MKL1888:Metamorphismus der Gesteine

Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Metamorphismus der Gesteine“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 11 (1888), Seite 530531
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Metamorphismus der Gesteine. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 11, Seite 530–531. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Metamorphismus_der_Gesteine (Version vom 05.10.2022)

[530] Metamorphismus der Gesteine, die Umbildung eines Gesteins in ein andres, im weitesten Sinn jede Veränderung, welche ein Gestein seit seiner ursprünglichen Ablagerung betroffen hat; so die Veränderung der Gesteine durch die Einwirkung der Atmosphärilien oder die Verwitterung, die Verfestigung des Thonschlammes zu Schieferthon und Thonschiefer, des kalkigen Thonschlammes zu den verschiedenen Mergeln, des Kalkschlammes zu Kalkstein, die Umänderung der vegetabilischen Substanz in Torf, Braunkohle, Steinkohle und Anthracit, die Umbildung des Anhydrits durch Wasseraufnahme in Gips, die Zersetzung der Kieselsäureverbindung mittels der in der Luft und im Wasser enthaltenen Kohlensäure unter Abscheidung freier Kieselsäure und endlicher Bildung von Thon nebst allen Zwischenstufen. Besonders begreift man unter Gesteinsmetamorphose aber die Umbildung unkristallinischer Gesteine in kristallinische, so die Bildung kristallinischer Kalke, Dolomite und die Bildung kristallinischer Silikatgesteine. Bei vielen der eben aufgeführten Beispiele eines M. sind die Ursache und der Verlauf der umwandelnden Prozesse leicht erkennbar und unbestritten, bei andern ist der Prozeß selbst wohl unangreifbar, Ursache und näherer Verlauf aber sind schwer verfolgbar und als offene Frage zu behandeln; oft endlich ist schon die ganze Annahme eines Abspielens metamorphosierender Vorgänge rein hypothetisch und ein Ausfluß allgemeiner Schulansichten über Entstehung und Entwickelung der Erde und der sie bildenden Materialien. So ist die Verwitterung der Gesteine ein Metamorphismus, der auf leicht kontrollierbare chemische Vorgänge ebenso zurückführbar ist wie die Umwandlung des Anhydrits in Gips, die Entstehung derselben Substanz unter dem Einfluß vitriolisierenden Eisenkieses auf Kalkstein, die Bildung von Thon aus Feldspat unter Abscheidung von Kieselsäure, die Umwandlung aufgehäufter Pflanzensubstanz durch den sogen. Verkohlungsprozeß. Ebenso leicht während des Prozesses selbst zu beobachten oder doch auf früher abgespielte Analogien heutiger Prozesse zurückführbar sind umwandelnde Einflüsse vulkanischer, namentlich saurer, Dämpfe (Salzsäure, schweflige Säure und ihres Oxydationsprodukts: Schwefelsäure) auf die den Ausströmungsstellen benachbarten Gesteine. Hierher zählt die gelegentliche Bildung von Gips aus Kalksteinen, die der palagonitischen Tuffe, der Alaunsteine. Daß ferner Verfestigungen zuerst locker gebildeten Materials durch Druck herbeigeführt werden können, ist durch Experiment und Beobachtung wenn auch vielleicht nicht streng zu beweisen, so doch sehr wahrscheinlich zu machen. So wird wohl allgemein angenommen, daß der Unterschied zwischen dem lockern Zustand sehr alter Gesteine (der silurischen, devonischen und Steinkohlenformation) in Zentralrußland [531] und den festen Schieferthonen und Sandsteinen derselben Formationen in andern Gegenden auf den Mangel an Bedeckung und deshalb auch des Druckes während jüngerer geologischer Perioden in Rußland zurückzuführen ist. Wenn aber die nicht zu leugnende Thatsache, daß stark gestörte Schichten an Stellen hochgradiger Biegung aus Material zusammengesetzt sind, welches im Vergleich mit andern Stellen derselben Schichten eine höhergradige kristallinische oder schieferige Ausbildung besitzt, ebenfalls durch Druck erklärt u. auf den „gebirgsbildenden Tangentialschub“ zurückgeführt wird, so haben wir es hier mit einem Metamorphismus (für welchen man neuerdings den Namen tektonischer oder Stauungsmetamorphismus eingeführt hat) zu thun, dessen Annahme weitere Hypothesen (nämlich die der Gebirgsbildung) als bereits vollkommen bewiesen voraussetzt. Ähnlich liegt es mit dem sogen. Kontaktmetamorphismus, der Einwirkung erumpierender Massen auf das Nachbargestein. Nach Analogie mit Experimenten ist die Frittung, Verglasung von Sandsteinen und Mergeln, die säulenförmige Absonderung der erstern, die Verkokung kohligen Materials im Kontakt mit Basalt sicherlich auf die Erhöhung der Temperatur bei der Eruption dieses vulkanischen Gesteins zurückzuführen; auf größere Schwierigkeit stößt aber (wegen der dabei vorauszusetzenden Erhaltung der Kohlensäure) die Erklärung einer gleichen lokalen Verknüpfung kristallinisch gewordenen Kalks mit Eruptivgesteinen und die Herausbildung sogen. Kontaktmineralien (Granat, Wollastonit etc.) in einer weiten Zone eines ein Eruptivgestein umgebenden Kalksteins; und wenn ferner unter den gleichen Begriff des Kontaktmetamorphismus die merkwürdige Erscheinung gefaßt wird, daß sich Thonschiefer, je näher sie an einem benachbarten Granitstock lagern, allmählich Schritt für Schritt in Knotenschiefer, Glimmerschiefer und Chiastolithschiefer oder in Hornfels umwandeln, so ist in diesem Fall mit dem Ausdruck Kontaktmetamorphismus nach dem jetzigen Standpunkt unsers Wissens kaum mehr ausgesagt als die Fixierung dieser lokalen Verknüpfung; ursachlicher Zusammenhang dagegen ist vorläufig nur durch mangelhaft fundierte Hypothesen erklärbar. Am innigsten verquickt mit weit ausgreifenden hypothetischen Anschauungen ist der Begriff des sogen. allgemeinen oder regionalen Metamorphismus. Er setzt die Annahme voraus, daß die ältesten Gesteine, die der archäischen Formationsgruppe, in einem wesentlich andern Zustand gebildet wurden, als sie heute beobachtbar sind, d. h., daß sie ehemals als echte Sedimente entstanden. Wenn nun auch ihre ausgezeichnete Schichtung, die enge Verknüpfung mit Konglomeraten, die allmählichen Übergänge in zuversichtlich sedimentäres Material, die Petrefaktenführung dem Äußern nach echt kristallinischer Schiefer ebensoviel Wahrscheinlichkeitsgründe für die Richtigkeit einer allgemeinen Metamorphose aus rein sedimentärem Material sind, so fehlt es doch einerseits keineswegs an Einwendungen gegen diese Hypothese, anderseits gehen die Meinungen weit auseinander hinsichtlich der Ursache dieses Metamorphismus, der außerordentlich mächtige und über weite Strecken in horizontaler Richtung verbreitete Schichtsysteme ganz einheitlich ergriffen haben muß. Suchen die einen die Ursache im Plutonismus, d. h. in einer Einwirkung der innern Erdwärme oder erumpierender Gesteine, so sprechen die andern von hydrochemischen Prozessen, beides Hypothesen, bei welchen die stützenden Momente an Zahl geringer sind als die Einwendungen, welche sich erheben lassen. – Der M. ist als eins der wichtigsten, freilich auch schwierigsten Kapitel der Gegenstand eingehender Erörterung in allen Lehrbüchern der Geologie, namentlich in denen der chemischen Geologie, unter welchen das von Bischof (2. Aufl., Bonn 1863–66, 3 Bde.; Supplement 1871) speziell in den Fragen des Metamorphismus epochemachend eingegriffen hat. Daneben sind besonders zu erwähnen: Roth, Allgemeine und chemische Geologie (Berl. 1879–85, 2 Bde.), und Daubrée, Synthetische Studien zur Experimentalgeologie (deutsch von Gurlt, Braunschw. 1880).