Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Mandragŏra“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 11 (1888), Seite 183
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Mandragŏra. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 11, Seite 183. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Mandrag%C5%8Fra (Version vom 07.12.2023)

[183] Mandragŏra Juss. (Alraun), Gattung aus der Familie der Solanaceen, perennierende, fast stengellose Kräuter mit fleischiger, oft gespaltener Wurzel, großen, ganzen, ovalen oder lanzettförmigen, welligen oder buchtig gezahnten Blättern in kompakten Rosetten, einzeln grundständigen, langgestielten, ansehnlichen, violetten oder gelblichen Blüten und einfächerigen, vielsamigen Beeren. Drei oder vier Arten im östlichen Südeuropa und im Orient. M. officinarum L. hat grünlichgelbe Blüten und gelbe Beeren von 1,5 cm Durchmesser. Letztere werden von den Arabern gegessen; sie wirken einschläfernd, und schon Maherbal soll sich dieser Wirkung gegen die Feinde bedient haben. Auch sollen die Früchte zur Wollust reizen und fruchtbar machen, weshalb man sie seit dem Altertum vielfach zu Liebestränken benutzte. Die Blätter legt man als schmerzstillend auf Wunden, auch werden sie von einigen orientalischen Völkern wie Tabak geraucht. Die Wurzel wirkt narkotisch betäubend, und man gab sie daher im Altertum vor schweren Operationen. Namentlich aber hat die Wurzel als Zaubermittel eine große Rolle gespielt. Schon Pythagoras sprach von ihrer Ähnlichkeit mit einem Menschen; man glaubte sich mit derselben unsichtbar machen zu können und trug sie als Amulett gegen Hexerei. Um sie zu erhalten, waren bestimmte Vorsichtsmaßregeln nötig, weil sie entweder verschwand, oder so entsetzlich schrie, daß der Grabende vor Schreck sterben mußte (Shakespeare). Das Mittelalter bildete diesen Aberglauben weiter aus. Man schnitzte aus der Wurzel Männchen (Gold-, Hecke-, Galgen-, Erd- oder Alraunmännchen, Alruniken), die unter dem Galgen aus dem Samen eines unschuldig Gehenkten entstanden sein sollten, putzte sie verschiedenartig heraus und stellte sie, in einem Kasten verwahrt, an einen geheimen Ort des Hauses, von wo man sie zu magischem Gebrauch (um Schätze zu heben, wahrzusagen etc.) hervorholte. Man setzte ihnen auch wohl von jeder Mahlzeit etwas zu essen und zu trinken vor, wusch sie Sonnabends in Wein und Wasser, zog ihnen an Neumonden frische Kleider an etc. Sie galten als Talismane gegen Krankheiten, brachten Glück in Prozessen, den Frauen Fruchtbarkeit und leichte Niederkünfte etc. Daher ward ein ordentlicher Handel mit solchen Wurzeln getrieben und das Stück bisweilen mit 60 Thlr. bezahlt. Statt der Mandragorawurzel wurde zu gleichem Zweck auch die Wurzel der Bryonia und von Allium victorialis benutzt. Ob das Dudaim des Alten Testaments (1. Mos. 30, 14) auf M. zu beziehen ist, dürfte fraglich sein.