Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Posse“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 13 (1889), Seite 272273
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Posse. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 13, Seite 272–273. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Posse (Version vom 23.05.2024)

[272] Posse (lat.), das Können; s. A posse ad esse.

Posse, ein Ausdruck der Poetik, der in verschiedenem Sinn gebraucht wird. In dem einen bezeichnet er eine Art des Komischen (s. d.) und zwar das Niedrig-Komische, dessen Ungereimtheit einzusehen es nur eines mäßigen Grades von Verstandesbildung bedarf, dessen Wirkung daher auf die niedern Volksschichten berechnet und nicht nur in allgemeinern, sondern auch gemeinern Kreisen zu Haus ist als das höhere Komische. Träger der P. in diesem Sinn ist die sogen. lustige Person (Lustigmacher, Possenreißer; Hanswurst in der deutschen, Arlecchino in der italienischen Stegreifkomödie), in der dramatischen Poesie das niedere Lustspiel (Volkskomödie). Im andern Sinn wird das Wort in der Redensart „einen Possen spielen“ gebraucht und dadurch eine Handlung bezeichnet, welche nicht bloß (wie das Komische) andre lachen, sondern andre lächerlich zu machen bestimmt ist. In diesem Sinn verstanden, ist die P. keineswegs gutmütig, sondern im Gegenteil boshaft und ebensowenig unschädlich, sondern im Gegenteil schadenfroh, während das Komische (auch das Niedrig-Komische) beides, sowohl gutmütig als unschädlich, ist. Träger der P. in diesem Sinn ist die „lächerliche Person“ (der betrogene Alte, der bestohlene Geizhals etc.; der Vater in der griechisch-römischen, Pantalone in der italienischen Stegreif-, Harpagon in der Molièreschen Komödie), in der dramatischen Litteratur die eigentliche P. oder das „Possenspiel“ (s. Drama). Während im niedern Lustspiel der Glückswechsel vom Bessern zum Schlimmern stattfindet, aber so, daß das schließliche Unglück nur in der Einbildung des davon Betroffenen besteht, findet derselbe im Possenspiel vom Schlimmern zum Bessern statt (Glückspilz, Glücksposse), aber so, daß das Glück nur in der Einbildung des dasselbe vermeintlich Besitzenden besteht, also im Grund keins ist (Narr des Glücks, P. des Glücks). Der erstere Fall macht uns lachen, weil der vermeintlich Unglückliche nicht unglücklich, letzterer Fall macht den „Glücklichen“ lächerlich, weil er nicht glücklicher ist, als er schon früher war. Der Glückswechsel in der niedern Komödie ist komisch, jener in der P. selbst ein „Possenspiel“. Dem Habsüchtigen, dessen vermeintlicher Reichtum sich in ein Aschenhäufchen verwandelt, dem verliebten Alten, welchem die reizende Braut unter der Nase weggeführt wird, wird „ein Possen gespielt“, entweder vom Zufall (Zufallsposse), oder von Klügern als er (Schwank), oder von neckenden Dämonen (Feen-, Geister- und Zauberposse). Geht die P. darauf aus, eine bestimmte Person lächerlich zu machen, so wird sie zum (dramatischen) Pasquill (Kleon bei Aristophanes); wählt sie zu demselben Zweck die Einwohner eines bestimmten Ortes (die Sitten, Gebräuche, Sprache etc. einer Stadt, eines Landes), so entsteht die Lokalposse (wie sie im Altertum Athen und Rom, in der Neuzeit große Städte, wie Paris, Wien, Berlin, in eigentümlicher Weise und im eignen Dialekt ausgebildet haben). Wird der Mensch überhaupt und die Menschenwelt (zu welcher der sich mit verspottende Dichter selbst gehört) lächerlich gemacht, so entsteht die humoristische (weltverlachende) P. (Tiecks „Verkehrte Welt“, Krasinskis „Ungöttliche Komödie“). In der Lokalposse haben sich Nestroy, Gleich, Kaiser u. a. in Wien, L. Angely, Kalisch, L’Arronge u. a. in Berlin ausgezeichnet. Durch die Verbindung der Lokal- mit der Zauberposse hat Raimund in Wien („Der Verschwender“, „Alpenkönig und Menschenfeind“ u. a.) ein eigentümliches Genre phantasievollen Possenspiels begründet.

[273] Posse, Arvid, Graf, schwed. Staatsmann, geb. 15. Febr. 1820 auf Rosendal in Schonen, studierte in Lund und war 1847–49 dem Hofgericht von Schonen beigegeben, wandte sich dann aber der Verwaltung seiner Güter zu. 1856 trat er in das Ritterhaus des Reichstags und verfocht hier die Vorrechte des Adels gegen die Versuche einer Verfassungsreform. Nach der Annahme derselben (1866) ward er in die Zweite Kammer des Reichstags gewählt und stellte sich als Verfechter radikaler Reformen an die Spitze der Landmannspartei. 1876 ernannte ihn der König zum Präsidenten der Zweiten Kammer. Als das Ministerium de Geer wegen der Ablehnung seines Wehrpflichtgesetzes seine Entlassung nahm, wurde P. 19. April 1880 zur Bildung eines neuen Kabinetts berufen. Er stellte sich die Durchführung einer gleichzeitigen Heeres- und Steuerreform zur Aufgabe, wurde aber dabei von seiner eignen Partei im Stiche gelassen und trat im Juni 1883 zurück, worauf er zum Präsidenten des Kammergerichts ernannt wurde.