Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Riesengebirge“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 13 (1889), Seite 826827
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Riesengebirge. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 13, Seite 826–827. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Riesengebirge (Version vom 19.02.2023)

[826] Riesengebirge, der höchste Teil der Sudeten (s. d.) und das eigentliche Hochgebirge derselben. Das R. im engern Sinn erstreckt sich von den Quellen des Zacken bis zum Ursprung des Bober. Dort erhebt es sich unmittelbar östlich vom Iserkamm über dem 720 m hohen Paß zwischen Schreiberhau in Schlesien und Harrachsdorf in Böhmen, hier fällt es zum tiefen Einschnitt ab, dem die für die Kriegsgeschichte Schlesiens so wichtige Straße von Landeshut nach Trautenau folgt. Es hat die Länge von etwa 37 und eine Breite von 25 km, so daß es im ganzen gegen 1110 qkm (20 QM.) umfaßt. Von der südlichen oder böhmischen Seite, wo Hohenelbe 455 m ü. M. liegt, steigt das R. nur allmählich aufwärts bis zu dem eigentlichen, kaum 6 km breiten Hochgebirge, dessen höchste, nebeneinander liegende Bergkuppen und Bergrücken den Kamm des Gebirges bilden, auf welchem die Grenze zwischen Böhmen und Schlesien hinläuft. Dagegen stuft es sich weit steiler von dem dem Nordrand weit näher gerückten höchsten Kamm in den 1000 m tiefer gelegenen freundlichen, reich angebauten Kessel des Hirschberger Thals ab, wo Warmbrunn 351 und Hirschberg 313 m ü. M. liegen. Hier bietet es dem Auge einen mannigfach ausgeschweiften Rücken (Kamm), steile Felsabhänge und abwechselnd tiefe, finstere Schluchten dar. Der Kamm hat eine durchschnittliche Höhe von 1250 m, während eine Reihe von Gipfeln auf demselben über 1350 m ansteigen, und im allgemeinen erscheint er von der Nordseite wie eine Mauer, über die nur wenige Fußsteige führen, und die nur in der Mitte einen Einschnitt besitzt, der bis 1100 m Höhe, bis in die Waldregion, hinabgeht. Es folgen in diesem Grenzrücken von W. nach O.: der Reifträger (1350 m), das Hohe Rad (1509 m), die Große Sturmhaube (1424 m), die Kleine Sturmhaube (1369 m) und gegen das Ostende der höchste Berg Mitteldeutschlands, die 1603 m hohe Schneekoppe (s. d.). Nordöstlich von letzterer folgt dann der Forstkamm mit der Schwarzen Koppe (1349 m), weiterhin der Schmiedeberger Kamm, an welchen sich nordwärts bis zum Bober der Landeshuter Kamm anschließt, während der Hauptkamm hier einen Bogen nach S. macht und als R. im Kolbenberg östlich von Kleinaupa endigt. Über den beschriebenen Hauptkamm des Gebirges zieht sich die schlesisch-böhmische Landesgrenze, so daß nur der kleinere nördliche Teil des Riesengebirges dem preußischen, der größere südliche dagegen dem österreichischen Staat angehört. Mit dem Hauptzug parallel laufen, durch ein unterbrochenes Längenthal davon getrennt, im S. die Böhmischen Kämme, in der Mitte durchbrochen durch die tiefe Thalschlucht der Elbe, die sich dort aus der auf der hoch gelegenen und ausgedehnten Mulde der Elbwiese im W. entspringenden Elbe, welche bei dem Hinabstürzen in den tiefen Elbgrund den Elbfall bildet, und dem von der großen Weißen Wiese im O. herabkommenden Weißwasser gesammelt hat, nachdem bereits zuvor sich mit Elbe und Weißwasser die Gewässer aus den Siebengründen, gleichfalls dem Hauptkamm auf seiner südlichen Seite entfließend, vereinigt haben. Auf den Böhmischen Kämmen sind der Brunnberg (1502 m), südlich von der Schneekoppe, und der schmale, zackige Ziegenrücken im O., der Krkonosch (1478 m) und der Kesselberg (1435 m) im W. vom Elbdurchbruch, im S. vom Ziegenrücken der Lange Grund mit dem Klausenwasser und dem vielbesuchten Dorf St. Peter bemerkenswert. Zwischen den Westenden der beiden Ketten sammelt sich die Kleine Iser, während vom Südostgehänge der Schneekoppe der 400 m tiefe pittoreske, felsige Aupa- oder Riesengrund nach Böhmen hinabzieht. Das von Iser und Aupa eingeschlossene südlichere Gehänge ist ein von zahlreichen südlich verlaufenden Schluchten durchschnittenes Waldland. Das Nordgehänge hat ebenfalls tiefe, felsige Schluchten, deren Gewässer sämtlich zum Bober fließen; unter ihnen sind die westlichen: der Zacken, die Zackerle und Kochel (diese beiden bekannt durch ihre Wasserfälle). Unter den felsigen Schluchten der Nordseite sind die des Kleinen und Großen Teichs, im NW. der Schneekoppe, mit kleinen Seen in der Tiefe, aus denen die Lomnitz abfließt, und vor allen die großartigen Felsenschluchten und Kessel der Kleinen und Großen Schneegrube, am Hohen Rad, zu nennen, in deren Tiefe sowie in der Agnetendorfer Schneegrube sich dauernde Schneeflecke erhalten. Unter den Randhöhen des Riesengebirges auf seiner Nordseite, also am Hirschberger Thal, treten ganz besonders der Gräberberg mit der Annakapelle, über Arnsdorf und Seidorf, der durch seine prachtvolle Aussicht und seine Burgruine berühmte Kynast (589 m), über Hermsdorf, und die Bismarckhöhe, auf dem Hummel zwischen Petersdorf und Agnetendorf, hervor. Das Hauptgestein des Riesengebirges ist Granit, welcher aus der Tiefe des Hirschberger Thals bis zum Rücken der Böhmischen Kämme im S. reicht, von wo an am übrigen Südgehänge kristallinisches Schiefergebirge, vorzugsweise Glimmerschiefer, herrscht, der auch den Südosten und Osten einnimmt, wo er bis auf die Höhe [827] der Schneekoppe reicht. Das granitische Terrain ist auf seinen Höhen mit Felsmeeren von Granitblöcken bedeckt und reich an pittoresken Felsmassen und Einzelfelsen, sowohl auf der Höhe des Kammes als auf der Abdachung; auch die Betten der Bäche sind erfüllt von wild übereinander liegenden Blöcken. Zu den Felsen der Höhe gehören: der Teufelstein, über dem Großen Teich; der Mittagstein, an der Seite der Kleinen Sturmhaube; der Mädelstein, zwischen der Kleinen und Großen Sturmhaube; die Rübezahlkanzel, unweit der Schneegrubenbaude, und zahlreiche andre. Zu den geognostischen Merkwürdigkeiten des Gebirges gehören einzelne Porphyrgänge, so im Granit vom Quirlberg bei Hermsdorf bis zu den Schneegruben sowie am Annaberg über Seidorf und in Fragmenten am Kleinen Teich; auch Basalt tritt in einer kleinen Partie südöstlich vom Kynast auf. Bergbau wird nur in geringer Ausdehnung auf der böhmischen Seite am Riesengrund betrieben; wie zahlreich aber vor alten Zeiten die Erzwäschen, wahrscheinlich Zinnseifen, im R. gewesen sind, dafür zeugen die Seifengründe und Seifenberge auf der schlesischen und böhmischen Seite des Hauptzugs. Zwischen den Straßen von Schreiberhau nach Harrachsdorf und von Landeshut nach Trautenau führen nur Paschersteige über das Gebirge.

Das R. erhebt sich aus der Region des Laubholzes mit seinen höchsten Gipfeln bis über die des Krummholzes. In den tiefern Gründen kommen mit dem Nadelholz Buche, Eiche und Birke als Laubholz vor; von 500–1300 m herrscht aber der Nadelwald, aus Fichten und Tannen bestehend. Über 1200 m fängt meist schon das baumlose Hochgebirge an, beginnend mit den Zwergformen der Fichte und Vogelbeere, über welchen bei 1300 m Höhe die Zwergkiefer mit einigen zwergigen Laubhölzern (darunter auch Salix Lapponum) die Holzpflanzen sind, die erstere oft undurchdringliche Dickichte bildend. Mit ihnen finden sich zahlreiche subalpine und alpine Pflanzen zusammen, die endlich allein noch auf den höchsten Gipfeln vorkommen. Im Hochgebirge wechseln auf den Kämmen und Kuppen mit Felstrümmern bedeckte Flächen mit solchen, wo eine dünne Erddecke den Boden bedeckt, während in allen Mulden sich Moore und offene Sümpfe, erstere oft mit schwankender Decke, ausdehnen. Die Zwergkiefer, Gräser, das Alpenhabichtskraut, Moose und Flechten, in den Mooren vorherrschend Halbgräser, insbesondere Carex-Arten, sind die Hauptformen der dünnen und magern Vegetation der Höhen. Unter den alpinen Pflanzen des Riesengebirges heben wir hervor: Primula minima, Anemone alpina, Alchemilla fissa, Geum montanum, Potentilla aurea, Swertia perennis, Gentiana verna, Veratrum album, neben welchen zahlreiche andre vorkommen. Auch alpine Tiere finden sich schon, wie die Alpenlerche und von Fischen der Saibling. An den geschützten und tiefern, wiesenreichen, sanftern Gehängen haben sich im Hochgebirge und am obern Rande des Waldes die Eingebornen in Holzhäusern (s. Baude) angesiedelt, um Rindvieh- und Ziegenzucht zu betreiben. Die bekanntesten sind: die 1255 m hoch gelegene Hampelbaude auf der schlesischen Seite, die Riesenbaude am westlichen Fuß des Koppenkegels auf der böhmischen Seite, die Wiesenbaude auf der Weißen Wiese im N. des Brunnenbergs, die Spindler- und die Petersbaude zu beiden Seiten der mittlern Kammsenkung, die Schneegrubenbaude an der Großen Schneegrube in der Höhe von 1455 m, die letztere ausschließlich dem Fremdenverkehr dienend. Die Futter- oder Sommerbauden dienen nur in der Sommerszeit zur Aufnahme von Vieh und Hirten für die Nacht auf den entfernten Weiden, die man nur 14–16 Wochen im Sommer, meist bis gegen Ende September, mit dem Vieh betreibt, welches dann zu den Winterbauden zurückgeführt wird. Zu den schönsten Punkten, von wo aus man auf schlesischer Seite das R. übersieht, gehört der Scholzenberg bei Warmbrunn, indem man von hier aus die Gebirgskette in ihrer ganzen Ausdehnung überschaut; auf böhmischer Seite der mit einer Wallfahrtskirche gekrönte Tabor bei Lomnitz. Am Westende des Gebirges führt die Straße von Hirschberg nach Reichenberg in Böhmen, am Ostende die schon erwähnte Straße und die Eisenbahn von Landeshut nach Trautenau vorüber; neuerdings führt auch eine Kunststraße von Hermsdorf unterm Kynast im Hirschberger Thal über den Gebirgskamm nach St. Peter in Böhmen (im obern Elbthal). Der Touristenverkehr im R. ist ein sehr starker; kaum ein andres Gebirge Deutschlands hat so zahlreichen Zuspruch aufzuweisen. Neuerdings ist durch die Thätigkeit des Riesengebirgsvereins auch dafür gesorgt, daß den Reisenden mehr von dem dort so fehlenden Komfort geboten wird. Vgl. Willkomm, Handbuch für Reisende durch das R. (4. Aufl. von Herloßsohn, Leipz. 1853); Letzner, Wegweiser durch das R. (in „Meyers Reisebüchern“, 6. Aufl., das. 1888).