Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Meerschaum“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 11 (1888), Seite 422
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Meerschaum. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 11, Seite 422. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Meerschaum (Version vom 02.02.2023)

[422] Meerschaum, Mineral aus der Ordnung der Silikate (Talkgruppe), findet sich derb und in Knollen, auch in Pseudomorphosen nach Calcit, ist weiß oder gräulichweiß, matt, undurchsichtig, mit flachmuscheligem und feinerdigem Bruch, fühlt sich etwas fettig an, haftet stark an der Zunge, spez. Gew. 0,99–1,28, Härte 2–2,5, besteht aus wasserhaltiger kieselsaurer Magnesia Mg2Si3O8 + 4H2O, enthält stets auch etwas Kohlensäure und bis gegen 14 Proz. hygroskopisches Wasser. Der M. findet sich lose oder eingesprengt (besonders in Kalk oder Serpentin), in größter Menge und von schönster Beschaffenheit bei Kiltschik und Eski Schehr in Anatolien, von wo er gegenwärtig fast ausschließlich in den Handel kommt, außerdem unweit Thiwa in Livadien, zu Valecas bei Madrid, bei Pinheiro in Portugal, Hrubschitz und Neudorf in Mähren, im Lyubicer Gebirge in Bosnien, in der Krim etc. Der in Anatolien gewonnene M. bildet einzelne Knollen oder nierenförmige Stücke, die, frisch gegraben, weich wie Wachs sind, an der Luft aber unter Bildung zahlreicher Risse schnell erhärten und zur Vermeidung dieser letztern sehr vorsichtig getrocknet werden müssen. Man befreit ihn dann von der bräunlichgelben Rinde und allen Verunreinigungen und bringt ihn nach Brussa, wo er sortiert und besonders nach Wien, Leipzig, Paris und Nordamerika versandt wird. Im spezifischen Gewicht, in der Weichheit und Gleichmäßigkeit der Masse und in der Farbe zeigt der M. große Verschiedenheiten, und namentlich enthält er oft Einschlüsse von opalartiger Masse, welche die Verarbeitung sehr erschweren. Man benutzt ihn fast ausschließlich zu Pfeifenköpfen und Zigarrenspitzen, während die Römer wahrscheinlich kostbare Gefäße daraus geschnitten haben. In Europa entstanden die ersten Fabriken zur Verarbeitung von M. im letzten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts zu Lemgo und etwa um dieselbe Zeit in Ruhla, wo schon 1800 in 27 Fabriken 150 Personen beschäftigt waren. Hier wurden auch zuerst die Abfälle zu einer schneidbaren Masse verarbeitet und so der künstliche M. (Masse) gewonnen, welcher gegenwärtig in großer Menge verarbeitet wird. Auch Nürnberg und Paris liefern Meerschaumwaren; Hauptsitz der Industrie ist aber Wien, wo jährlich etwa 100,000 Meerschaumpfeifen gefertigt werden. Zur Darstellung des künstlichen Meerschaums werden die Abfälle sehr sorgfältig gewaschen, zerstampft oder gemahlen, mit Wasser angerührt und durch wiederholtes Sieben des Schlammes und Vermahlen der Rückstände in einen höchst zarten Schlamm verwandelt. Man mischt diesen dann mit Kaolin oder besser mit kieselsaurer Thonerde (aus Alaun und Wasserglas erhalten), kocht die Mischung und füllt sie in Kistchen mit Leinwandböden, in welchen sie das Wasser verliert und so viel Konsistenz gewinnt, daß sie bald in die Trockenkammern gebracht werden kann. Einen andern künstlichen M. erhält man durch Fällen der gemischten Lösungen von Alaun und Bittersalz mit Wasserglas und Natronlauge oder durch Imprägnieren von kohlensaurer Magnesia mit Wasserglas. Die besten Imitationen sind dem natürlichen M. ungemein ähnlich, und nur der Kenner vermag sie von diesem zu unterscheiden; an Dauerhaftigkeit und Anrauchfähigkeit stehen sie ihm aber weit nach. Beide werden im feuchten Zustand verarbeitet, dann aber getrocknet, in geschmolzenen Talg oder Walrat gelegt, bis sie an den Rändern durchscheinend geworden sind, abgeschliffen, poliert, getrocknet und in geschmolzenes Wachs gebracht. Durch diese Behandlung mit Fett wird der M. fester, dauerhafter, politurfähiger, und vor allem raucht er sich dann gleichmäßiger an. Die sogen. Ölköpfe oder Ruhlaer Köpfe, welche beim Rauchen eine marmorartige, bunte Farbe annehmen, werden aus unreinem, wolkigem, geädertem M. hergestellt, indem man sie nach dem Eintauchen in Talg und dem Polieren mit dünnflüssigem Leinölfirnis tränkt, bei 50° trocknet, wieder mit Firnis behandelt und von neuem trocknet; bisweilen gibt man ihnen auch gleich die braune Farbe, indem man sie in einer eisernen Bratröhre genügend stark erhitzt. Schwarz gefärbte Meerschaumköpfe sind gegenwärtig nicht mehr beliebt. Vgl. Raufer, Meerschaum- und Bernsteinwarenfabrikation (Wien 1876); Tomasek, Pfeifenindustrie (Weim. 1878); Ziegler, Geschichte des Meerschaums (2. Aufl., Dresd. 1883).