MKL1888:Quecksilber
[502] Quecksilber (Hydrargyrum, Mercurius, Argentum vivum) Hg, das einzige bei gewöhnlicher Temperatur flüssige Metall, findet sich gediegen (Jungfernquecksilber, Merkur) in kleinen Tröpfchen in ältern Gesteinen, seltener im Diluvium, bei Moschel und Wolfstein in Rheinbayern, in Kärnten, Krain, Tirol, Böhmen, Ungarn, Spanien, Kalifornien, Mexiko, Peru, China und Australien; außerdem mit Silber oder Gold legiert als Amalgam, mit Chlor verbunden als Quecksilberhornerz, in gewissen Fahlerzen, am häufigsten mit Schwefel verbunden, als Zinnober HgS mit 86,3 Proz. Q.
Die Gewinnung des Quecksilbers ist verhältnismäßig einfach, weil das Erz, der Zinnober, leicht zerlegt und das Metall durch Destillation ziemlich rein abgeschieden werden kann. Am einfachsten und billigsten wird das Erz bei Luftzutritt geröstet, doch mischen sich hierbei die Metalldämpfe mit großen Mengen glühender Gase und lassen sich schwer kondensieren. Zum Verdichten sind große gemauerte, trockne oder von außen durch Wasser gekühlte Kammern oder Kanäle, in welche Wasser einfließt, den röhrenförmig zusammengefügten birnförmigen Vorlagen aus Thon (Aludeln) vorzuziehen. Statt der Kammern wendet man auch gußeiserne oder hölzerne Röhren an, die von kaltem Wasser umströmt werden. Arbeitet man mit Schachtöfen mit unterbrochenem Betrieb, so erleidet man, von andern Übelständen abgesehen, große Verluste an Q. Bei kontinuierlichem Betrieb verwendet man für Erze in größern Bruchstücken Schachtöfen, für armes Erzklein und Schliege dagegen Flammöfen. Häufig befeuchtet man Schliege auch mit Vitriollauge und formt sie zu Ziegeln, welche bei der Verarbeitung in Schachtöfen mancherlei Vorteile gewähren. Eine vollständigere Kondensation des Quecksilbers erhält man durch Vermengen der zerkleinerten Erze mit Kalk, Eisenhammerschlag etc. und Zersetzung der Masse in thönernen oder gußeisernen festliegenden oder rotierenden Retorten, in liegenden oder stehenden Röhren bei Luftabschluß. Auch bei diesem Verfahren hat man sich bemüht, einen kontinuierlichen Betrieb einzuführen (Ures Ofen, Exelis Muffelofen). Patera zersetzt neuerdings in Idria das Zinnobererz in Muffeln bei Luftzutritt und erhält dabei ein Ausbringen von 88–90 Proz. Q. Die Kondensation der Dämpfe findet in einem weiten, von Wasser umströmten horizontalen Blechrohr mit Ausbauchung nach unten statt; aus dem Blechrohr führt ein Thonröhrenstrang in die Esse. In Kalifornien, wo man besondern Wert auf Massenproduktion legte, wurde der Schachtofen in der verschiedensten Weise (hinsichtlich der Gestalt, der Dimensionen, der Abführungsart der Dämpfe etc.) modifiziert; auch versuchte man, armen Quecksilbererzen ihren Metallgehalt auf nassem Weg zu entziehen. Das gewonnene Q. wird durch feuchte Leinwand oder feines Leder gepreßt oder nochmals destilliert. An den Wänden der Kondensationskammern oder der Retorten sammelt sich ein inniges Gemenge von fein zerteiltem Q., Schwefelquecksilber, Quecksilberoxyd, Chlorquecksilber, flüchtigem Öl, Idrialin, Ruß etc. Diese Masse (Quecksilberschwarz, Quecksilberruß, Stupp) wird durch Drücken mit einer Krücke von metallischem Q. befreit und dann zur Beschickung gegeben oder in einem eignen Ofen zu gute gemacht oder mit heißem Wasser und Holzasche oder einem Alkali tüchtig umgerührt, wobei sich reines Q. ausscheidet. Man verschickt das Q. entweder in doppelten Beuteln, die aus einem zusammengeschlagenen, sämisch gegerbten Hammelfell hergestellt und in Fäßchen verpackt werden, oder in schmiedeeisernen zugeschraubten Flaschen von 761/2 Pfd. engl. Inhalt. Von China aus ist das Q. in mit Harz verschlossenen Bambusstäben von 30 cm Länge, 5 cm Weite und 14,5 kg Inhalt in den Handel gekommen. Als Mittel gegen Quecksilberdämpfe, welche auf den [503] tierischen Organismus höchst schädlich wirken, ist empfohlen, Schwefelblumen oder noch besser Chlorkalk in den betreffenden Räumen aufzustellen, Waschen der Arbeiter mit schwach chlorhaltigem Wasser, öfteres Räuchern der Kleidung mit Chlor und innerlich Jodkalium. Das Q. des Handels enthält Blei, Zinn, Wismut, Kupfer um so mehr, je weniger sich die Tropfen des Metalls runden, und je träger sie fließen; unreines Q. bildet beim Schütteln mit Luft eine an das Glas sich anhängende Haut. Man filtriert es durch ein Filter von starkem Papier, in dessen Spitze man ein feines Loch gestochen hat, destilliert es zu weiterer Reinigung und erhält dann ganz reines Q. durch wochenlange Einwirkung kalter konzentrierter Schwefelsäure, durch Digerieren mit sehr verdünnter Salpetersäure, salpetersaurem Quecksilberoxydul oder Quecksilberchlorid oder durch Zusammenreiben mit Eisenchlorid, Waschen, Spülen und Trocknen. – Reines Q. ist fast zinnweiß, in sehr dünnen Schichten violettblau durchscheinend, es hängt sich nicht an die Wandungen des Gefäßes, und seine Oberfläche bleibt beim Fließen vollkommen abgerundet. Es erstarrt bei −39,5°, ist dann geschmeidig, weich wie Blei, auch kristallisierbar, siedet bei 357°, verdampft aber schon bei gewöhnlicher Temperatur und sehr bemerkbar bei 40°, spez. Gew. 13,59, im starren Zustand 14,39, Atomgewicht 199,8. Durch Verreiben mit Zucker, Schwefel, Fett und durch Schütteln mit Chlorcalciumlösung, Salpeterlösung oder Essigsäure kann es äußerst fein verteilt werden. Es hält sich an der Luft unverändert, bildet aber bei längerm Erhitzen an der Luft rotes Quecksilberoxyd; es verbindet sich leicht mit Chlor und Schwefel, löst sich in verdünnter Salpetersäure und in heißer, konzentrierter Schwefelsäure und wird durch Kohle, Phosphor, Zink, Eisen, Zinn, Blei, Kupfer aus seinen Lösungen gefällt. Q. bildet zwei Reihen von Verbindungen; in den Quecksilberoxydverbindungen ist nur ein zweiwertiges Atom Q. enthalten, in den Quecksilberoxydulverbindungen enthält das Molekül die zweiwertige Atomgruppe Hg2. Man kennt nur zwei Oxydationsstufen, das Oxydul Hg2O und das Oxyd HgO. Quecksilberdämpfe sind sehr giftig, die im Magen löslichen Verbindungen gehören zu den heftigsten Giften.
Man benutzt das Q. zu Barometern, Thermometern, Manometern und zu analytischen Arbeiten, zur Gewinnung von Gold und Silber, zu Feuervergoldung, zu Spiegeln und zur Darstellung zahlreicher Quecksilberpräparate, die in der Technik vielfache Anwendung finden. In der Medizin wurde Q. schon von den arabischen Ärzten, aber nur äußerlich, angewandt; erst van Swieten verallgemeinerte die innerliche Anwendung, und seitdem sind Quecksilberpräparate die wichtigsten Arzneimittel geworden. Metallisches Q. gibt man in Dosen bis zu 500 g und darüber bei Darmverschlingungen, wo es rein durch die mechanische Wirkung des schweren Körpers die dislozierten Gedärme wieder in die richtige Lage bringen soll. In feiner Verteilung mit Kreide erscheint es in den von den Engländern als mildes Abführmittel gebrauchten blue pills. Mit Fett verrieben, als graue Salbe, wird es zu Einreibungen in die Haut angewendet als Mittel gegen Parasiten (dieselben werden sehr schnell dadurch getötet), ferner als entzündungswidriges Mittel bei Entzündungen der Haut und innerer Organe. Von seinen Verbindungen werden Kalomel, roter und weißer Quecksilberpräzipitat gegen Krankheiten der äußern Haut und der Schleimhäute verwendet; Kalomel dient als starkes Abführmittel. Ein unschätzbares und wahrhaft spezifisches Mittel ist Q. gegen Syphilis. Auf gesunder Haut und Schleimhaut wirkt Q. als Reizmittel, verursacht Entzündung der äußern Haut, der Schleimhaut der Luftwege, stärkere Absonderung von der Magen- und Darmschleimhaut mit vermehrter und beschleunigter Bewegung des ganzen Darms. Die Wirkung auf erkrankte Gewebe dagegen ist eine umstimmende und bei Entzündungen, die zur Eiterung neigen, eine Entzündung bekämpfende. Wird Q. in einigermaßen erheblichen Gaben angewendet, so tritt mit der Aufnahme desselben in die allgemeine Blutmasse die Allgemeinwirkung (Merkurialismus) hervor und zwar besonders ausgesprochen im Gebiet des Verdauungskanals. Zu dem sogen. Speichelfluß, bedingt durch die intensive Reizung der Speicheldrüsen, gesellt sich eine Entzündung der Mundschleimhaut, das Zahnfleisch schwillt an, an seinem Rand gegen die Zähne bildet sich ein gelblicher, später schmutzig grauer Belag, die Zähne werden gelockert. Erfolgt die Wirkung noch weiter, so bilden sich ausgedehnte Geschwüre und weiterhin eine von scheußlichem Gestank aus dem Mund begleitete, wirklich brandige Entzündung der Mundschleimhaut. Gleichzeitig gesellt sich dazu ein Leiden des Magens und Darms sowie Erscheinungen allgemeiner Schwäche (s. Quecksilbervergiftung). Auf welche Weise die spezifische Wirkung des Quecksilbers bei Syphilis zu erklären ist, weiß man nicht. Das in die allgemeine Säftemasse aufgenommene Q. wird bald schneller, bald langsamer ausgeschieden und zwar durch die Leber, die Darmabsonderung, die Nieren, Speicheldrüsen und durch die Haut. Unter Umständen kann es ein Jahr und darüber im Körper verharren.
Q. wird zuerst von Theophrast erwähnt, welcher auch die Darstellung aus Zinnober mit Hilfe von Essig und Kupfer kannte; Dioskorides nannte das Metall hydrargyros und spricht von der Zersetzung des Zinnobers durch Erhitzen mit Eisen. Die Alchimisten knüpften an das Q. viele Spekulationen, und auch die medizinischen Chemiker beschäftigten sich viel mit demselben, so daß seine Verbindungen nächst denen des Antimons am frühsten bekannt wurden. Seit Lavoisier gilt es für einen einfachen Körper. Die Griechen bezogen schon 700 v. Chr. Zinnober aus Spanien, und die Quecksilberminen von Almaden wurden vielleicht schon von den Phönikern betrieben. In der Römerzeit gewann man jährlich 5000 kg und verschloß dann die Minen. Nach der Entdeckung der amerikanischen Silberminen steigerte sich die spanische Quecksilberproduktion sehr stark. Die peruanischen Zinnoberminen von Huencavelica (im 18. Jahrh. geschlossen) gaben wenig Ausbeute, und was in Idria über den eignen Bedarf in Österreich hinaus produziert wurde, kauften die Spanier von der Regierung und blieben mithin Monopolisten. 1525–1645 bereicherte sich die Familie Fugger an diesem ihr überlassenen Monopol. Während das Vorkommen in Toscana und China für den Weltmarkt ohne Bedeutung blieb, brachte die Entdeckung von Zinnober in Kalifornien eine vollständige Revolution hervor. Gegenwärtig hat Kalifornien die größte Produktion, und Spanien steht in zweiter Linie, während Peru, Österreich, Frankreich und Italien geringere Mengen liefern. Der europäische Quecksilberhandel wird gegenwärtig in der rücksichtslosesten Weise von Rothschild in London als Monopolisten beherrscht.
[693] Quecksilber ist meist mit fremden Metallen (Blei, Kupfer, Wismut, Zinn etc.) und Staub verunreinigt. Reines Q. bildet beim Laufen auf einer schwach geneigten, glatten Oberfläche runde Kugeln, während unreines Q. thränenartig aussehende Tropfen bildet und einen grauen Schweif zieht. Auf diese Weise lassen sich 0,00095 Proz. Zink, 0,0012 Proz. Zinn, 0,0018 Proz. Blei, 0,0015 Proz. Kadmium und 0,0027 Proz. Wismut, nicht aber Kupfer, Silber, Gold im Q. erkennen. Beim Schütteln mit Luft bildet unreines Q. eine an der Glaswand adhärierende Haut oder ein schwarzes Pulver, und es gibt sich hierdurch eine Verunreinigung mit 1/40000 Blei kund. Löst man Q. in möglichst wenig Salpetersäure und verdampft zur Trockne, so bleiben die Oxyde der verunreinigenden Metalle zurück. Behandelt man diese mit warmer verdünnter Salpetersäure, so bleibt Zinnoxyd ungelöst, das verdampfte Filtrat gibt mit verdünnter Schwefelsäure einen Niederschlag von schwefelsaurem Bleioxyd. Das Filtrat von letzterm gibt mit Schwefelwasserstoff einen Niederschlag von Schwefelkupfer und Schwefelwismut. Die vom ausgeschiedenen Schwefel abfiltrierte Lösung desselben in heißer Salpetersäure gibt beim Übersättigen mit Ammoniak eine blaue Flüssigkeit, während sich weißes Wismuthydroxyd abscheidet. Aus dem Filtrat von den beiden Schwefelmetallen fällt Schwefelammonium weißes Schwefelzink. Reines Q. wird von Salzsäure nicht angegriffen, ist es oxydhaltig, so geht Q. in Lösung, in welcher dann Schwefelwasserstoff einen schwarzen Niederschlag erzeugt und blankes Kupfer silberweiß wird. Meist sind die verunreinigenden Metalle in so geringer Menge zugegen, daß sie sich nur bei Anwendung größerer Mengen Q. nachweisen lassen.
Bei der Gewinnung des Quecksilbers unterliegen die Arbeiter chronischer Vergiftung, gegen welche [694] Reinlichkeit und Ventilation, Schutz der Mund- und Nasenhöhle sichern. Bei der Verarbeitung von Q. macht sich die überaus schädliche Wirkung der Dämpfe des Quecksilbers nicht minder geltend. Dies ist besonders in den Spiegelbeleganstalten der Fall, wo sich die Arbeitsräume reichlich mit den Dämpfen füllen. Es ist daher auf gute Ventilation und namentlich auch auf Vermeidung des Verspritzens von Q. zu achten. Der Fußboden sollte aus Schiefer oder Asphalt bestehen, auf welchem das Metall gut sichtbar ist, und eine geringe Neigung gegen Querrinnen besitzen. Sehr gefährlich ist das Reinigen des Fußbodens, wobei vorteilhaft Stanniolabfälle benutzt werden. Allerlei Dämpfe, welche zur Unschädlichmachung des Quecksilberdampfes empfohlen worden sind, haben sich nicht bewährt. Niedrige Temperatur der möglichst großen Arbeitsräume (Nordlage), Reinlichkeit, glatte, faltenlose Kleidung, kurz geschorenes Haar, welches mit Papiermütze bedeckt wird, Waschen der Fabrikkleidung mit verdünnter Lösung von Schwefelalkalien bilden den besten Schutz. Warme oder Schwefelbäder sind empfehlenswert; niemals darf im Arbeitsraum gegessen werden. Minder gefährlich als die Spiegelbelegung sind die mannigfachen andern Arbeiten, bei welchen Q. benutzt wird, doch treten bei empfindlichen Personen auch hier Vergiftungen auf. Bei der Darstellung von Zinnober kommen quecksilberhaltiger Staub, Quecksilberdämpfe, Schwefelwasserstoff und schweflige Säure in Betracht, andre Dämpfe entwickeln sich bei Darstellung von Kalomel, Sublimat, Quecksilberoxyd. Von diesen Verbindungen erfordert das höchst giftige Sublimat die weitestgehenden Vorsichtsmaßregeln.