Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Platāne“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 13 (1889), Seite 116
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Platāne. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 13, Seite 116. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Plat%C4%81ne (Version vom 14.01.2023)

[116] Platāne (Platanus L.), Gattung aus der Familie der Plataneen, meist große und schöne Bäume mit periodisch in großen Stücken freiwillig sich ablösender Rinde, wechselständigen, gestielten, handnervigen und handförmig gelappten Blättern, monözischen Blüten in hängenden, langgestielten, kugeligen Blütenköpfen und in der Verdickung des Blattstiels sich entwickelnden Knospen. 5 Arten in den gemäßigten und subtropischen Klimaten der nördlichen Halbkugel. Morgenländische P. (P. orientalis L.), einer unsrer schönsten Bäume, 20–25 m hoch, mit starkem, aber nicht sehr hohem Stamm, weit ausgreifenden Ästen, großschuppig sich ablösender Borke, bis 24 cm im Durchmesser haltenden, tief eingeschnittenen, dreilappigen oder handförmig fünflappigen Blättern, deren Lappen lanzettförmig, oft wieder gelappt oder gezahnt sind, wird in mehreren Formen bei uns vielfach kultiviert. Abendländische P. (Wasserbuche, Sykomore, P. occidentalis L.), ein 20–30 m hoher Baum mit mehr pyramidenförmiger Krone, kleinschuppig sich ablösender Borke und großen Blättern, welche meist nur drei, selten fünf kurze Abschnitte besitzen, außerdem oft noch grob gezahnt und wenigstens auf der Unterseite auch bleibend behaart sind, stammt aus Nordamerika und wird bei uns ebenfalls in mehreren Formen kultiviert, scheint aber weniger hart zu sein als der erstere, welcher daher auch weiter verbreitet ist. Beide zeichnen sich durch schnellen Wuchs aus und liefern ein vortreffliches Nutzholz. Die orientalische P. war schon im Altertum, wie noch jetzt, allgemein beliebt; sie erreicht ein sehr hohes Alter und kolossale Dimensionen und wächst im ganzen Orient überall in der Nähe von Wasserläufen. Wahrscheinlich kam sie in sehr früher Zeit als heiliger Baum aus Vorderasien nach Europa und gelangte in der Folge auch nach Italien, wo sie zu Theophrasts Zeiten noch selten war, später aber mit Vorliebe angepflanzt wurde. Die Alten sprachen von einer Gesundheitsschädlichkeit der P., und solche ist auch später und bis in die neueste Zeit bestätigt worden. Sie ist abzuleiten von den zahlreichen Sternhaaren, welche die jungen Blätter bedecken, bei Entfaltung derselben abfallen und die Atmungsorgane stark reizen, wenn sie mit der Luft eingesogen werden.


Jahres-Supplement 1890–1891
Band 18 (1891), Seite 716718
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[716] Platane (Abstammung). Die schon im Altertum bekannte und in einigen Teilen Südeuropas sowie in Kleinasien, Armenien, Persien und Indien wild wachsende orientalische P. (Platanus orientalis L.) unterscheidet sich von ihrer seit 1640 in Europa eingeführten, amerikanischen Verwandten (P. occidentalis L.) durch größere Borkenschuppen und durch tiefer eingreifende Buchtung des meist fünflappigen Blattes, welches bei der amerikanischen Art in der Regel fünfeckig mit drei schwachen Lappen erscheint. Seitdem eine größere Zahl lebender und fossiler Platanenarten bekannt wurde, unter letztern z. B. aus Miocänschichten: P. aceroides Göpp. (Italien, Schweiz, Frankreich, Österreich, Ungarn, Japan, Spitzbergen, Grönland und Nordamerika) und P. Guillelmae Göpp. (Europa, Asien, Polargegenden und Vereinigte Staaten), aus Eocänschichten Amerikas: P. Haydeni Newb. und Raynoldsi Newb. und aus der Kreide: P. primaeva Lesqrx. und P. Newberryana Heer, wurde allmählich die Frage nach der stammverwandtschaftlichen Stellung aller dieser ziemlich ähnlichen Arten untereinander sowie zu den lebenden eine brennende; höchst auffallend erschien es schon vom pflanzengeographischen Standpunkt aus, daß zwei nahverwandte Formen, wie die orientalische und die amerikanische P., auf zwei durchaus getrennten Wohngebieten auftreten. Der Grund dieser Erscheinung konnte nur durch genaue Vergleichung der lebenden mit den ausgestorbenen Arten ermittelt werden. Eine kritische Bearbeitung sämtlicher über die P. vorliegender, paläontologischer und botanischer Untersuchungen hat neuerdings Janko unternommen, wobei er zunächst auf die sehr verschiedenen Blattformen seine Aufmerksamkeit richtete, welche die europäische P. im Laufe der Vegetationszeit an beständig neu sich bildenden Ästen als Erstlingsblätter hervorbringt; er fand an den Frühlingstrieben vorwiegend solche astbeginnende Blattformen, welche bei einigen der ältesten fossilen Arten vorherrschen, an den Sommertriebe ferner solche, die denen jüngerer Formationen ähnlich sind, und erst an den Herbsttrieben vorwiegend die für die Art charakteristischen Erstlingsblätter. Für die genauere Unterscheidung der Arten ist ferner die Nervatur, die Lappenbildung und Buchtung der Blattfläche, die Form des Blattgrundes und die Art der Zähne von großer Bedeutung. Nach der Nervatur sind Blätter mit 1, 3 oder 5 Hauptnerven zu unterscheiden, von denen die erste Form für die astbeginnenden Blätter der Frühlingstriebe, die zweite für die der Sommer- und die dritte für die der Herbsttriebe kennzeichnend ist; die ein- und dreinervigen Blätter treten in der Kreide- und der ältern Tertiärzeit auf, am Ende des Miocän entwickelte sich die fünfnervige Form und diese herrscht in der Gegenwart bei den Arten der Alten Welt, während die dreinervige bei den lebenden amerikanischen dominiert. Die Lappenform des Blattes kann an den Frühjahrstrieben völlig fehlen oder nur schwach angedeutet sein, die dreilappige Form mit [717] stumpfern, seichten Buchten herrscht bei den Sommerblättern, die fünflappige mit spitzern, tiefen Buchten an den Herbsttrieben; dementsprechend tritt die lappenlose Form vorwiegend in der Kreideperiode auf und wird am Ende derselben selten, wiederholt sich aber bei den tertiären und lebenden Arten besonders an den astbeginnenden Blättern. Die dreilappige Form mit Buchten ersten Grades tritt zuerst am Ende der Kreideperiode, mit Buchten zweiten Grades im Eocän, in noch jüngerm Tertiär auch schon mit Buchten dritten Grades auf; in der Gegenwart charakterisieren die drei Lappen mit Buchten zweiten Grades die amerikanischen Arten. Die fünflappige Form erscheint zuerst im Miocän mit Buchten zweiten Grades und erreicht ihre höchste Entwickelung gegenwärtig bei den orientalischen Arten. Der Blattgrund ist an den frühzeitigen Trieben keilförmig oder abgerundet, bei den ältern abgeschnitten, ausgeschnitten oder herzförmig; die Keilform charakterisiert dementsprechend die Arten der Kreide und des Eocän; im Miocän treten schon die sämtlichen, höher entwickelten Formen des Blattgrundes auf, um in der Gegenwart bei den orientalischen Arten die höchste Stufe zu erreichen. Bezüglich der Bezahnung sind primäre, d. h. von den primären Seitennerven gebildete, und sekundäre Zähne zu unterscheiden; letztere bilden sich bei unsrer P. nur selten aus, treten wenig hervor und verschwinden bald wieder; ihre Zähne sind also ungleichwertig, wie dies bei den lebenden amerikanischen u. einigen ausgestorbenen Arten der herrschende Fall ist. Der Besitz primärer und sekundärer, aber gleichwertiger Zähne zeichnet einige ältere fossile Arten (P. Newberryana, Raynoldsi, marginata und Guillelmae) aus und stellt also einen ausgestorbenen Charakter des Platanenblattes dar.

Auf Grund einer genauen Analyse aller dieser Merkmale bei den lebenden und fossilen Formen entwarf Janko nun folgendes Bild von der phylogenetischen Entwickelung der P. Sie treten in der Kreide Amerikas und Grönlands zuerst mit drei Arten: P. primaeva, Heeri und Newberryana, auf, von denen die beiden ersten, mit primären Blattzähnen versehenen zu einander in näherer Beziehung stehen als zur dritten, welche eine gemischte, gleichwertige Bezahnung der Blätter besaß; P. Heeri überlebte die Kreideperiode übrigens nicht. Im Eocän entwickelte sich aus P. primaeva als älteste Form P. rhomboidea mit dreinervigen und dreilappigen Blättern, aber Buchten ersten Grades, dann folgte P. Haydeni mit Buchten ersten und zweiten Grades; P. Newberryana setzte sich in P. Raynoldsi fort, die ebenfalls gleichartige, primäre und sekundäre Blattzähne hatte. Aus P. Haydeni, welche in der Bezahnung variierte, gingen weiter die eng miteinander verwandten P. aceroides und Guillelmae hervor, deren weite, einen großen Teil Amerikas und Eurasiens umfassende Verbreitung oben erwähnt wurde; bei erstgenannter Art fixierte sich die ausschließlich primäre, bei letzterer die gemischte Bezahnung. Im Miocän entstand aus P. Guillelmae als Nebenform mit ungeteilten Blättern P. marginata, während die weitverbreitete P. aceroides nach der Trennung des Territorialzusammenhanges zwischen Amerika und Eurasien sich in zwei Äste, einen amerikanischen und einen europäisch-orientalen, spaltete; ersterer entwickelte in Kalifornien die Varietäten dissecta und appendiculata, letzterer die nur aus einem einzigen fossilen Blattrest bekannte P. academiae in Toscana. Die besonders in den Polargegenden verbreiteten P. Guillelmae und marginata starben dann infolge klimatischer Änderungen aus; ebenso erging es den tertiären Platanenwäldern Deutschlands, Frankreichs, Italiens, der Schweiz und der Balkanhalbinsel; nur in einigen Teilen Kleinasiens

Stammbaum der Platane.

und auf mehreren Inseln des Mittelmeers blieb die europäische Stammform der P. erhalten. Der nordamerikanische Platanenstamm war jedoch zäher als der europäische; P. aceroides fand ihre direkte Fortsetzung in P. occidentalis, welche in den mexikanischen Gebirgen die dort endemische P. mexicana erzeugte, während die Varietät dissecta sich in Kalifornien zu racemosa und die Form appendiculata in Mexiko sich zu Lindeniana entwickelte. In Eurasien entstanden aus P. aceroides zwei Stämme, von denen der eine in Südeuropa die dreilappige Varietät cuneata und die fünflappige insularis und der andre im Kaukasus und in Lycien die großblätterige, schwachgezahnte Form caucasica bildete. In der Kultur entwickelten sich noch die der letztgenannten Varietät entsprechende acerifolia, ferner die den Typus von P. occidentalis nachahmende pyramidata und die das Platanenblatt auf höchster Stufe der Formentwickelung zeigende flabelliformis, während in Spanien aus P. occidentalis die merkwürdige, die amerikanische Formenreihe zum Abschluß bringende var. hispanica mit ebenfalls fünflappigen Blättern, aber kleinen, stumpfen Lappen entstand. Der genetische Zusammenhang zwischen sämtlichen ausgestorbenen und lebenden Platanenarten erhellt aus obigem Stammbaum.

[718] Die oben aufgeworfene Frage nach dem Verhältnis der amerikanischen und europäisch-asiatischen P. erscheint somit gelöst; sie laufen in eine durch einen großen Teil der Tertiärzeit zu verfolgende und während derselben außerordentlich verbreitete Stammform (P. aceroides) zusammen, welche ihrerseits wieder zu einer eocänen (P. Haydeni) und diese zu einer kretaceischen Art (P. primaeva) in deutlichem Abstammungsverhältnis steht. Die Platanen liefern auf diese Weise ein neues und höchst einfaches Beispiel für eine Stammentwickelung, die sich in der Mehrzahl ihrer Glieder durch mehrere geologische Formationen bis zur Gegenwart verfolgen läßt und die lebenden Arten in unleugbare genetische Beziehungen zu den ausgestorbenen setzt. Zugleich bietet das Auftreten allmählich in der Form weiter fortschreitender Blätter an den Frühlings-, Sommer- und Herbsttrieben unsrer europäischen P. eine abkürzende Wiederholung der gesamten Stammgeschichte der Art dar. Vgl. Janko, Abstammung der P. (in Englers „Jahrbüchern für Systematik, Pflanzengeschichte und Pflanzengeographie“, Bd. 11).