Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Reichstadt“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 13 (1889), Seite 687
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Reichstadt. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 13, Seite 687. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Reichstadt (Version vom 26.09.2024)

[687] Reichstadt, Stadt in der böhm. Bezirkshauptmannschaft Böhmisch-Leipa, an der Eisenbahn Böhmisch-Leipa-Niemes, hat eine alte Dechanteikirche, ein kaiserliches Schloß mit Park, Rübenzuckerfabrik und (1880) 2044 Einw. – Die gegenwärtig kaiserliche Herrschaft R. kam 1818, durch die toscanischen Besitzungen in Böhmen vergrößert und zum Herzogtum erhoben, vorübergehend an Napoleons I. Sohn. In neuerer Zeit bildete R. die Sommerresidenz des ehemaligen Kaisers Ferdinand I. Im J. 1876 fand hier eine Zusammenkunft der Kaiser von Österreich und Rußland statt.

Reichstadt, Napoleon Franz Joseph Karl, Herzog von, von den Bonapartisten wegen des Verzichts seines Vaters zu seinen gunsten 1815 Napoleon II. genannt, einziger Sohn des Kaisers Napoleon I. aus der Ehe mit Maria Luise von Österreich, geb. 20. März 1811 im Tuilerienschloß zu Paris, erhielt bei seiner Geburt den Titel eines Königs von Rom. 1814 wurde er nach dem Schlosse Schönbrunn bei Wien gebracht. Als Napoleon 1815 von Elba zurückkehrte, forderte er vergeblich Gattin und Kind vom Kaiser zurück. Als Maria Luise im März 1816 die Regierung von Parma übernahm, blieb der Prinz in Wien, und zwar nahm ihn der Kaiser Franz unter seine eigne Obhut. Sein Obersthofmeister war der Graf von Dietrichstein, sein Lehrer Matthäus von Collin. Ein zwischen den verbündeten Mächten 1817 abgeschlossener Vertrag beraubte ihn seines Erbrechts auf Parma, wofür ihm der Kaiser Franz die Herrschaft Reichstadt (s. d.) in Böhmen verlieh. Zugleich erteilte ihm der Großvater den Rang unmittelbar nach den Prinzen des österreichischen Hauses, das Prädikat „Durchlaucht“ und ein eignes Wappen. An seinem zwölften Geburtstag erhielt der Prinz das Fähnrichspatent, 1828 wurde er Hauptmann und 1830 Major. Die Thaten und das Schicksal seines Vaters waren ihm wohlbekannt, und er widmete demselben die leidenschaftlichste Verehrung. Mit Eifer gab er sich dem Studium der Kriegswissenschaft hin und verzehrte sich in unbefriedigtem Ehrgeiz nach großen Thaten. Seinen Wünschen und Plänen, den französischen Thron einzunehmen, setzte sich Metternich entgegen. Allzu rasch emporgewachsen, litt er an Blutmangel. Im April 1832 zeigten sich bei ihm die ersten Spuren der Lungenschwindsucht, die so reißende Fortschritte machte, daß er schon 22. Juli 1832 zu Schönbrunn in den Armen seiner Mutter starb. Er ward in der kaiserlichen Gruft zu Wien beigesetzt. Auf seinen Tod dichteten Barthélemy und Méry das berühmte „Le fils de l’homme“. Vgl. Montbel, Le duc de R. (Par. 1833); Saint-Félix, Histoire de Napoléon II (das. 1853); Graf v. Prokesch-Osten, Mein Verhältnis zum Herzog von R. (Stuttg. 1878).