefärbte Hüllen aus einem oder zwei Blattpaaren besitzen mehrere Rubiaceen wärmerer Länder, wie Cephaëlis tomentosa und C. Swartzii, und im erstern Fall ist das äußere große, zu einem [724] Becher zusammenwachsende Blattpaar leuchtend rot, das innere kleinere zitronengelb gefärbt wie die Blüten. Manchmal sind auch die Blütenstiele, ja mitunter alle oberirdischen Teile der Pflanzen so lebhaft gefärbt, daß das Gewächs als Ganzes wie ein sich lebhaft von der grünen Umgebung abhebendes S. betrachtet werden kann. Dies gilt namentlich von Pilzen und Schmarotzergewächsen, die von andern Pflanzen zehren und daher keiner grünen, assimilierenden Blätter bedürfen. Hierher gehören unsre in Stengel, Blattschuppen und Blüten gelb, rot, blau oder violett gefärbten Orobanchen, der prächtig safrangelb gefärbte Cytinus Hypocistus der Mittelmeerländer sowie viele andre Balanophoreen, Rafflesiaceen und ähnliche Schmarotzer, die nichts andres zu thun haben, als sich bemerklich zu machen.
Bei den Früchten beschränken sich die S. auch keineswegs auf die lebhaft gelb, scharlachrot oder blau gefärbte Fruchthaut aller solcher Arten, die von den Verzehrern des Fruchtfleisches Verbreitung der schwerverdaulichen Samen erwarten können (während Früchte mit eßbaren Samen, wie Walnüsse, Mandeln, Maronen etc., grün bleiben), sondern wir finden auch hier häufig farbige Fruchthüllen, die aus stehen gebliebenen Kelchen und Blumenteilen hervorgegangen sind. Mitunter erscheinen die Früchte nach dem freiwilligen Aufbrechen selbst blumenartig, wie die rosenrote, vierklappige Kapsel von Evonymus europaeus mit den dottergelben Samen darin, das sogen. Rotkehlchenbrot, und ähnlich verhalten sich die Früchte mancher brasilischer Clusia-Arten, die einen weißen, fünfstrahligen Stern mit ebenso vielen mennigroten Samen darstellen. Überhaupt gehören alle diejenigen Früchte, die sich freiwillig öffnen und appetitlich gefärbte Samen zeigen, wie Erythrina-Arten, Abrus prectatorius, Adenanthera, die Muskatnuß mit dem roten Samenmantel etc., hierher. Vgl. Johow, Florale und extraflorale Schauapparate, im „Jahrbuch des Berliner botanischen Gartens“, Bd. 3.