Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Sauerstoff“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 14 (1889), Seite 343344
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Sauerstoff. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 14, Seite 343–344. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Sauerstoff (Version vom 26.09.2021)

[343] Sauerstoff (Oxygenium) O, chemisch einfacher gasförmiger Körper, findet sich von allen Elementen am verbreitetsten und in größter Menge auf der Erde, indem die Gesteine, welche die Hauptmasse der Erdrinde bilden, 44–48 Proz. und das Wasser 88,87 Proz. S. enthalten. Auch die organische Substanz der Pflanzen und Tiere ist reich an S. Im freien Zustand findet sich S. in der atmosphärischen Luft (23,17 Proz.) und gelöst im Wasser, er wird auch von der lebenden Pflanze im Sonnenlicht ausgehaucht. Zur Darstellung desselben erhitzt man Quecksilberoxyd, Mangansuperoxyd oder chlorsaures Kali, wobei man letzteres vorteilhaft mit etwa dem gleichen Gewicht Braunstein, Kupferoxyd oder Eisenoxyd mischt, oder man erhitzt Braunstein mit konzentrierter Schwefelsäure oder saurem schwefelsaurem Natron, wobei schwefelsaures Manganoxydul entsteht. Man kann auch konzentrierte Schwefelsäure in eine erhitzte Retorte auf glühende Platinschnitzel oder Ziegelstücke fließen lassen, wobei sie in schweflige Säure und S. zerfällt, oder schwefelsaures Zinkoxyd erhitzen (gibt schweflige Säure, Zinkoxyd und S.). In beiden Fällen wäscht man das abgekühlte Gas mit Kalkmilch, um die schweflige Säure zu beseitigen. Natronsalpeter, mit Zinkoxyd erhitzt, gibt ein Gemisch von S. und Stickstoff. Man erhitzt das Gemenge in eisernen Retorten und leitet das Gas, welches Stickstoffoxyd enthält, in den Rückstand von einer frühern Operation, der aus Zinkoxyd und Ätznatron besteht. Das Stickoxyd wird dann in Salpetersäure verwandelt, die sich mit dem Natron verbindet. Klare konzentrierte Chlorkalklösung gibt, mit einigen Tropfen einer Lösung von Kobaltchlorid oder salpetersaurem Kupferoxyd auf 80° erhitzt, den ganzen Sauerstoffgehalt ab. Man kann auch dicke Kalkmilch mit etwas Kobaltchlorid erhitzen und Chlor einleiten, wobei dann ein Strom S. entweicht. Eine 3prozentige Lösung von Wasserstoffsuperoxyd macht man mit wenigen Tropfen Ammoniak alkalisch und setzt etwa 5 cc verdünnter Permanganatlösung (3 g in 1 Lit.) zu, bis die Gasentwickelung die gewünschte Lebhaftigkeit besitzt. 100 cc Wasserstoffsuperoxydlösung geben etwa 1 Lit. S. Baryt gibt beim Erhitzen in kohlensäurefreier Luft Baryumsuperoxyd, welches durch einen Strom Wasserdampf in Baryt und S. zerfällt; in demselben Gefäß können ununterbrochen Oxydation und Desoxydation vorgenommen werden. Dabei ist es vorteilhaft, den Baryt mit Kupferoxyd zu mischen, welches seinen S. leicht an den Baryt abgibt, während das metallische Kupfer nach der Zersetzung des Baryumsuperoxyds beim Überleiten von Luft sehr begierig wieder S. aufnimmt, so daß von neuem Baryumsuperoxyd gebildet wird. Ähnlich wird Kupferchlorür bei 100–200° durch einen Dampfstrom in Oxychlorid verwandelt, welches bei 400° in S. und Kupferchlorür zerfällt. Erhitzt man Ätznatron mit Braunstein im Flammofen bei oxydierender Flamme auf etwa 450°, so entsteht mangansaures Natron. Wird dies, mit Braunstein oder Kupferoxyd gemischt, in eisernen Retorten bei Kirschrotglut mit Wasserdampf von 0,5 Atmosphäre Spannung behandelt, so entweicht S., und es hinterbleibt Manganoxyd und Ätznatron, welches durch Überleiten von kohlensäurefreier Luft bei 300° wieder in mangansaures Natron verwandelt wird. Dies Verfahren gewährt für die Praxis die größten Vorteile. Gewöhnliche atmosphärische Luft gibt beim Durchsaugen durch ein feines Loch in einer Kautschukplatte ein Gemisch von 41,6 S. und 58,4 Stickstoff. Preßt man Luft in Wasser, läßt das nicht absorbierte Gas entweichen, entzieht dem Wasser das absorbierte Gas durch eine Pumpe, preßt es abermals in Wasser und wiederholt dies achtmal, so erhält man infolge der Eigenschaft des Wassers, mehr S. zu absorbieren als Stickstoff, zuletzt ein Gas, welches nur noch 2,7 Proz. Stickstoff enthält. S. ist farb-, geruch- und geschmacklos, wird unter einem Druck von 525 Atmosphären und bei −140° zu einer farblosen Flüssigkeit verdichtet. Das Atomgewicht ist 15,96, das spezifische Gewicht des Gases 1,106, so daß 1 Lit. S. bei 0° und 760 mm Barometerstand 1,429 g wiegt. 1 Volumen Wasser löst bei 0°: 0,041, bei 15°: 0,029 Vol., 1 Vol. Alkohol löst zwischen 0° und 20° konstant 0,28 Vol. S. Bei gewöhnlicher Temperatur ist der S. ziemlich indifferent; er verbindet sich aber mit allen Elementen (eine Verbindung mit Fluor ist nicht dargestellt worden) und bildet mit denselben (oft in mehreren Verhältnissen) Oxyde, welche Basen- [344] oder Säurenanhydride oder indifferente Körper sind. Die Verbindung eines Körpers mit S. (Oxydation, Verbrennung) verläuft oft schnell unter bedeutender Temperaturerhöhung, Erglühen, Flammenbildung, oft langsam ohne bemerkbare Temperaturerhöhung (langsame Verbrennung). Diese letztern Vorgänge spielen in der Natur eine große Rolle. Die Verwesung, das Rosten des Eisens, die Verwitterung mancher Gesteine, der tierische Stoffwechsel sind derartige langsame Verbrennungsprozesse, welche zuletzt dieselben Produkte liefern wie die unter Feuererscheinung verlaufende schnelle Oxydation. Bisweilen kann bei langsamer Verbrennung doch eine allmähliche Temperatursteigerung eintreten und einen so hohen Grad erreichen, daß plötzlich Entzündung eintritt und die Oxydation nun unter Flammenbildung schnell verläuft. Hierauf beruht die Selbstentzündung schwefelkiesreicher Kohlen, mit Öl getränkter Putzlappen, großer Heuhaufen etc. In reinem S. verlaufen alle Verbrennungserscheinungen sehr viel lebhafter als in der Luft; ein glimmender Holzspan bricht in reinem S. in Flamme aus, und eine glühende Uhrfeder brennt darin mit lebhaftem Funkensprühen. Leitet man S. in eine Flamme, so verkleinert sich dieselbe und entwickelt nun eine ungemein hohe Temperatur. Gewisse Metalle, wie Platin, verdichten besonders im fein verteilten Zustand auf ihrer Oberfläche so viel S., daß, wenn man ein brennbares Gas darauf strömen läßt, eine energische Oxydation eingeleitet wird, bei welcher sich die Temperatur bis zum Erglühen des Metalls und bis zur Entzündung des Gases steigern kann. S. ist von höchster Bedeutung im Haushalt der Natur: die Existenz der Tierwelt ist an die Gegenwart von S. gebunden, bei Mangel an S. tritt sofort Erstickung ein (daher der Name Lebensluft). Aber während die Tiere S. einatmen und ihn zur Oxydation organischer Substanz verwenden, deren Produkte, Kohlensäure und Wasser, sie ausscheiden, nehmen die Pflanzen Kohlensäure und Wasser auf, reduzieren sie im Sonnenlicht, bilden organische Substanz daraus und atmen überschüssigen S. aus. Abgestorbene organische Stoffe werden durch S. oxydiert (verwesen) und in den Kreislauf der Elemente zurückgeführt. Beim Einatmen von reinem S. entsteht ein Gefühl von Leichtsein, die physische Leistungsfähigkeit scheint erhöht, die Respiration wird leichter und freier, die Pulsfrequenz und das Wärmegefühl gesteigert, der Appetit nimmt zu. Man hat deshalb mehrfach und mit einigem Erfolg versucht, S. als Heilmittel zu verwenden. Die technische Benutzung des Sauerstoffs ist durch nicht hinreichend billige Darstellungsmethoden erschwert. Doch hat man ihn zum Schmelzen des Platins mittels Knallgases, zum Löten des Bleis mit Knallgas, zu Drummondschem Licht und auch in andrer Weise zur Beleuchtung angewandt. Der S. wurde 1774 ziemlich gleichzeitig von Priestley und Scheele entdeckt. Diese Entdeckung gab Lavoisier den Schlüssel zu einer richtigen Theorie der Verbrennungserscheinungen, und da die Produkte der Verbrennung in S. häufig saurer Natur sind, so nannte er das Element Säureerzeuger (Oxygène). Von der Entdeckung des Sauerstoffs datiert die Begründung der neuen Chemie. Eine Modifikation des Sauerstoffs ist das Ozon (s. d.). Vgl. Meißner, Untersuchungen über den S. (Hannov. 1863; Neue Untersuchungen, Götting. 1869); Philipps, Der S., Vorkommen, Darstellung und Benutzung zu Beleuchtungszwecken (Berl. 1871); Pictet, Mémoire sur la liquéfaction de l’oxygène (Neuchât. 1877).