Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Makrokephalīe“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 11 (1888), Seite 137
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Makrokephalīe. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 11, Seite 137. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Makrokephal%C4%ABe (Version vom 28.11.2023)

[137] Makrokephalīe (griech., Großköpfigkeit), eine über das normale Maß hinausgehende Größe des Schädels, kommt normal vor u. findet sich nach Broca und Welcker mit einem entsprechend großen Gehirn bei geistig hochbegabten Männern. Virchow nannte den durch ansehnliche Größe ausgezeichneten Schädel Kephalon und die Träger solcher Schädel Kephalonen. M. bezeichnet ferner einen krankhaften, meist schon aus dem Fötalleben herrührenden, demnach angebornen Zustand, bei dem der Schädel, sei es durch Wasseransammlung (Wasserkopf, Hydrocephalus), sei es durch abnorme Vergrößerung des Gehirns, einen bedeutenden Umfang hat. Diese Verbildung kommt bisweilen bei Kretins (s. d.) vor und ist die Ursache unheilbaren Blödsinns; andernteils wird als M. eine künstlich herbeigeführte Verunstaltung des Schädels bezeichnet. Schon Hippokrates berichtete von einem Volk, das er Makrokephalen oder Langköpfe nannte, und welches ursprünglich die Köpfe der Kinder, um ihnen ein edleres Aussehen zu geben, mit Bandagen in eine längliche Form gepreßt habe; später sei diese künstliche Form bei dem Volk zur natürlichen geworden. Die gleiche Sitte, schon in der Kindheit den Kopf durch Pressung zu verunstalten, hat man bei vielen Völkern noch jetzt gefunden: bei mehreren Indianerstämmen Nordamerikas (namentlich den Chinook, den sogen. Flatheads,

Fig. 1. Künstlich geformter Flatheadindianerschädel.

Fig. 1) sowie Südamerikas (z. B. den Omagua am Amazonenstrom); auch fand man in alten Gräbern in Peru, in Chile, Bolivia, am See Titicaca, in den Gräbern der Aymara und Huanca ähnlich verunstaltete Schädel, so daß man nun weiß, daß dieser Brauch ehemals in einem großen Teil Südamerikas geherrscht hat; die Kariben auf den Antillen erzeugen bei ihren Kindern ebenfalls durch einen mit der Wiege verbundenen Kompressionsapparat eine keilförmige Deformation des Schädels. Durch Einklemmen zwischen zwei Bretter wird in Celebes, durch Einschnüren in Binden auf den Philippinen von den Eingebornen der kindliche Schädel verunstaltet. Bei den genannten rohen Völkern liegt der eigentümlichen Sitte die Absicht zu Grunde, dem Kopf eine für schön geltende Form zu geben; bei einigen Völkern ward M. wohl das Merkmal höhern Ranges. Doch auch in Europa kommt hier und da, namentlich in einigen Provinzen Frankreichs, ein ganz ähnlicher Gebrauch vor. Schließlich wurden in der Krim, in Niederösterreich, in der Schweiz, in Deutschland (bei Göttingen, bei Mainz) in alten Gräbern Schädel gefunden, welche ganz deutliche Spuren einer solchen mittels Binden herbeigeführten Verunstaltung zeigten. Die in der Krim gefundenen Schädel sollen, wie man annahm, von den Avaren oder Hunnen herrühren (Fig. 2).

Fig. 2. Künstlich geformter Avarenschädel.

Ob durch die Zusammenpressung des Schädels und die Behinderung der Gehirnentwickelung die Geisteskräfte bei den dieser Sitte huldigenden Völkern gelitten haben, wie manche Reisende angeben, ist noch fraglich, da andre Beobachter widersprechen. In den Distrikten Frankreichs, wo die Sitte herrscht, sollen besonders viele Geistesstörungen vorkommen. Vgl. Gosse, Essai sur les déformations artificielles du crâne (Par. 1855).