MKL1888:Pseudomorphosen

Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Pseudomorphosen“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 13 (1889), Seite 437438
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Pseudomorphosen. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 13, Seite 437–438. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Pseudomorphosen (Version vom 03.10.2022)

[437] Pseudomorphosen (Afterkristalle), scheinbare Kristallgestalten, aus kristallinischen Aggregaten oder amorpher Substanz aufgebaut und äußerlich die Kristallform einer andern Substanz nachahmend. Das Charakteristische der P. ist demnach der Widerstreit zwischen Substanz und Form, ein Widerstreit, den man bei der Bezeichnung der P. durch Aufführung der Substanz und Beifügung des Namens der Mineralspezies, deren Formen imitiert sind, mit der Präposition „nach“ ausdrückt, z. B. Malachit nach Rotkupfererz: die zusammensetzende Substanz ist Malachit (basisches Kupfercarbonat Cu2CO4 + H2O), die Form aber ist nicht die für Malachit charakteristische, sondern eine sonst von Rotkupfererz (Kupferoxydul Cu2O) hervorgebrachte. Da übereinstimmende Beobachtungen die Kristallform als etwas der Natur der Substanz Entsprechendes erkennen lassen, so daß eine bestimmte Kristallform nur von einer bestimmten Substanz erzeugt werden kann, so ist das Auftreten der P. in dem Sinn zu deuten, daß früher diejenige Substanz vorhanden war, welche die noch erhaltene Form erfahrungsmäßig allein erzeugen kann, und mittels physikalischer oder chemischer Prozesse durch die jetzt die Form tragende Substanz ersetzt wurde. In dieser allein möglichen Erklärung der Entstehung der P. liegt die große Bedeutung derselben für mineralogische und geologische Spekulationen. P. vereinen in sich die Signale des Anfangs (die allein erhaltene Form der ehemaligen Substanz) und des Endes (die die Form jetzt tragende Substanz), eines Umwandlungsprozesses, dessen Verlauf auch dann nicht bestritten werden kann, wenn die einzelnen Phasen desselben chemisch nur schwer oder gar nicht erklärt werden können. So findet man Speckstein (Magnesiumsilikathydrat Mg3Si4O11 + H2O) in Formen des Quarzes (Kieselsäureanhydrid SiO2). Die Unangreifbarkeit des Quarzes durch Agenzien, welche in der Natur zirkulieren, läßt den Prozeß einer Zersetzung des Quarzes durch ein seinerseits ebenfalls schwer lösliches Magnesiumsilikat nur schwer erklärlich erscheinen; dessenungeachtet aber muß man den Prozeß selbst eben durch das Auftreten der genannten P. als erwiesen betrachten. Man wird sogar die Annahme eines durch P. als möglich bewiesenen Umwandlungsprozesses nicht ausschließlich auf die ziemlich [438] seltenen Fälle der P. selbst beschränken dürfen, da nur unter besonders günstigen Umständen sich der Prozeß so langsam und man möchte sagen vorsichtig vollzogen haben kann, daß eine Wahrung der Form trotz der Umwandlung möglich war. So dürften einem jeden durch P. erhärteten Umwandlungsprozeß Hunderte gleicher Tendenz entsprechen, bei denen die Reaktionen zu stürmisch verliefen, als daß die Form hätte bestehen bleiben können.

Man pflegt die P. in Umhüllungs-, Ausfüllungs- und Umwandlungspseudomorphosen einzuteilen. Eine dünne Kruste verschiedenartigen Materials hüllt die Kristallform einer Substanz ein, so daß die Oberfläche der Kruste die dem einhüllenden Material selbst fremde Form der eingehüllten Substanz wiedergibt (Umhüllungspseudomorphosen). So bildet Quarz in papierdünnen Krusten Umhüllungspseudomorphosen nach Kalkspat. Verschwindet der Kern einer solchen Krustenbildung, so kann entweder die Innenseite der Umhüllungspseudomorphosen den Abdruck der ehemaligen Kristallgestalt konservieren, oder es tritt in den Hohlraum anderweitig Mineralsubstanz ein (oft dieselbe, aus welcher die Hülle besteht, oder doch eine Varietät derselben), die nun einen Abguß der ihr selbst fremden Form darstellt (Ausfüllungspseudomorphosen). Umwandlungspseudomorphosen endlich entstehen durch teilweisen oder gänzlichen Austausch der Bestandteile. Liegen P. der einen Modifikation eines dimorphen Körpers nach der andern vor (wie Aragonit nach Kalkspat, Rutil nach Anatas), so vollzog sich die Umwandlung durch innere Umlagerung der Atome ohne Aufnahme oder Abgabe von Bestandteilen (Paramorphosen). Andre P. entstehen lediglich durch Verlust von Bestandteilen (Apomorphosen), so gediegen Kupfer nach Rotkupfererz (Cu2O), Silberglanz nach Rotgüldigerz (Ag3SbS3 = Ag6Sb2S6 wurde durch Verlust von Sb2S3 zu 3Ag2S); wieder andre durch Aufnahme von Bestandteilen (Epimorphosen), so Gips nach Anhydrit (zu CaSO2 treten 2H2O), Bleivitriol nach Bleiglanz (PbSO4 aus PbS); endlich solche durch Austausch von Bestandteilen (partielle Allomorphosen), so Brauneisenerz nach Eisenkies (H6Fe4O9 = 4FeS2 − 8S + 6O + 3H2O), Kaolin nach Feldspat: (H4Al2Si2O9 = K2Al2Si6O16 − K2O − 4SiO2 + 2H2O). Der letztgenannten Abteilung sind auch diejenigen P. zuzurechnen, bei denen der Zusammenhang zwischen der ursprünglichen und der die P. tragenden Substanz nicht mehr nachweisbar ist (totale Allomorphosen), so Quarz nach Flußspat (CaFl2 wurde zu SiO2), Pyrolusit nach Kalkspat (MnO2 aus CaCO3 entstanden). Man ist jetzt geneigt, auch für diese totalen Allomorphosen eine Serie von Umwandlungsprozessen anzunehmen, deren Zwischenglieder nicht erhalten sind, wodurch der Verlauf der einzelnen chemischen Vorgänge schwer verständlich wird oder nur hypothetisch konstruierbar ist. So könnte man bei dem einen der beiden Beispiele an einen manganhaltigen Kalkspat denken, der unter Verlust von CaCO3 sich zu Manganspat und aus diesem zu Pyrolusit umwandelt. Früher glaubte man einen mikrophysikalischen Weg, eine „Verdrängung“ der alten Substanz durch die neue, Atom für Atom, annehmen zu müssen und nannte diese P. Verdrängungspseudomorphosen.

Unterstützt wird die Ansicht von der Entstehung der P. vermittelst umwandelnder Prozesse einerseits durch die Beobachtung noch erhaltener Kerne in äußerlich schon umgewandelten Stücken (so bestehen häufig Würfel äußerlich aus Brauneisenstein, innerlich aus dem die Form bedingenden Eisenkies), anderseits durch die Möglichkeit der künstlichen Erzeugung von P. Für letztere ist eins der bekanntesten Beispiele und zwar das einer Paramorphose die Umwandlung der durch Schmelzen erhaltenen monoklinen Kristalle des Schwefels in ein Aggregat von rhombischen Formen durch Befeuchten mit Schwefelkohlenstoff. Die oben erwähnten P. von Silberglanz nach Rotgüldigerz lassen sich künstlich durch Einlegen von Kristallen der letztern Substanz in eine Lösung von Schwefelalkalien darstellen. Zahlreiche sonstige Methoden zur Gewinnung künstlicher P. gaben Scheerer, Stein, Sorby, Knop u. a. an.

Aus der oben gegebenen Definition des Begriffs der P. erhellt, daß in gewissem Sinn auch die Versteinerungen hierher zu zählen sind, insofern jetzt eine ursprünglich durch den tierischen oder pflanzlichen Lebensprozeß erzeugte Form von einer mineralischen aus der zuerst vorhandenen, meist durch völligen Austausch der Bestandteile entstandenen Substanz getragen wird. Vgl. Breithaupt, Über die Echtheit der Kristalle (Freiberg 1815); Landgrebe, Über die P. im Mineralreich (Kassel 1841); Blum, Die P. des Mineralreichs (Stuttg. 1843, mit vier Nachträgen 1847–79; Hauptwerk und vollständigste Aufzählung der P.); Winkler, Die P. des Mineralreichs (Münch. 1855); Scheerers Artikel „Afterkristalle“ in dem „Handwörterbuch der reinen und angewandten Chemie“ (1857); Delesse, Recherches sur les pseudomorphoses (Par. 1859); Geinitz im „Neuen Jahrbuch für Mineralogie“ 1877 und in Tschermaks „Mineralogischen und petrographischen Mitteilungen“ 1879 (nach Geinitz ist die oben gegebene Einteilung der Umwandlungspseudomorphosen). Endlich gibt Roth im 1. Band seiner „Allgemeinen und chemischen Geologie“ (Berl. 1879) ein sehr vollständiges Verzeichnis der bekannten P.