Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Reinigungen“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 13 (1889), Seite 699
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Reinigungen. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 13, Seite 699. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Reinigungen (Version vom 15.05.2021)

[699] Reinigungen, religiöse Handlungen, welche bei den Völkern des Altertums, namentlich bei den Hebräern und Ägyptern sowie bei den Griechen und Römern, auf verschiedene Weise vollzogen zu werden pflegten. Gegenstände der Reinigung waren Menschen, Tiere, Tempel, öffentliche Plätze etc., Reinigungsmittel neben Gebeten vornehmlich das Wasser, außerdem das Feuer und das Blut der Opfertiere. Eine wichtige Stelle nahmen die R. besonders auch in den Mysterien ein. Städte, Tempel, Plätze und andre öffentliche Orte mußten der Reinigung unterworfen werden, sobald sie durch Handlungen der Menschen, unreine Tiere etc. verunreinigt worden waren. Menschen aber lag dann insbesondere die Reinigung ob, wenn sie mit unreinen Gegenständen, vorzugsweise mit Leichnamen, in Berührung gekommen waren. Dann wurden auch Verbrechen, namentlich der Mord, mit Opferblut und Wasser, besonders Salzwasser, getilgt und gesühnt. Eine reinigende Wirkung für den Staat schrieb man bei den Griechen auch der Vollstreckung des Todesurteils an Verbrechern zu. Der Mosaismus, welcher neben der sittlichen Reinheit auch die physische des Menschen bezweckte, enthielt viele Reinigungsvorschriften, die während der Dauer des Opferkultus sowie im 1. und 2. Jahrh. n. Chr. streng befolgt wurden. Vorheriges Waschen und Baden war für das Betreten des Gotteshauses allen, besonders aber für religiöse Funktionen den Priestern, vorgeschrieben. Die Unreinheit wurde verursacht: 1) durch das Berühren von Leichen, Leichnamknochen, von den acht Arten des kleinen Getiers (scherez), wie z. B. Eidechsen, dann durch einen Unreinen, welcher Gegenstände oder Menschen anfaßte; 2) durch den Aussatz an Menschen, Kleidern und Häusern; 3) durch Ausflüsse (Pollutionen, Koitus, Menstrualblut, Wochenfluß, krankhafte Ausflüsse aus den Geschlechtsteilen). Je nach der Schwere der Verunreinigung gab es verschiedene Grade und Dauer der Unreinheit. Der Unreine durfte weder opfern und Opferteile essen noch den Tempel betreten. Die Reinigung wurde bei der Totenverunreinigung durch Besprengen mit dem Entsündigungswasser auf den Unreinen, den Raum und das Bett, in welchem der Tote gelegen, am 3. und 7. Tag vorgenommen. Bad und Kleiderwäsche bildeten hier und bei den unter 2) genannten Unreinheiten den Schluß des Reinigungsaktes. Zur Zeit des zweiten jüdischen Staatslebens bildeten die höhern Reinheitsgesetze einen integrierenden Teil der Vorschriften des Chaberbundes, in dem nach dieser Richtung hin sich besonders die Pharisäer hervorthaten. Auch die Essäer zeichneten sich durch fleißiges Waschen und Baden aus. Die Mischna und auch der Talmud geben die nähern Bestimmungen der mosaischen Reinigungsgesetze. Bis auf unsre Tage blieben die Gesetze über Wochenfluß, Menstruation, krankhafte Ausflüsse, die Reinigung nach dem Anfassen der Leiche, nach dem Verweilen auf dem Friedhof und die Vorschrift, daß der dem Priestertum angehörende Israelit (Kohen) sich nicht an Leichen verunreinige, u. a. bestehen.