Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Medizīn“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 11 (1888), Seite 401406
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Medizīn. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 11, Seite 401–406. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Mediz%C4%ABn (Version vom 04.03.2022)

[401] Medizīn (lat. Medicina, Heilkunde und Heilkunst), die Wissenschaft vom Menschen im gesunden und kranken Zustand und die Kunst, die Gesundheit zu erhalten, der Krankheit vorzubeugen und die Heilung zu fördern. Demgemäß kann sie in wissenschaftlicher (theoretischer) und in praktischer, künstlerischer Hinsicht und Form bearbeitet, dargestellt und gelehrt werden. Als Wissenschaft hat die M. von alters her die Schicksale der Naturwissenschaften überhaupt geteilt, und noch heute gibt es keine derselben, welche nicht von Einfluß auf die M. wäre.

Die M., in ihrer weitesten Bedeutung aufgefaßt, zerfällt in eine Anzahl von Fächern, die sich wiederum in zwei Gruppen sammeln, von denen die eine den gesunden, die andre den kranken menschlichen Körper zum Gegenstand hat. Zu der ersten Gruppe gehören die Anatomie mit der Histologie, die Physiologie, die Hygieine mit der Diätetik und Eubiotik sowie die Prophylaktik. Die zweite Gruppe umfaßt die Pathologie mit Nosologie, Pathogenie und pathologische Ätiologie, die Anamnestik, Symptomatologie, Semiotik, Diagnostik und Prognostik, auch die Texikologie und namentlich die pathologische Anatomie.

Die Lehre von der Heilung der Krankheiten, von den dabei stattfindenden Lebensprozessen, ihren Zeichen, ursachlichen Momenten und der Wahl der dazu erforderlichen Mittel wird Therapie genannt. Sie zerfällt in die allgemeine und spezielle Therapie, von welchen sich die letztere mit der Heilung der einzelnen Krankheitsspezies befaßt. An die Therapie schließen sich die Pharmakologie oder Materia medica, die Pharmakodynamik und die Pharmazie mit der Rezeptierkunst an, welch letztere die Regeln zu angemessenen Vorschriften und Zusammensetzungen der einzelnen Arzneikörper enthält. Als einzelne Zweige der Pathologie und Therapie stellt man gewöhnlich auf: die Chirurgie oder Wundarzneikunst, die sogen. innere M. (welche sich mit den Krankheiten und der Heilung innerer Organe befaßt), die Geburtshilfelehre, die Seelenheilkunde, Augen- und Ohrenheilkunde etc. Die Chirurgie handelt von der Kunst, mechanische Hilfsmittel zur Beförderung der Heilung in Gebrauch zu ziehen, beschäftigt sich aber zugleich mit den einzelnen Krankheiten, welche vorzüglich durch mechanische Heilmittel kuriert werden, auf der äußern Oberfläche des Körpers ihren Sitz haben und durch äußere, besonders mechanisch wirkende, Ursachen entstanden sind. Die Geburtshilfelehre (ars obstetricia, franz. accouchement), in welcher alles abgehandelt zu werden pflegt, was sich auf das Geburtsgeschäft bezieht, ist ein besonderer Teil der Gynäkologie. Letztere beschäftigt sich mit allen denjenigen anatomischen, physiologischen, pathologischen und therapeutischen Verhältnissen, welche sich auf den weiblichen Organismus beziehen. Augen- und Ohrenheilkunde sind nur Unterabteilungen der Chirurgie. Die Seelenheilkunde (Psychiatrie) handelt von den Störungen des psychischen Lebens und von der Kunst, auf die Seele des Menschen zum Behuf der Heilung einzuwirken, die gerichtliche M. von den Untersuchungen an lebenden Personen sowie an Leichen zum Zweck der Beantwortung von Rechtsfragen. Schon diese Übersicht der Wissenschaften, aus denen sich die eigentliche M. aufbauen muß, lehrt, daß sie nur eine Tochter der Zeit ist und sein kann. Sie mußte jahrtausendelang voll Irrtümer bleiben und eine Unzahl zusammenhangsloser Einzelerfahrungen und Einzelregeln darstellen, bis die Grundwissenschaften, Physik, Chemie, Naturgeschichte, Anatomie und Physiologie, sich zu dem Rang wirklich exakter Naturwissenschaften erhoben, worauf auch die M. angefangen hat, sich auf diese Stufe zu erheben. Man nennt diese die „neuere M.“, weniger richtig die „neuere Schule“, indem hier von keiner dogmatischen Schule, sondern nur von der Gesamtheit der echt naturwissenschaftlich denkenden und forschenden Ärzte die Rede sein kann.

Geschichte der Medizin.

Die Geschichte der M. beginnt mit dem ersten Versuch einer rationellen Beobachtung und Behandlung der Krankheiten und bewegt sich auch ferner ganz auf diesem Gebiet, indes sie die rein empirischen Bestrebungen beiseite liegen läßt. Diese haben zu allen Zeiten und besonders im Altertum unter dem Volk existiert, während die eigentliche M. als Beruf immer von einem bestimmten Stand gepflegt und weitergebildet wurde. Bei den Völkern des Altertums stand die Heilkunst wesentlich mit dem religiösen Kultus [402] im Zusammenhang; sowohl bei den Indern, Arabern, Ägyptern als bei den Griechen galt die Heilkunst für eine den Priestern von der Gottheit gemachte Offenbarung, welche sich dann durch Tradition weiter vererbte. Über das Alter der vor nicht gar langer Zeit entdeckten Sanskritschriften streiten die Philologen; man verlegt ihre Entstehung teils 1000–1400 Jahre v. Chr., teils in das erste Jahrhundert der christlichen Zeitrechnung. Der Agur-Weda ist das für die M. wichtigste Sanskritwerk und von Susrutas abgefaßt. Bei den Griechen konzentrierte sich der Inbegriff alles ärztlichen Wissens auf Asklepios (Äskulap), einen Sohn des Apollon, und seine Tempel (Asklepien) waren lange Zeit die einzigen Orte, wo Kranke sich hinwenden konnten, um Genesung zu erlangen. Die Heilmittel, welche man anwendete, waren teils psychischer, teils physischer Art. Sie wurden den Kranken durch Träume offenbart, welche die Priester auslegten. Die eigentliche Umbildung und tiefere Entwickelung der Heilkunde aber ging von Hippokrates (geb. 460 v. Chr.) aus, bei welchem die Beobachtung in ihrer vollen Reinheit und Konsequenz, frei von den Vorurteilen der Priesterschule auftritt. Mit den Schülern des Hippokrates begann die dogmatische Schule, von welcher zwar eine Menge philosophischer Theoreme und Spitzfindigkeiten in die M. hineingetragen, aber auch neue Entdeckungen gemacht wurden, und Dogmatiker waren es, die zuerst größere Operationen unternahmen. Unter Ptolemäos I. lebten in Alexandria Erasistratos und Herophilos, die beiden größten Kenner der menschlichen Anatomie im Altertum. Seit 280 v. Chr. trat nun die empirische Schule dem Dogmatismus entgegen, welche sich wieder auf genaue Beobachtung legte und die Hauptquelle der ärztlichen Erkenntnis in der Erfahrung suchte. Von Alexandria wanderte die griechische Heilkunde zu den Römern, bei denen ebenfalls ursprünglich nur die Priester im Besitz medizinischer Kenntnisse waren. Die Richtung des Asklepiades erhielt ihre theoretische Begründung durch die Schule der Methodiker, als deren Stifter Themison von Laodikea (63) angeführt wird. Er strebte, das Gemeinsame in den verschiedenen Krankheiten aufzusuchen, diese auf wenige Typen zurückzuführen und für jeden Typus eine einfache Heilindikation zu finden. Zwischen 30 v. Chr. und 38 n. Chr. lebte Aul. Corn. Celsus (s. d.), von dessen Werk „De artibus“ der erhaltene medizinische Teil sich durch eine im allgemeinen verständige Zusammenstellung und Kritik gleichzeitiger und früherer Lehren auszeichnet. Der atomistischen Lehre des Asklepiades und der Methodiker trat die dynamische der Pneumatiker entgegen, die das Pneuma, das luftartige Prinzip, von dem alle Thätigkeit im Körper, Krankheit und Gesundheit ausgehe, in den Vordergrund stellte. Als Stifter dieser (neuern) pneumatischen Schule wird Athenäos aus Kilikien um 69 genannt. Sein Schüler Agatinos aus Sparta wich von der einseitigen Richtung seines Meisters ab und gründete 90 die eklektische Schule, die letzte unter den ärztlichen Schulen des Altertums.

Am Ausgang der römischen Periode der M. steht Galenos, der in seinen Werken noch einmal das ganze medizinische Wissen des Altertums zusammenfaßte und namentlich in der speziellen Physiologie wichtige Angaben hinterlassen, in Bezug auf Pathologie sich aber besonders um die Theorie einzelner Krankheiten und krankhafter Symptome verdient gemacht hat. Für alle nach ihm lebenden Ärzte des Altertums blieb er fast unbedingte Autorität, und für die Heilkunde des Mittelalters dienten seine Schriften als Grundlage und Ausgangspunkt. Unmittelbar nach ihm verfiel die medizinische Kunst und Wissenschaft. Magische Heilungen kamen an die Tagesordnung und brachten das Bedürfnis wissenschaftlicher Bildung fast völlig zum Schweigen. Zu gleicher Zeit machte sich die blindeste Empirie breit, welche vornehmlich nach neuen Arzneimitteln haschte und zu diesem Behuf namentlich das Tierreich ausbeutete. Von den Griechen gelangte die M. über Persien und Ägypten nach der Eroberung dieses Landes zu den Arabern, welche sich des überlieferten Schatzes mit Glück bemächtigten. Ganz besonders wurde im 9. Jahrh. durch Übersetzung griechischer Schriften die Litteratur der Heilkunde bei den Arabern erweitert. Durch Vielseitigkeit des Wissens ragte besonders der gelehrte Abu Jusuf Jakub ben Izhak el Kindi (Alkindus) hervor, von dessen zahlreichen Übersetzungen und eignen Werken (deren man 200 angibt) nur eins: „Über die zusammengesetzten Arzneien“, in Europa bekannt geworden ist, worin die Grade und Qualitäten der Arzneien nach mathematischen Prinzipien und nach den Gesetzen der musikalischen Harmonie bestimmt sind. Auf die Männer, die größtenteils sammelten und übersetzten, folgten im 10. und 11. Jahrh. die Koryphäen der arabischen Heilkunde, welche im Orient noch heutzutage als solche angesehen werden: Rhazes, Haly Abbas und Avicenna. Besonders war es der letztere (eigentlich Abu Ali Alhossain ebn Abd Allah ebn Sinah), der jahrhundertelang mit Aristoteles und Galenos die Despotie im Reich der Wissenschaften teilte. Sein „Kanon“ galt bis ins 16. Jahrh. herab als das umfassendste und beste Lehrgebäude der Heilkunde in den Schulen der Ärzte. Mit Avicenna erreichte die arabische Heilkunde ihren Höhepunkt, von welchem aus sie, von fremden, abendländischen Einflüssen mehr und mehr berührt, ihrem Verfall entgegeneilte. Was den allgemeinen Charakter der arabischen Heilkunde betrifft, so war dieselbe zwar ganz auf die griechische basiert, aber doch in vieler Hinsicht eigentümlich.

In der christlichen Welt des Mittelalters geriet wie alle andern Wissenschaften die M. in die Hände der Mönche, welche wenig Förderliches an ihr geleistet haben. Der erste berühmtere Mann ist Konstantin der Afrikaner (gest. 1087), durch den vornehmlich die Kenntnis der arabischen M. im Abendland verbreitet ward, der aber auch zahlreiche eigne Werke schrieb, unter denen das „Breviarium viaticum“ geraume Zeit ein geschätztes Lehrbuch war. Die uns erhaltenen Werke der salernitanischen Schule sind meist in gereimten Hexametern, den sogen. leoninischen Versen, geschrieben. Ein Hauptverdienst dieser Schule ist, daß sie die M. von der hierarchischen Bevormundung und Klausur zuerst frei zu machen begann; die Mönche verwandelten sich nach und nach in Laienärzte, unter denen häufig auch Juden, namentlich als Leibärzte von Fürsten, erscheinen. Nun mußte aber auch die weltliche Obrigkeit sich veranlaßt finden, das Treiben der aus der Obhut der Kirche entlassenen Ärzte zu überwachen, und so entstand eine Reihe von Medizinalgesetzen, unter denen die des Kaisers Friedrich II. von Hohenstaufen (1238) die wichtigsten sind. Auch das Gewerbe der Droguisten und Apotheker ward durch bestimmte Vorschriften geordnet. Ein höchst wichtiges und folgenreiches Ereignis war es, daß 1315 ein Professor zu Bologna, Mondini de’ Luzzi (Mundinus), das wagte, was Kaiser Friedrich II. vergeblich gewünscht und Papst Bonifacius VIII. eben noch mit dem strengsten Kirchenbann verpönt hatte, indem er öffentlich zwei [403] weibliche Leichname zergliederte und damit die Anatomie in die Reihe der Universitätsstudien einführte.

Eine neue Epoche in der Geschichte der Heilkunde beginnt mit dem Umschwung, welcher in fast allen Wissenschaften und Künsten unter Vermittelung der Reformation und der Erfindung der Buchdruckerkunst sowie des erwachenden kritischen Geistes sich vollzog. Es begann die Naturbeobachtung wieder in ihr Recht zu treten und sich von den Fesseln der Scholastik, wenn auch langsam und allmählich, zu lösen. Vor allem war es die Wiederbelebung, man kann fast sagen die Wiederentdeckung der Anatomie und die von nun an rastlos fortschreitende Ausbildung dieser Wissenschaft, welche den Boden ebnete. Sylvius, Vesalius, zu dessen berühmtem Werk über den Bau des menschlichen Körpers vielleicht Tizian selbst, sicher aber sein Schüler Johann von Kalkar die Zeichnungen fertigte, Fallopia (gest. 1562), Eustachio (gest. 1579) wurden die Begründer unsrer heutigen Anatomie. Auch die Geburtshilfe blühte zu dieser Zeit auf; zu Anfang des 16. Jahrh. (1513) schrieb Eucharius Rößlein (Rhodion), Arzt zu Worms und Frankfurt, „Der schwangern Frauen Rosengarten“, ein aus ältern Schriften kompiliertes, aber mit deutscher Sinnigkeit verfaßtes Hebammenbuch, das aller Mangelhaftigkeit ungeachtet lange Zeit im Gebrauch blieb. In dieser Zeit kam auch zuerst die gerichtliche M. auf, die aber erst später weitere Ausbildung fand.

Der skeptisch-kritische Ton wurde dem herrschenden Galenischen und arabischen System gegenüber besonders durch Theophrastus Bombastus Paracelsus (gest. 1554) angeschlagen, welcher der Heilkunde eine ideale Richtung erteilte und die schon längst wankenden Pfeiler der Herrschaft Galenos’ vollends niederriß. Seine Erscheinung bezeichnet die eigentliche Grenzscheide des Mittelalters und den Anbruch der für die Heilkunde lange schon vorbereiteten neuen Zeit. Der Grundgedanke dieses Mannes ist die Auffassung der Natur als eines großen lebendigen Ganzen, in welchem weder Stillstand noch Tod, sondern stets fortschreitende, durch ein inneres Prinzip bedingte organische Entwickelung besteht. Demgemäß gilt ihm die Krankheit als ein lebendiges Wesen, als eine parasitische Pflanze mit einem selbständigen, individuellen Lebensprozeß, der im Schoß eines andern, höhern sich bilde. Die Heilung erschien ihm als ein aus dem gesunden Leben entsprungener, spezifisch individueller Vorgang, den die Natur und öfters die Kunst hervorrufe, um die Krankheit dadurch zu bekämpfen. Die wahren Heilmittel (arcana) sind ihm daher samenähnliche Wesen, aus denen im Schoß des Organismus eine neue individuelle Lebensentwickelung behufs der Überwältigung der krankhaften hervorgehe. Auch Laien begannen unter Paracelsischem Schild sich mit einer mystischen M. zu befassen, und die Heilkunst ward wieder völlig in das Gebiet der Mystik entrückt, als die Gesellschaft der Rosenkreuzer (s. d.) den Namen des Paracelsus zu ihrem Losungswort erhob. Als Verteidiger der alten Schule gegen die Paracelsischen Neuerungen trat mit besonderm Erfolg Andr. Libavius aus Halle auf, dessen chemische Arbeiten das Irrige und Phantastische in vielen Paracelsischen Behauptungen bloßstellten. Sein Verdienst ist es, daß von nun an die Chemie immer größern Einfluß auf die Heilkunde gewann, die spagirische M. und die spagirischen Mittel der Paracelsisten sich ihrer geheimnisvollen Hüllen mehr und mehr entäußerten und zu ihrer wissenschaftlichern Schätzung und Gewinnung die Bahn gebrochen ward. Unter den großen Philosophen des 17. Jahrh. haben vornehmlich Baco von Verulam und Descartes, die beiden Hauptwortführer der Erfahrung und Spekulation, den entschiedensten Einfluß auf die Heilkunde ausgeübt. Namentlich bot letzterer durch seine Korpuskularlehre den dogmatischen Bestrebungen der Ärzte einen willkommenen Stoff dar, während der Einfluß des erstern erst später die starre Einseitigkeit der Schule überwinden half. Ehe dies aber geschah, führte der Dogmatismus in der M. noch das Zepter, indem er sich in zwei Schulen, die chemiatrische und iatromathematische, teilte. Die chemiatrische Schule schloß sich zum Teil den Lehren des Paracelsus an, und es ging daraus hervor, daß man die Chemie nicht bloß zur Bereitung der Arzneien, sondern auch zur Erklärung des organischen Lebens mehr und mehr zu Rate gezogen wissen wollte. Schon zu Anfang des 17. Jahrh. wurden auf den Universitäten eigne Lehrstühle der „Chymiatria“ errichtet. Diese Chemiatrie bestand aber lediglich in der Darstellung und Anwendung der neuen mineralischen Arzneimittel, von denen nach und nach zweckmäßigere Formen und Zusammensetzungen bekannt wurden. Eine andre und zwar spiritualistische Gestaltung erhielt die Chemiatrie durch van Helmont (gest. 1644), welcher Mystik und Naturforschung miteinander zu verbinden strebte und als Hauptgedanken die Beseelung der ganzen Natur durch geistige Schöpfungskräfte aufstellte. An der Spitze dieser Kräfte stand ihm der Archeus oder das schaffende Prinzip der Natur, und seine Therapie zielte auf Beruhigung und Zurechtleitung des erzürnten oder verirrten Archeus hin, wozu er geistige Einwirkungen und Arkana, aber auch Wein, Opium, Spießglanz- und Quecksilbermittel benutzte.

Die zweite Schule des Dogmatismus, die iatromathematische oder iatromechanische, suchte das Leben aus den Gesetzen der Statik und Hydraulik zu begreifen und wollte die M. als einen Teil der angewandten Mathematik und mechanischen Physik angesehen und behandelt wissen. Indem wir aus der Enge dieser Schulen auf das große offene Feld der Erfahrung heraustreten, begegnen uns zunächst die glänzenden Namen eines Harvey und Sydenham. William Harvey (1578–1657) machte die große Entdeckung vom Kreislauf des Bluts, verkündigte das omne vivum ex ovo gegen die Anhänger der Generatio aequivoca und ward dadurch der wahre Schöpfer der neuern Physiologie. Die Anatomie erfreute sich in diesem Jahrhundert besonders eifriger Bearbeitung, und namentlich trug die Verbesserung der Mikroskope mächtig dazu bei, „die Verhältnisse im kleinsten Raum aufzuschließen“, was zunächst durch Malpighi und Leeuwenhoek geschah. Unter den Krankheiten des 17. Jahrh. nehmen einen Hauptplatz die Seuchen ein, welche durch Krieg, Hungersnot, Elend aller Art und durch ungewöhnliche kosmische und tellurische Einflüsse begünstigt wurden. Von chronischen Krankheiten lernte man die Rhachitis kennen, deren erste Erscheinung in das Jahr 1630 fällt; auch der Kretinismus in den Alpenthälern regte zuerst die Aufmerksamkeit der Ärzte an. Der größere Verkehr mit entfernten Weltteilen vermehrte die Erfahrungen über den klimatischen Unterschied der Krankheiten, und auch der Beobachtung der Epidemien und der epidemischen Konstitution wurde größere Aufmerksamkeit zugewendet, nach dem Vorgang Thomas Sydenhams (1624–89), der, die Idee des Lebens in ihrer ganzen Reinheit fassend; die dem Leben entfremdete Heilkunde wieder auf den Weg der Natur leitete.

Die Heilkunde des beginnenden 18. Jahrh. fand ihre beiden größten Koryphäen, Stahl und Hoffmann, auf [404] der Universität Halle vereinigt. Stahl (1660–1734) fand den immateriellen Grund des Lebens in einer ursprünglich thätigen, bewegenden und vorstellenden Anima, die beim Akte der Zeugung allein das Thätige und Übergehende sei, sich ihren Körper baue und durch ihre Energie (Bewegung) Empfindung und Ernährung bewirke. Der Körper ist ihm das Leidende, ein unmittelbares Werkzeug der Seele und dadurch ein Organismus, der nur eine mechanische Anlage habe, und dessen Leben allein im Leben der Seele bestehe. Stahls Kollege Friedrich Hoffmann (1660–1742) suchte in der M. alles physisch und mechanisch zu erklären. Stahls unverstandene, aber bewunderte Größe und Hoffmanns eindringliche Klarheit würden zu alleinigem Ansehen gelangt sein, hätte nicht der Ruhm Boerhaaves (1668–1738) die Bewunderung der Zeitgenossen auf sich gelenkt. Boerhaave übte einen großen Einfluß durch sein Lehrtalent, seine beredte, lichtvolle Zusammenfassung großer Massen in übersichtlicher Darstellungsweise und durch seine hohe Begeisterung für die Wissenschaft. In der Mitte des 18. Jahrh. erwarb sich Albrecht v. Haller (1708–1777) um Anatomie, Physiologie, Botanik und Litteraturgeschichte außerordentliche Verdienste. Durch die von ihm aufgestellte Lehre von der Irritabilität gewann die Solidartheorie einen mächtigen Vorsprung. Diese Theorie, welche der humoralen und mechanischen gegenüber das Leben und dessen Erscheinungen vorzugsweise in den festen Teilen, namentlich im Muskel- und Nervensystem, begründet sieht, war von Glisson begründet worden, der zuerst eine allgemeine organisch bewegende Grundkraft, die Irritabilität, erkannte und dieselbe als die Quelle der Sympathien nicht allein den Fasern, sondern auch dem Blut, Parenchyma, Mark und selbst den Knochen zuschrieb. Haller faßte den Begriff der Irritabilität bestimmter und enger, indem er sie als die Grundkraft und Lebensthätigkeit der Muskeln bezeichnete. Von der Irritabilität schied Haller streng die Nervenkraft, und bald wurden allgemein Gehirn und Nerven als die alleinigen Inhaber und Beherrscher alles Lebens im Organismus angesehen, eine Ansicht, welche in ihrer höchsten Entwickelung und Einseitigkeit im System William Cullens (1710–90) hervortritt. Anatomie und Physiologie genossen in dieser Periode einer so ersprießlichen Pflege, daß fast keine andre Disziplin eine größere Anzahl berühmter Namen aufzuweisen hat. Was die praktische M. betrifft, so kam die alte Humoraltheorie besonders in dem Gastrizismus der Wiener Schule zum Vorschein. Diese Schule, durch den verdienstvollen van Swieten gestiftet, hatte in Anton de Haen ihren ersten berühmten Lehrer erhalten, erreichte ihren Höhepunkt aber in Maximilian Stoll aus Schwaben, der in genauer Verfolgung der epidemischen Konstitution den Sitz krankhafter Thätigkeit vorzugsweise im Unterleib erblickte, dessen entartete Säfte und Unreinigkeiten nur durch Brechmittel zu beseitigen seien. Fast gleichzeitig entstand Johann Kämpfs berühmte Lehre von den Infarkten, nach welcher durch Verdickung des trägen Bluts in den Unterleibsvenen, namentlich der Pfortader, wie durch Stockung des Serums in seinen Gefäßen und Drüsen ein Unrat zäher, kleisterartiger und polypöser Konkremente im Darmkanal entstehen sollte, gegen welche oft jahrelang mit auflösenden Visceralklystieren operiert ward. Auch die Physik äußerte um dieselbe Zeit ihren Einfluß auf die Heilkunde, und namentlich gaben die merkwürdigen Erscheinungen der Elektrizität der Wissenschaft eine mächtige Anregung, welche durch die Entdeckungen Galvanis und Voltas noch mehr gesteigert ward. Es entstand die Lehre von der Identität des galvanischen und organischen Lebensprozesses, der in der abstraktesten Auffassung als ein beständiger Wechsel von Polarität und Indifferenz erschien, welche Ansicht später bei vielen Physiologen, namentlich bei Prochaska und in der naturphilosophischen Schule, großen Anklang fand.

Eine neue Epoche ward in der Heilkunde durch John Brown (1735–88) heraufgeführt; ihm waren alle Lebenserscheinungen nur das Produkt der Außendinge oder Reize, deren Wirkung in der Erregung bestehe, wodurch allein das erzwungene Leben sich vom Tod unterscheide. Seine Therapie kannte nur Krankheiten der Sthenie und Asthenie, ermittelte den Grad derselben und bestimmte hiernach das Maß der Reize, durch welches die Erregung vermindert oder vermehrt werden sollte. Der enthusiastische Beifall, den Browns Lehre vorzüglich in Deutschland gewann, mag sich zum Teil aus der blendenden Konsequenz, Einfachheit, Leichtigkeit und praktischen Brauchbarkeit jenes Systems erklären; zum Teil aber entsprang er auch aus dem Mangel an allgemeiner, besonders naturwissenschaftlicher, Bildung unter den Ärzten, aus der Einseitigkeit der vorherrschenden, zu Abstraktionen geneigten Verstandesbildung und flachen Aufklärungssucht. In dieser für die Heilkunde so unerfreulichen Zeit machen einige Männer, die treu an der Natur und dem Geist festhielten, eine rühmliche Ausnahme. Der erste ist Johann Peter Frank (1745–1821), dessen „Epitome de curandis hominum morbis“ der Heilkunde zu allen Zeiten einen sichern Haltpunkt darbieten wird. Johann Christian Reil (1758–1813) bewies sich durch sein gefeiertes Werk „Über die Erkenntnis und Kur der Fieber“ sowie durch seine trefflichen Untersuchungen über den Bau des Gehirns als denkender Beobachter, der trotz seines reichen und bewegenden Geistes den Brownianismus teilnahmlos an sich vorübergehen ließ. Christian Wilhelm Hufeland, Professor in Jena und Berlin (1762–1836), trat der Lehre Browns und ihren fanatischen Jüngern mit dem Schilde der Wahrheit entgegen und bestand den Kampf jahrelang, mit unermüdlicher Geduld zur Vermittelung der Extreme stets die Hand bietend.

Schon hatte das Studium der Naturwissenschaften außerordentliche Fortschritte gemacht, als Schellings Naturphilosophie auftrat und von der Heilkunde mit Jubel begrüßt wurde. Der wahre Kern derselben ist die Auffassung der Natur als eines absoluten, durch sich selbst thätigen oder organischen Ganzen, welches durch Entzweiung der Identität oder Hervortreten der Gegensätze (Differenz oder Indifferenz) sein Sein in der ewigen Erzeugung der Dinge, doch mit verschiedenem Übergewicht des Idealen und Realen, offenbart. Diesen großen Gedanken sich aneignend, entstand die Lehre, daß den drei Dimensionen der Materien drei Grundkräfte der Natur, Magnetismus, Elektrizität und chemischer Prozeß, entsprechen, welche im menschlichen Organismus in qualitativer Bestimmtheit als Sensibilität, Irritabilität und Reproduktion sich darstellen, und auf deren normaler Synthesis die Gesundheit beruhe. Hierbei wurden Sensibilität und Irritabilität (organische Rezeptivität und Spontaneität) als die Faktoren der Erregung und die Reproduktion, Plastik oder Metamorphose als die objektive Seite des Organismus, beide aber in stetiger Durchdringung aufgefaßt und die Krankheit als einseitiges Hervortreten einer dieser Dimensionen, namentlich der beiden ersten, anerkannt. Trotz aller Mißgriffe, welche sich berufene und unberufene Jünger [405] der Naturphilosophie zu schulden kommen ließen, hat der Geist derselben höchst wohlthätig und belebend auf die Heilkunde, namentlich auf die Physiologie, eingewirkt, welch letztere jetzt von Troxler, J. J. Dömling, Ph. F. v. Walther, J. B. Wilbrand, Ign. Döllinger u. a., auf Schellingsche Prinzipien basiert, mit Erfolg bearbeitet ward. Die Theorien der Heilkunde, welche auf die Naturphilosophie folgten, sind meist nichts als Ausgeburten der Lehre Browns und der Erregungstheorie und deshalb von geringer historischer Bedeutung. Hervorzuheben ist nur die Homöopathie (s. d.), deren Begründer Samuel Hahnemann (1755–1843) den Dynamismus auf die Spitze trieb durch die Annahme, daß jede Krankheit nicht ein organischer Entwickelungsprozeß, sondern nur eine dynamische Verstimmung des Körpers, jede Ursache der Krankheit nur dynamisch aufzufassen, die Naturheilung deshalb unstatthaft und Krankheit nur durch Krankheit zu vertreiben sei. Als eine Modifikation dieser Homöopathie ist auch eine Isopathie aufgekommen, welche, das Prinzip der Schule in aequalia aequalibus curantur umwandelnd, nicht durch das Ähnliche, sondern durch das Gleiche, die Krankheit also durch ihre eignen Ursachen heilen will.

In den ersten drei Dezennien unsers Jahrhunderts hat sich die Heilkunde unverkennbar in ein harmonischeres Verhältnis zu den Naturwissenschaften gesetzt, aber in kaum geringerm Grad machte sich die Einwirkung philosophischer Anschauungen und Systeme noch auf die M. geltend. Ganz besonders wurden eigentlich erst jetzt die Anatomie und Physiologie der M. dienstbar gemacht. Das ungeheure Feld der Anatomie wurde nach allen Richtungen hin mit unglaublichem Eifer angebaut. Die allgemeine Anatomie, begründet von Bichat (1801), trat sofort wirksam in das Leben ein; die vergleichende Anatomie wurde bei der geistreichen Bearbeitung, welche sie in allen gebildeten Ländern Europas fand, eine der einflußreichsten und bedeutungsvollsten Wissenschaften, und die pathologische Anatomie ist eine reiche Fundgrube geworden, aus welcher die praktische M. wie die Physiologie den größten Gewinn ziehen. Die Physiologie, im engen Anschluß an ihre Schwesterwissenschaft, die Anatomie, gelangte mit Hilfe des Mikroskops, der chemischen Analyse und des Experiments zu wichtigen Entdeckungen. Wenn die Philosophen unter den damaligen Ärzten diese Physiologie beschuldigten, zum Teil allzu materiell geworden zu sein, so fehlte es auf der andern Seite nicht an Bemühungen, z. B. von seiten Burdachs, diese Doktrin wieder auf den Standpunkt zu versetzen, wo sich Körper- und Seelenleben an Einem Gedanken aufbauen, und wo der Körper als das Resultat der in ihm wohnenden Seele erscheint. Eine neue Richtung entwickelte sich in der Pathologie durch die naturhistorische Schule, an deren Spitze Schönlein (gest. 1864) stand. Auf die schon von Platon und Paracelsus mehr oder weniger deutlich ausgesprochene und in den Schulen der Naturphilosophie wiederholte Ansicht, daß die Krankheit nicht bloß ein Mangel der Gesundheit, sondern eine eigentümliche, aber niedere Lebensform, ein im Organismus parasitisch wurzelnder Lebensprozeß sei, gründete Schönlein ein nosologisches System, welches, analog dem Linnéschen Pflanzensystem, die Krankheiten gruppierte, ihre anatomischen und physiologischen Charaktere in möglichster Vollständigkeit berücksichtigte und ihre geographische Verbreitung etc. ins Auge faßte. Durch die experimentellen Arbeiten eines Orfila, Magendie u. a. erhielt auch die Toxikologie eine neue Bedeutung, während Diätetik und Hygieine nur spärlich angebaut wurden. Was die Therapie betrifft, so hat sich diese in den ersten Dezennien dieses Jahrhunderts nur selten in einer Achtung und Vertrauen einflößenden wissenschaftlichen Richtung gezeigt, obschon es nicht an Gelegenheit zur Vervollkommnung fehlte, da die Zahl alter und neuer Krankheiten, besonders epidemischer, vorzugsweise groß gewesen ist. In jener Periode trat auch eine neue medizinische Doktrin, nämlich die Seelenheilkunde, in die Geschichte ein. Sie gelangte bald zu einer imponierenden Selbständigkeit, ihre Theorie aber nahm eine zweifache Richtung an. Die eine, jetzt allgemein als allein richtig anerkannte Richtung hält die Seelenkrankheiten für körperlichen Ursprungs, für eine materiell begründete Krankheit des Leibes; die andre findet deren Ursache lediglich in dem psychischen Prinzip, in moralischer Gesunkenheit, und stellt sie fast dem Verbrechen gleich; eine dritte Richtung neigt sich vermittelnd bald auf die eine, bald auf die andre Seite, ohne immer die rechte Mitte festzuhalten und in richtiger Erfassung des Wechselverhältnisses somatischer und psychischer Ursachen die Totalität der menschlichen Natur in Erwägung zu ziehen. Die beiden Extreme der Theorie sind durch Nasse und Heinroth bezeichnet, ohne in der Praxis wesentlich verschieden zu sein.

Werfen wir zuletzt einen Blick auf die letzten 30 Jahre, so muß man gestehen, daß die Leistungen, welche die Jünger der M. in den verschiedenen Doktrinen derselben während dieser Zeit zu stande gebracht haben, von größerm Umfang und größerer Tragweite sind als alles, was die beiden vorhergehenden Jahrtausende ans Licht befördert haben. Die M. unsrer Tage unterscheidet sich von der aller vergangenen Zeiten vornehmlich dadurch, daß die aprioristische philosophische Spekulation gänzlich aus derselben verbannt ist, und daß man sich nur noch an dasjenige hält, was die gesunden fünf Sinne und eine nüchterne Reflexion an die Hand geben, und es ist zweifellos, daß sämtliche philosophische Richtungen, welche sich der M. jemals bemächtigt haben, zusammengenommen noch lange nicht so viel geleistet haben wie die wenigen großen und klaren Geister, welche sich allein auf die unbefangene und vorurteilsfreie Beobachtung der Natur gestützt haben. Den Vorwurf der Philosophiescheu, der Nüchternheit, des Materialismus mag die neuere M. gern hinnehmen, denn der sichere Grund der positiven Thatsachen gewährt für weitere Fortschritte noch mehr Reiz, als spekulative Urgebilde jemals gewähren können. Die innige Verbindung, welche die Naturwissenschaften mit der M. eingegangen sind, hat reiche Früchte für die letztere getragen, und ihr Einfluß war stark genug, um der M. selbst zu einer exaktern, naturwissenschaftlichen Richtung zu verhelfen. Die Anatomie hat mit Hilfe vervollkommter Mikroskope die Struktur der feinsten Körperteilchen in das rechte Licht gesetzt; die Physiologie hat sich dieser Forschungen bemächtigt, und in Verbindung mit der allerdings noch sehr wenig entwickelten Anthropochemie sowie mit Hilfe der physikalischen Wissenschaften ist sie dahin gelangt, alle Lebensvorgänge auf chemische und physikalische Gesetze zurückzuführen, und das geheimnisvolle Agens, was man früher Lebenskraft nannte, ist ganz aus der Wissenschaft verschwunden. Die Pathologie ist seit allgemeiner Einführung der Perkussions- und Auskultationskunst um ein höchst wertvolles Untersuchungsmittel bereichert worden, so daß man sagen kann, es sei dadurch eine wesentliche Erweiterung unsers Gesichtskreises eingetreten. Die pathologische [406] Anatomie, die auf Rokitanskys Schultern ruht und durch Virchows Genius mit Ideen befruchtet worden ist, trägt der praktischen M. eine Leuchte voran und verspricht, über das Wesen der Einzelerkrankungen wie über das Wesen der Krankheit überhaupt noch reiche Aufschlüsse zu geben. Chirurgie und Geburtshilfe sind durch vervollkommte Methoden und Instrumente wie durch geläuterte Anschauungen von den Krankheits- und Heilungsprozessen auf eine respektable Höhe gebracht worden. Ihre Spezialfächer, wie Augen- und Ohrenheilkunde, haben sich an diesen Fortschritten beteiligt, und es genügt, in dieser Beziehung nur an die Erfindung des Augenspiegels von seiten des genialen Physiologen Helmholtz, an den Kehlkopfspiegel etc. zu erinnern. Von der innern M. gilt Ähnliches; sie baut nicht mehr nosologische Systeme, huldigt aber um so mehr einer gründlichen und allseitigen Krankenuntersuchung. Am wenigsten trostreich ist der Zustand der Therapie, besonders der Therapie innerer Krankheiten. Hier wird noch allen Richtungen, selbst den entgegengesetztesten, gehuldigt, und alle Hebel zur Bekämpfung der Krankheiten werden, leider nur zu oft ohne festes Prinzip und genügende Erfahrungsunterlagen, in Bewegung gesetzt. Erwägt man aber den Gang der Entwickelung, welchen die M. in den letzten Dezennien genommen hat, so darf man getrost der Zukunft entgegensehen und hoffen, daß die M. eine immer breitere und festere, echt wissenschaftliche Basis erhalten und in ihren Leistungen immer mehr den Anforderungen genügen werde, die man an die Wissenschaft vom Leben und an die Kunst, dieses zu verlängern und zu verschönern, stellen darf.

Vgl. Sprengel, Versuch einer pragmatischen Geschichte der Arzneikunde (3. Aufl., Halle 1821–28, 5 Bde.); Hecker, Geschichte der Heilkunde (Berl. 1822 bis 1829, 2 Bde.); Häser, Lehrbuch der Geschichte der M. und der epidemischen Krankheiten (3. Aufl., Jena 1875–82, 3 Bde.); Derselbe, Grundriß der Geschichte der M. (das. 1884); Baas, Grundriß der Geschichte der M. und des heilenden Standes (Stuttg. 1876); Derselbe, Leitfaden der Geschichte der M. (das. 1880); Rohlfs, Geschichte der deutschen M. (das. 1875–83, Tl. 1–4); Petersen, Hauptmomente in der geschichtlichen Entwickelung der medizinischen Therapie (Kopenh. 1877); Canstatt, Jahresbericht über die Leistungen und Fortschritte in der gesamten M. (Würzb. 1851–65, fortgesetzt von Virchow und Hirsch). Von neuern encyklopädischen Werken sind zu erwähnen: Littré, Dictionnaire de médecine etc. (15. Aufl., Par. 1884); „Nouveau dictionnaire de médecine et de chirurgie pratiques“ (hrsg. von Jaccoud, das. 1864–86, 40 Bde.); „Dictionnaire encyclopédique des sciences médicales“ (hrsg. von Dechambre, 1864 ff., ca. 100 Bde.); Eulenburgs „Realencyklopädie der gesamten Heilkunde“ (Wien 1880–83, 15 Bde.; 2. Aufl. 1884 ff.), zu welcher das „Biographische Lexikon der hervorragendsten Ärzte“ (hrsg. von Wernich und A. Hirsch, das. 1884 ff.) eine Ergänzung bildet; Villaret, Handwörterbuch der gesamten M. (Stuttg. 1887). Zeitschriften: „Archiv für Anatomie und Physiologie“ (His, Braune, du Bois-Reymond); Virchows „Archiv für pathologische Anatomie“; Langenbecks „Archiv für klinische Chirurgie“; „Archiv für Psychiatrie“ (Westphal); „Deutsches Archiv für klinische M.“ (Ziemssen, Zenker); „Archiv für Augenheilkunde“ (Knapp, Schweigger); Sitzungsberichte der Wiener Akademie; die Prager „Vierteljahrsschrift“; „Deutsche medizinische Wochenschrift“ (Berlin); „Berliner klinische Wochenschrift“; „Wiener medizinische Presse“; „Wiener medizinische Wochenschrift“; „Archives générales“ (Paris); „Comptes rendus de l’académie“ (das.); „L’Union médicale“; „La Presse médicale Belge“; „Transactions of the Royal Medical Society“ (London); „The Lancet“; „British medical Times“; „New York medical Times and medical Record“; „Il Morgagni“; „Archivo per le scienze mediche“.