MKL1888:Reis
[700] Reis (Oryza L.), Gattung aus der Familie der Gramineen, einjährige oder ausdauernde Gräser mit meist großer, lockerer Rispe, Zwitterblüten, verkümmerten Hüllspelzen, papierartigen bis lederigen, zusammengedrückten, häufig begrannten Deckspelzen; die Frucht wird von den Spelzen eng umschlossen. Der gemeine R. (O. sativa L., s. Tafel „Nahrungspflanzen III“), einjährig, mit 1–1,5 m hohem Halm, 30–35 cm langen, dunkelgrünen, am Rand rauhen Blättern, zusammengezogener und zuletzt einseitig überhängender Rispe, wird in zahlreichen Varietäten als Getreidepflanze bis 46° nördl. Br. kultiviert. Als Sumpfpflanze verlangt er große Feuchtigkeit des Bodens und außerdem eine Sommertemperatur von 29° C. Man baut ihn daher nur in niedrigen, feuchten, leicht unter Wasser zu setzenden Gegenden, gibt dem Boden eine wenig tiefe Bearbeitung und teilt ihn in viereckige Beete von 15–20 m Seitenlänge, welche durch 60 cm hohe Dämme voneinander getrennt sind. Auf die vorbereiteten Beete leitet man Wasser, und nachdem dies eine gewisse Zeit gestanden hat, säet man (in Piemont im April) den vorher stark eingequellten R., welcher alsbald in den Schlamm einsinkt und nach 14 Tagen hervorkommt. In dem Maß, wie der R. wächst, läßt man auch das Wasser steigen, um die biegsamen Halme zu [701] schützen; im Juni wird, nachdem das Wasser abgelassen, gejätet; dann läßt man von neuem Wasser bis zur Höhe der Pflanzen eintreten, köpft diese im Juli, stützt sie zur Zeit der Ausbildung des Samens im August, wenn sie nur zur Hälfte unter Wasser stehen, und erntet etwa Ende September. Man säet gegen 60 kg Samen auf 1 Hektar und erntet durchschnittlich 3000 kg, entsprechend 1500 kg geschältem Handelsreis. In Südcarolina unterwirft man den Boden, wenn er durch Unkraut oder abgefallenen R. unrein geworden ist, ein Jahr lang trockner Behandlung. Man säet Hafer und erntet diesen mit dem freiwilligen R., steckt dann Setzlinge von Bataten und behandelt die Zwischenräume mit Hacke und Pflug. Nach solcher Behandlung fällt die nächste Reisernte oft doppelt ergiebig aus. In Asien baut man vielfach auch eine Varietät, den Bergreis (Oryza montana Lour.), welcher auf trocknem Boden gedeiht, kürzerer Vegetationszeit bedarf und nur bei größerer Trockenheit Bewässerung verlangt. Die Bemühungen um Einführung dieser Varietät in Europa, durch welche die ungesunden Kulturen des Sumpfreises vermieden werden sollten, haben bisher keinen Erfolg gehabt. Auch in Asien ist die Kultur des Bergreises untergeordnet. In Amerika baut man gegenwärtig R. in Carolina, Georgia, Louisiana, Mississippi, in Mittelamerika, Westindien, Brasilien, Uruguay etc., in Europa in Oberitalien, Sardinien, Spanien, Portugal, in der Türkei, in Griechenland, auch noch in der friaulischen Tiefebene in den Bezirken Cervignano und Monfalcone. Bei der Ernte werden die Rispen abgeschnitten und die Frucht durch Dreschen, Walzen oder Austreten gewonnen. Der erhaltene rohe R. (Paddy) wird auf Reismühlen enthülst (geschält). Je nachdem man ostindischen oder amerikanischen R. zu enthülsen hat, verwendet man Klopfwerke (Hammerwerke), Pochwerke (Stempelwerke) oder Mühlsteine als Schälgänge. Der geschälte R. (Braß, Bray) wird schließlich auf Poliermaschinen poliert. Letztere bestehen entweder aus einem einfachen Bürstenapparat oder aus einem um die Vertikalachse drehbaren Kegel mit unbeweglichem Mantel, wobei der Kegel mit Schaffell, der Mantel aber mit Drahtnetz ausgeschlagen ist. Um dem geschälten R. eine blendend weiße Farbe zu geben, bläut man ihn wohl auch auf der Poliermaschine mit Indigolösung. Bei Arakanreis rechnet man nach der Bearbeitung gewöhnlich 531/3 Proz. Ganzreis, 262/3 Proz. Bruchreis und 20 Proz. Abfall. Von allen Getreidearten enthält R. am wenigsten eiweißartige Stoffe, dagegen ist er am reichsten an Stärkemehl. R. enthält im Mittel 7,81 Proz. eiweißartige Körper, 0,69 Proz. Fett, 76,40 Proz. Stärkemehl und Dextrin, 0,78 Proz. Holzfaser, 1,09 Proz. Asche, 13,23 Proz. Wasser.
Die beim Schälen abfallende Kleie, welche als Reisfuttermehl in den Handel gebracht und als Viehfutter benutzt wird, enthält im Durchschnitt 10,89 Proz. Eiweiß, 9,89 Proz. Fett, 11,09 Proz. Rohfaser, 47,58 Proz. stickstofffreie Extraktivstoffe, 10,61 Proz. mineralische Stoffe, 9,94 Proz. Wasser. Beim R. findet also in noch höherm Grad als beim Weizen eine ungleiche Verteilung der einzelnen Bestandteile statt, die Eiweißstoffe sind vorzugsweise in den äußern Schichten abgelagert und werden beim Schälen zum größern Teil in die Kleie übergeführt. Von den verschiedenen Handelssorten gilt der Carolinareis, unter welchem Namen alle im Süden Nordamerikas gebaute Frucht geht, ein langes, eckiges, mattweißes oder durchscheinendes Korn, als die vorzüglichste. Der Bengalreis, welcher in größter Menge produziert und in Indien sehr geschätzt wird, ist grob von Korn, rötlich, aber großkörnig und wohlschmeckend, schwer zu enthülsen; der Patnareis, die andre Hauptsorte Ostindiens, ist kleinkörnig, langgestreckt und dünn, sehr weiß; der Rangunreis, aus Britisch-Birma oder Pegu, ist eine gute Mittelsorte, der Arakanreis sehr wohlfeil; auch Siam liefert viel R. Die größten Ausfuhrplätze des indischen Reises sind: Rangun, Akyab, Bassein, Maulmain und Kalkutta. Der Javareis ist meist von guter Qualität, im Korn etwas kleiner und weißer als Carolinareis und nächst diesem am teuersten. Unter Tafelreis verstand man sonst besten Javareis, jetzt aber auch vielfach andre gute Sorten. Der italienische R. hat dicke, rundliche, weiße Körner. Außerdem gelangen nach England levantiner, ägyptischer, brasilischer, westindischer R., R. von Mauritius, Südafrika und Britisch-Guayana. – Der R. dient ganz besonders im Orient und in Asien als mehr oder weniger ausschließliches Nahrungsmittel. Die in kochendem Wasser erweichten Körner sind, fast ohne alle Zuthat, als Pilaw im ganzen Orient ein Hauptteil aller Mahlzeiten, ebenso mit Fischen, Hühnern etc., mit Gewürzen vermischt, als Curry ein Lieblingsgericht in ganz Ostasien; aus gemahlenem R. werden in Indien die verschiedensten Speisen, auch Brot, bereitet. Reismehl dient auch als Zusatz zu Schokolade, zu Waschpulvern und als Stärkesurrogat. Bei uns ist Reisgrieß gebräuchlicher. Sehr viel R. wird in der Bierbrauerei und zur Gewinnung von Stärkemehl benutzt. In Ostindien dient R. auch zur Darstellung von Arrak, und dort wie auch in der Türkei, in China, Japan und Westindien werden noch andre alkoholische Getränke aus R. bereitet. Bei uns war R. noch vor 30 Jahren eine Luxusware; seitdem aber hat er sich mehr und mehr den Volksnahrungsmitteln zugesellt, und der Konsum ist kolossal gestiegen. Stengel und Stroh benutzt man zu Geflechten und in der Papierfabrikation.
Das Vaterland des Reises ist unbekannt, man fand ihn nie in wildem Zustand; seit etwa 5000 Jahren wird er in China kultiviert und seit den ältesten Zeiten auch in Indien und auf den Sundainseln. Der Sanskritname des Reises war vrihi, welches in den iranischen Sprachen zu brizi wurde, und aus dieser altpersischen Form machten die Griechen oryza, welch letzteres Wort der bei allen neueuropäischen Völkern vorhandenen Benennung zu Grunde liegt. Im Abendland wurde der R. wohl erst durch die Feldzüge Alexanders d. Gr. genauer bekannt, als er bereits am obern Oxus und in den untern Euphrat- und Tigrisländern kultiviert wurde. Schon damals wurde er in derselben Zubereitung genossen wie noch heute überall im Orient. Seit der Gründung des ägyptisch-griechischen Reichs tritt der R. als Handelsware auf; die Ärzte benutzten ihn zu einem schleimigen Getränk, aber als Speise diente er zur Zeit des Horaz noch nicht. Erst die Araber versuchten, den Reisbau im Nildelta und mit großem Glück in Spanien einzuführen, wo die kunstvoll bewässerten Felder reiche Ernten lieferten. Um 1530 baute man auch in Italien R., und so groß war der Gewinn, daß die neuen Reisfelder sich von dem Mündungsland der Alpenflüsse bis in die Romagna, nach Piemont etc. ausdehnten. Die dadurch geschaffenen ausgedehnten Sumpfflächen erzeugten aber Fieber und Malaria, und nun begannen die Regierungen, den Reisbau durch Verbote mehr und mehr einzuschränken, und bis in die Gegenwart sind Verordnungen in Kraft geblieben, durch welche die Anlage und der Betrieb [702] von Reisfeldern geregelt wird. Nach Amerika kam der Reisbau erst 1701; durch ein Schiff aus Madagaskar gelangte eine kleine Quantität Saatreis nach Carolina, und bald darauf erhielt man auch R. aus Ostindien. 1724 wurden bereits 18,000 Faß ausgeführt; doch blieb auch später Mais und Weizen das Nahrungskorn der Bevölkerung, während in Asien der R. fast ausschließliches Nahrungsmittel ist. Überhaupt ist der R. insofern die wichtigste aller Getreidearten, als er weitaus die größte Zahl von Menschen ernährt. Man kann annehmen, daß über 750 Mill. Menschen in China, Japan, auf dem Malaiischen Archipel, in Indien, Persien, Arabien, in der Türkei, in Nordafrika und Portugal mehr oder weniger ausschließlich von R. leben. Produktion, Verbrauch und Exportfähigkeit (in Tonnen) der wichtigsten Reisexportländer zeigt folgende Tabelle:
Ernte | Verbrauch | Exportfähigkeit | |
Britisch-Indien und Birma | 16900000 | 15800000 | 1100000 |
Ceylon | 480000 | 330000 | 150000 |
Java | 3200000 | 3190000 | 10000 |
Kotschinchina | ? | ? | 375000 |
Siam | ? | ? | 235000 |
Manila | 1800000 | 1750000 | 50000 |
Japan | 3450000 | 3200000 | 250000 |
Italien | 710000 | 610000 | 100000 |
Spanien | 81000 | 80000 | 1000 |
Vereinigte Staaten | 90000 | 90000 | – |
Außerdem wird R. auch von der asiat. Türkei, Ägypten und Hawai exportiert. In den Vereinigten Staaten ist der Reisbau andern Kulturarten gewichen, und die Produktion hat für Europa kaum noch Bedeutung. Die Vereinigten Staaten importierten vielmehr 1882/83 noch 49,000 Ton. Der Reiskonsum in Ostasien kann auf 100 Mill. T. geschätzt werden, während Europa nur 2 Mill. T. (vor 1870 halb soviel) verbraucht. Haupthandelsplätze sind hier London, Liverpool, Bremen, Rotterdam. Das Deutsche Reich importierte 1887: 91,701 T. im Wert von 15,954,000 Mk. Der Konsum pro Kopf betrug 1862: 0,82, 1883: 1,90 kg. Italien hat einen mittlern Kopfverbrauch von 22,8 kg.
[Hier folgen in der Vorlage zunächst die Stichwörter Reis, peruanischer und Reïs.]
Reis, Philipp, Physiker, geb. 7. Jan. 1834 zu Gelnhausen, trat 1850 in ein Farbengeschäft zu Frankfurt a. M., studierte aber seit 1853 privatim Mathematik und Naturwissenschaft, wurde 1858 Lehrer am Garnierschen Institut in Friedrichsdorf bei Homburg und starb 14. Jan. 1874. Er konstruierte 1860 das erste Telephon.