Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Raumer“ in Meyers Konversations-Lexikon
Seite mit dem Stichwort „Raumer“ in Meyers Konversations-Lexikon
Band 13 (1889), Seite 606608
Mehr zum Thema bei
Wiktionary-Logo
Wiktionary:
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Indexseite
Empfohlene Zitierweise
Raumer. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 13, Seite 606–608. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Raumer (Version vom 16.03.2024)

[606] Raumer, 1) Friedrich Ludwig Georg von, deutscher Geschichtschreiber, geb. 14. Mai 1781 zu Wörlitz bei Dessau, studierte in Halle und Göttingen die Rechte und Staatswissenschaften, ward 1801 Referendar bei der kurmärkischen Kammer, 1802 Assessor und war 1806–1808 Chef eines Departements der Domänenkammer zu Wusterhausen bei Berlin. 1809 ward er Regierungsrat zu Potsdam, 1810 kam er in das Büreau des Staatskanzlers Hardenberg, und 1811 ward er zum Professor der Geschichte und Staatskunst zu Breslau ernannt. 1815–17 bereiste er Deutschland, die Schweiz und Italien. 1819 ward er als Professor der Staatswissenschaft nach Berlin berufen; doch beschränkte er sich meist auf geschichtliche Vorlesungen, und auch diese waren bei seinem Mangel an Rednertalent wenig besucht. Eine Zeitlang war er Mitglied des Oberzensurkollegiums, doch nahm er 1831 seine Entlassung. In diese Zeit fallen noch einige größere Reisen, wie die nach Frankreich (1830), England (1835), Italien (1839) und Amerika (1843), deren Resultate er in besondern Werken niederlegte. Die Aufnahme, welche eine von ihm 1847 in der Akademie zu Ehren Friedrichs d. Gr. gehaltene freimütige Rede in den höhern Kreisen fand, bewog ihn, seine Stelle als Sekretär und Mitglied der Akademie niederzulegen. Als Mitglied des deutschen Parlaments 1848 ward er als deutscher Gesandter [607] nach Paris geschickt. In der Folge ward er Mitglied der Ersten Kammer in Berlin und 1853 als Professor an der Universität emeritiert; doch setzte er seine Vorlesungen bis kurz vor seinem Tod (14. Juni 1873) fort. Der Entwickelung der deutschen Geschichtschreibung brach R. die Bahn, wenn er auch später von Jüngern, namentlich Ranke, überholt wurde. Seine spätern Arbeiten lassen namentlich eindringende Kritik und höhere Gesichtspunkte vermissen. Von seinen Schriften sind hervorzuheben: die anonym durch Johannes v. Müller zum Druck beförderten „Sechs Dialoge über Krieg und Handel“ (1806); „Vorlesungen über die alte Geschichte“ (Leipz. 1821, 2 Bde.; 3. Aufl. 1861); „Geschichte der Hohenstaufen und ihrer Zeit“ (das. 1823–25, 6 Bde.; 5. Aufl. 1878), ausgezeichnet durch meist gründliche Forschung und gediegene Darstellung; „Über die geschichtliche Entwickelung der Begriffe von Recht, Staat und Politik“ (das. 1826, 3. Aufl. 1861); „Über die preußische Städteordnung“ (das. 1828); „Briefe aus Paris zur Erläuterung der Geschichte des 16. und 17. Jahrhunderts“ (das. 1831, 2 Bde.); „Geschichte Europas seit dem Ende des 15. Jahrhunderts“ (das. 1832–50, 8 Bde.); „Beiträge zur neuern Geschichte aus dem Britischen Museum und Reichsarchiv“ (das. 1836–39, 5 Bde); „Die Vereinigten Staaten von Nordamerika“ (das. 1845); „Briefe aus Frankfurt und Paris 1848–1849“ (das. 1849, 2 Bde.); „Historisch-politische Briefe über die geselligen Verhältnisse der Menschen“ (das. 1860); „Handbuch zur Geschichte der Litteratur“ (das. 1864 bis 1866, 4 Bde.); „Litterarischer Nachlaß“ (Berl. 1869, 2 Bde.). Außerdem gab er seit 1830 das „Historische Taschenbuch“ heraus. Eine Sammlung von Reden, Aufsätzen etc. veröffentlichte er unter dem Titel: „Vermischte Schriften“ (Leipz. 1852–54, 3 Bde.), eine Selbstbiographie in „Lebenserinnerungen und Briefwechsel“ (das. 1861, 2 Bde.).

2) Karl Georg von, Geolog, Geograph und Pädagog, Bruder des vorigen, geb. 9. April 1783 zu Wörlitz, studierte in Göttingen und Halle, dann zu Freiberg unter Werner Mineralogie, ward 1810 beim Oberbergdepartement in Berlin, 1811 als Bergrat beim Oberbergamt in Breslau und zugleich als Professor der Mineralogie an der dortigen Universität angestellt, nahm 1813 und 1814 als Freiwilliger am Befreiungskrieg teil und ward 1819 an die Universität Halle und an das dortige Oberbergamt versetzt. Nachdem er hier 1823 seinen Abschied genommen, schloß er sich an das Dittmarsche Erziehungsinstitut in Nürnberg an u. ging 1827 als Professor der Naturgeschichte nach Erlangen, wo er 2. Juni 1865 starb. Er schrieb: „Geognostische Fragmente“ (Nürnb. 1811); „Der Granit des Riesengebirges“ (Berl. 1813); „Das Gebirge Niederschlesiens“ (das. 1819); „Versuch eines ABC-Buchs der Kristallkunde“ (das. 1820, Bd. 1; Nachtrag 1821); „Vermischte Schriften“ (das. 1819 bis 1822, 2 Bde.) und „Kreuzzüge“ (Stuttg. 1840–1865, 2 Bde.); ferner „Lehrbuch der allgemeinen Geographie“ (Leipz. 1832, 3. Aufl. 1848); „Beschreibung der Erdoberfläche“ (6. Aufl., das. 1866); „Palästina“ (das. 1835, 4. Aufl. 1860). Sein Hauptwerk ist die „Geschichte der Pädagogik“ (Stuttg. 1843–1851, 3 Bde.; 5. Aufl., Gütersl. 1878–80, 4 Bde.), woraus als Sonderabdruck erschien: „Die Erziehung der Mädchen“ (4. Aufl., das. 1886). Raumers „Leben von ihm selbst erzählt“ erschien nach seinem Tod (Stuttg. 1866).

3) Georg Wilhelm von, verdienter deutscher Geschichtsforscher, geb. 19. Sept. 1800 zu Berlin, Sohn des Wirklichen Geheimen Rats und Direktors im Ministerium des königlichen Hauses und der Archive, Karl Georg von R. (geb. 16. Nov. 1753 zu Dessau, gest. 2. Juli 1833), studierte in Berlin, Heidelberg und Göttingen die Rechte, trat 1823 in den Staatsdienst, ward Assessor bei dem Kammergericht in Berlin, 1829 Hilfsarbeiter im Finanzministerium, 1833 Rat beim preußischen Handelsministerium und bei der Archivverwaltung, 1843 Direktor sämtlicher preußischer Archive und 1844 Mitglied des Staatsrats. Nachdem er noch die Trennung des großen Archivs zu Berlin in ein Staats- und ein königliches Hausarchiv zu stande gebracht, legte er die Direktion der Archive 1851 nieder. Er machte 11. März 1856 seinem Leben durch einen Pistolenschuß ein Ende. Er schrieb: „Über die älteste Geschichte und Verfassung der Kurmark“ (Berl. 1830); „Novus codex diplomaticus brandenburgensis“ (das. 1831–33, 2 Bde.); „Regesta historiae brandenburgensis“ (das. 1836, Bd. 1), dazu „Historische Karten und Stammtafeln“, bis 1200 (1837); „Die Insel Wollin und das Seebad Misdroy“, historische Skizze (das. 1851).

4) Karl Otto von, preuß. Staatsmann, Sohn des 1831 verstorbenen preußischen Generalleutnants Karl Friedrich Albert von R., Vetter des vorigen, geb. 17. Sept. 1805 zu Stargard in Pommern, besuchte das Gymnasium zu Stettin, studierte sodann in Göttingen und Berlin die Rechte, war hierauf Regierungsrat in Posen und Frankfurt a. O., ward 1840 als Hilfsarbeiter in das Finanzministerium berufen, 1841 zum vortragenden Rat im Ministerium des Innern, 1845 zum Regierungspräsidenten in Königsberg, dann in Köln, 1848 in Frankfurt a. O. ernannt, übernahm 19. Dez. 1850 unter Manteuffel das Unterrichtsministerium und trat mit jenem im November 1858 zurück. Er war ein Hauptvertreter der orthodox-absolutistischen Reaktion. Unter seinen verschiedenen unpopulären Maßregeln fanden den entschiedensten Widerspruch die 1854 erschienenen sogen. (Stiehlschen) „Regulative“, da der Versuch derselben, das christlich-kirchliche Element zum Fundament der Volksschule zu machen und den Zöglingen der Seminare selbst die Beschäftigung mit den deutschen Klassikern zu versagen, ihr Verdienst: die Bestrebung einer Begrenzung und Vereinfachung des Lehrstoffs, übersehen ließ. R. starb 6. Aug. 1859 in Berlin. Vgl. „Der Staatsminister von R.“ (Berl. 1860).

5) Rudolf von, Sprachforscher, Sohn von R. 2), geb. 14. April 1815 zu Breslau, ward 1846 außerordentlicher und 1852 ordentlicher Professor der deutschen Sprache und Litteratur zu Erlangen; starb 30. Aug. 1876 daselbst. Von seinen Werken sind hervorzuheben: „Die Aspiration und die Lautverschiebung“ (Leipz. 1837); „Die Einwirkung des Christentums auf die althochdeutsche Sprache“ (Stuttg. 1845); „Vom deutschen Geist“ (Erlang. 1848, 2. Aufl. 1850); „Über deutsche Rechtschreibung“ (Wien 1855); „Der Unterricht im Deutschen“ (3. Aufl., Gütersl. 1857); „Deutsche Versuche“ (Erlang. 1861); „Gesammelte sprachwissenschaftliche Schriften“ (Frankf. 1863) und als sein Hauptwerk „Geschichte der germanischen Philologie“ (Münch. 1870). Auch bearbeitete er die den Unterricht im Deutschen betreffende Abteilung in seines Vaters „Geschichte der Pädagogik“ und verfaßte als bewährter Forscher auf dem Felde der Rechtschreibung 1875 im Auftrag der deutschen Bundesregierungen den vielbesprochenen „Entwurf zur Reform der deutschen Orthographie“, welcher den Beratungen der Anfang 1876 in Berlin zusammenberufenen orthographischen Konferenz zur Grundlage [608] diente. Vgl. seine „Erläuterungen zu den Ergebnissen der orthographischen Konferenz“ (Halle 1876).