MKL1888:Reims
[694] Reims (Rheims, spr. rängs), Arrondissementshauptstadt im franz. Departement Marne, an der Vesle und an dem Kanal von der Aisne zur Marne, in einer von Weinbergen umgebenen Ebene der Champagne gelegen, Knotenpunkt der Linien Epernay-Laon, R.-Givet, R.-Soissons und R.-Verdun der Ostbahn, eine der ältesten Städte und durch seine Geschichte, seine Kunstwerke, seine Stellung im modernen Gewerbs- und Verkehrsleben einer der bemerkenswertesten Orte Frankreichs. Die Lage der Stadt auf halbem Weg zwischen der deutschen Grenze und Paris war die Veranlassung, daß sie in neuester Zeit durch fünf starke Forts in einen Waffenplatz verwandelt wurde. Die Straßen sind breit und regelmäßig; größere Plätze sind der Platz Godinot mit einer Fontäne und der Königsplatz mit dem bronzenen Standbild Ludwigs XV., außer welchem noch dem Marschall Drouet, dann dem 1619 hier gebornen J. B. Colbert Denkmäler errichtet sind. Das vorzüglichste Architekturwerk von R. und überhaupt eins der herrlichsten gotischen Bauwerke ist die Kathedrale, welche 1212 unter dem Erzbischof Alberich Humbert nach den Plänen Roberts v. Coucy begonnen und im 14. Jahrh. bis auf die Türme, welche nur zwei Drittel der projektierten Höhe von 120 m erhalten haben, vollendet ward (s. Tafel „Baukunst X“, Fig. 5). Die westliche Fassade mit ihren drei Portalen, einer Fensterrose, Arkaden und zahlreichen Statuen und Reliefs ist ein glänzendes Beispiel vollendet durchgeführter Frühgotik. Das Innere besteht aus einem dreischiffigen, sehr langen Langhaus und einem wenig ausladenden, dreischiffigen Querhaus, das zu dem kurzen, von fünf Kapellen umgebenen Chor hinzugezogen ist. Die Kirche enthält wertvolle Gemälde, alte Glasfenster, kostbare Gobelins und Tapisserien, Goldarbeiten, einen byzantinischen Kelch, Grabmäler etc. Seit 1179 wurden hier alle französischen Könige (mit Ausnahme Heinrichs IV. und Ludwigs XVIII.) gekrönt. Bis zur französischen Revolution enthielt die Kirche das mit Goldblech überzogene und mit Edelsteinen verzierte sogen. Reimser Evangelienbuch (s. d.), auf welches die Könige den Eid ablegten, und die berühmte Ampulla (sainte ampoule), mit deren Inhalt die französischen Könige gesalbt wurden (s. Ampulla). Ein alter, sehenswerter Bau ist die im 11. und 12. Jahrh. im romanischen Stil begonnene, gotisch vollendete Kirche St.-Remi mit alten Glasfenstern und dem Grabmal des heil. Remigius. Bemerkenswerte Gebäude sind außerdem: das erst 1825 vollendete Stadthaus mit säulengeschmückter Fassade, zierlichem Glockenturm und einer Reiterstatue Ludwigs XIII., der erzbischöfliche Palast (von 1500) mit großem Festsaal in gotischem Stil, der Justizpalast, das Theater, das Musikgebäude (aus dem 14. Jahrh.) und zahlreiche andre Gebäude aus dem 13.–16. Jahrh. mit Skulpturen, Reliefs etc. Von Altertümern sind besonders hervorzuheben die Porte de Mars (ein römischer Triumphbogen), ein 1861 aufgefundenes römisches Mosaik von 90 qm Fläche und das im Antiquitätenmuseum befindliche herrlich skulptierte Kenotaphion des Präfekten von Gallien, Jovinus (um 370). R. zählt (1886) 91,130 (als Gemeinde 97,903) Einw. Von hoher Bedeutung ist die Schafwollindustrie von R., welche vornehmlich Merinos, Shawls, Flanelle, feine Tuchsorten und Nouveautees in Kleiderstoffen liefert. In ihrem Dienste stehen ca. 300,000 Spindeln, 8500 mechanische und 2000 Handstühle, wobei 12,600 Fabrikarbeiter (ohne die zu Hause beschäftigten Personen) thätig sind. Andre Industriezweige sind die Fabrikation von Maschinen, Werkzeugen, Gußwaren, chemischen Produkten, Rübenzucker, Glaswaren, Kalk, Ziegeln, Leder und Korkpfropfen. Von Wichtigkeit ist auch der Handel mit Wolle und mit den Reimser Schafwollartikeln, ferner mit Champagnerweinen, welche hier präpariert werden, und für deren Versendung die Stadt den Haupthandelsplatz bildet. Die Weine werden hier in vortrefflichen Felsenkellern, welche in den Kreideboden gegraben sind, aufbewahrt. An Unterrichts- und andern öffentlichen Anstalten besitzt die Stadt ein Lyceum (früher Universität, gestiftet 1547, aufgehoben 1793), ein theologisches großes und kleines Seminar, eine Vorbereitungsschule für Medizin und Pharmazie, eine Lehrerinnenbildungsanstalt, eine Gewerbeschule, Lehrkurse für Chemie, Zeichnen, Handelsrecht und Weberei, eine Bibliothek (60,000 Bände und 1500 Manuskripte), ein Kunst- und Antiquitätenmuseum, einen botanischen Garten, eine Akademie der Wissenschaften, mehrere wissenschaftliche und gemeinnützige Gesellschaften und Wohlthätigkeitsanstalten, eine Filiale der Bank von Frankreich und eine Warenbörse. R. ist der Sitz eines Erzbischofs, eines Gerichts- und Assisenhofs, eines Handelsgerichts und einer Handelskammer. – R., das alte Durocortorum, war die Hauptstadt der Remi (Civitas Remorum oder Remi) und der römischen Provinz Belgica secunda. Um 360 fand das Christentum hier Eingang. Der heil. Remigius bekehrte und taufte hier 496 nach dem Sieg über die Alemannen Chlodwig und viele fränkische Große. Im Vertrag von Verdun 843 fiel R. an Karl den Kahlen und kam so zu Westfranken, bei welchem es in der Folge blieb. Im 9. Jahrh. bemächtigten sich die Grafen von Vermandois der Stadt; Ludwig IV. aber verlieh sie dem Erzbischof Artaldus, und seitdem blieb R. eine Zeitlang in dem Besitz der Erzbischöfe, die sich Grafen von R. nannten. Ludwig VII., der jüngere, gab 1138 der Stadt R. ein Stadtrecht, und sein Sohn Philipp August verlieh den Erzbischöfen den herzoglichen Titel und setzte sie als Herren über Stadt und Grafschaft [695] ein. Seitdem wurden die französischen Könige in R. gekrönt (s. oben). 813 (von Karl d. Gr.) und 1049 (von Papst Leo IX.) wurden hier Konzile gehalten. 1421 wurde R. von den Engländern, 1429 von Jeanne d’Arc erobert. Am 13. März 1814 fand bei R. ein Gefecht zwischen den Russen unter Saint-Priest (welcher blieb) und den Franzosen statt, worin letztere Sieger waren. Im deutsch-französischen Krieg ward R. als wichtiger Eisenbahnknotenpunkt im September 1870 von den Deutschen besetzt und Sitz des Generalgouvernements R., zu welchem sämtliche nicht zum Generalgouvernement Elsaß-Lothringen gehörige deutscherseits besetzte Departements gehörten. Vgl. Marlot (gest. 1667), Histoire de R. (Reims 1843–45, 3 Bde.); Galeron, Journal historique de R. (das. 1854, 2 Bde.); Justinus (Baron J. Taylor), R., la ville des sacres (das. 1860).