Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Polychromīe“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 13 (1889), Seite 203204
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Polychromīe. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 13, Seite 203–204. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Polychrom%C4%ABe (Version vom 11.01.2023)

[203] Polychromīe (griech., „Vielfarbigkeit“), die Bemalung der Bau- und Bildwerke mit bunten Farben, ist ein durchgängig geltendes, von ältester Zeit bis in den Beginn, teilweise bis zur Blüte der Renaissance herrschendes Gesetz der bildenden Kunst gewesen. Die bei den Griechen übliche P. ging nicht vom Bestreben aus, die Farben der Wirklichkeit nachzuahmen, sondern man wollte Kunstwerken auch den Reiz der Wahrheit, den Formen Deutlichkeit geben, indem man die Wahl und Zusammenstellung der Farben von der Forderung einer höhern, über die bloße Naturnachahmung hinausgehenden Charakteristik abhängig machte, ohne dabei die Grenzen des Schönen oder die der einzelnen Künste zu überschreiten. In der Architektur fand die Bemalung, wenn auch meist nur in Nebendingen, allgemeine Anwendung. An dorischen Tempeln wurde der Echinus der Säulen verziert; die Triglyphen wurden meist blau bemalt, der Grund der Metopen blau oder rot, damit die ebenfalls bemalten Reliefs sich besser abhöben, ebenso die Giebelwand. Außerdem prangten die Ornamente des Oberbaues in Farben, die Wellen, die Perlschnüre, die Tänien, dann die Tropfen und Tropfenfelder; auch im ionischen und korinthischen Baustil war dies der Fall. Die nicht intensiv bemalten Teile (wie Säulenstamm, Wandflächen u. a.) wurden durch Wachsbeize etwas gebräunt. In den Bauwerken aus geringerm Material (Poros oder Kalkstein), welche mit Stuck überzogen wurden, veredelte die hier kräftiger aufgetragene Farbe den Kalkputz. Bei den Statuen diente die Malerei dazu, die Kleidung zu schmücken und von den nackten Teilen zu sondern. Die Gewänder erhielten farbige Säume oder volle Bemalung. Auch einzelne Teile des Körpers wurden gefärbt: [204] die Lippen rot, das Haar gelb oder schwarz, der Stern des Auges wurde durch Farbe oder eingelassene Schmelzmasse, wohl auch durch Edelsteine angedeutet. Alle Fleischteile aber erhielten nach einem von Vitruv beschriebenen Verfahren eine leichte Wachsbeize, welche den grellen, im Süden unerträglichen Glanz des Weiß dämpfen sollte. In der besten Zeit griechischer Bildhauerei pflegte man diese Bemalung besondern Künstlern anzuvertrauen; für den berühmten Praxiteles besorgte sie der erste Maler jener Epoche, Nikias. Im Relief wurde stets der Hintergrund zur Hervorhebung der Figuren dunkler gehalten. In der römischen Zeit steigerte man diese Technik bis zur stillosen Nachahmung, indem man jedem Teil seine natürliche Farbe geben wollte. Man geriet selbst auf den Einfall, die bunte Wirkung des bemalten Marmorbildes durch Zusammensetzen verschiedenfarbiger Marmorstücke nachzuahmen (polylithe Skulpturen). Auch im ganzen Mittelalter spielte die P. der Statuen eine große Rolle; man ging hier in der Naturnachahmung viel weiter als die Griechen; zahlreiche aufs bunteste bemalte und vergoldete Altäre aus deutscher und italienischer Kunst sowie Einzelfiguren in Holz und Stein haben sich noch erhalten. Selbst in der Renaissance hörte die P. der Statuen nicht auf; besonders wurde dieselbe in Spanien geübt, und noch im Rokoko bemalte man Holzbildwerke mit matten Farben und vergoldete sie. Auch die architektonische P. kam in der gotischen Baukunst sehr in Aufnahme. An den Kapitälern ward das Blattwerk vergoldet, der Grund rot bemalt, die Gewölberippen und Gesimse wurden golden und rot oder golden und blau bemalt; Altäre, Balustraden, Kanzeln, Sakramentshäuschen etc. erhielten Vergoldung am Stabwerk und dazu farbigen Grund. Die Renaissance brachte die P. der Architektur im großen und ganzen in Abnahme, und erst in der ersten Hälfte unsers Jahrhunderts kam sie durch die Bemühungen hervorragender Architekten, wie Klenze, Viollet le Duc, Th. Hansen (Akademie in Athen), Semper, Gnauth, wieder zu größerer Geltung; auch hat man Versuche zur P. der Statuen gemacht (Gibson). Der sich mehr und mehr entwickelte Farbensinn der Gegenwart ist diesen Bestrebungen sehr günstig. Es entspann sich ein Streit über die P. der Alten zwischen Kugler („Kleine Schriften zur Kunstgeschichte“, Bd. 1, S. 265 ff.) und Semper (vgl. den bezüglichen Abschnitt in des letztern „Stil“ und dessen Schriften: „Vorläufige Bemerkungen über bemalte Architektur und Plastik bei den Alten“, Altona 1834; „Die vier Elemente der Baukunst“, Braunschw. 1851), aus welchem letzterer, den genaue Untersuchungen der griechischen Monumente vorbereitet hatten, als Sieger hervorging. Vgl. Jahn, Aus der Altertumswissenschaft, S. 247 ff. (Bonn 1868); J. I. Hittorff,[WS 1] L’architecture polychrome chez les Grecs (Par. 1851). Mit dem Beginn der 80er Jahre ist die Frage der P. in ihrer Anwendung auf plastische Kunstwerke wieder lebhaft diskutiert worden. Eine Schrift des Archäologen Treu („Sollen wir unsre Statuen bemalen?“, Berl. 1884) hat den Anlaß zu einer Ausstellung polychromer Plastik in der Berliner Nationalgalerie (1885) gegeben. Doch scheint sich die Mehrzahl der deutschen Bildhauer noch nicht für die P. entschieden zu haben, da die Versuche immer noch sehr vereinzelt sind und sich zum Teil auf matte Tönung oder auf Beizung mit einer Wachslösung beschränken. Bei Bildwerken aus Gips, Thon, Wachs etc. wird die P. am ehesten anzuwenden sein, während das edle Material des Marmors leichte Tönung am besten verträgt, ohne von seiner Leuchtkraft einzubüßen. Am glücklichsten sind die Versuche der P. bei Bronzegüssen ausgefallen, deren Wirkung durch galvanische Färbung sehr erhöht wird.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: J. T. Hittorff