MKL1888:Pseudo-Isidōrus
[437] Pseudo-Isidōrus. Mit diesem Namen bezeichnet man eine Sammlung von päpstlichen Dekretalen, unter welchen gerade die ältesten und wichtigsten, 60 Briefe der römischen Bischöfe von Clemens Romanus bis auf Melchiades (314), gefälscht sind und die um die Mitte des 9. Jahrh., wo die Sammlung entstanden ist, erhobenen Ansprüche des Papsttums in die älteste Zeit übertragen. Schon die barbarische Sprache, zahlreiche Anachronismen (so finden sich in ihnen den Beschlüssen der Synode zu Paris 829 wörtlich entlehnte Stellen) und der Umstand, daß weder Papst Hadrian I. noch Dionysius der Kleine diese Dekretalen kannten, verrieten ihre Unechtheit. Aber Papst Nikolaus I., wiewohl ihre Unechtheit einsehend, gebrauchte sie 865 im Interesse des Papsttums als echt, und Gratianus (s. d. 3) nahm 1130 viele derselben in sein Dekret auf. Dadurch wurden sie formale Grundlage des mittelalterlichen Kirchenrechts. Ihre Grundgedanken sind: das Priestertum die von Christus eingesetzte weltregierende Macht; die Bischöfe als Beauftragte des Papstes direkt unter diesem stehend; ihre Emanzipation sowohl vom Metropoliten als von der weltlichen Macht; Konzentration der ganzen Kirche im Papst. Erst Erasmus und die Reformatoren machten wieder auf die Unechtheit der Dekretalen aufmerksam, und seitdem wird dieselbe fast durchgängig auch von den katholischen Gelehrten zugegeben. Den Verfasser dieser Sammlung („Collectio Isidori Mercatoris“), Isidorus Mercator oder Peccator genannt, verwechselte man mit dem gleichnamigen Bischof von Hispalis (s. Isidorus 2). Sie erschien in kritischer Ausgabe von Hinschius (Leipz. 1863). Vgl. Wasserschleben, Beiträge zur Geschichte der falschen Dekretalen (Bresl. 1844), und B. Simson, Die Entstehung der Pseudo-Isidorischen Fälschungen in Le Mans (Leipz. 1886).