Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Mahâbhârata“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 11 (1888), Seite 96
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Mahâbhârata. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 11, Seite 96. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Mah%C3%A2bh%C3%A2rata (Version vom 21.11.2023)

[96] Mahâbhârata („der große Kampf der Bhârata“), Titel eines von den Hindu Vorderindiens hochverehrten Heldengedichts, dem Inhalt nach mehr eine Encyklopädie der Mythologie, der Sagen und der Philosophie der arischen Inder als die Erzählung einer bestimmten Begebenheit. Letztere bildet nur den Rahmen, in welchen die übrigen Teile als Erzählungen und Abhandlungen eingefügt sind. Als Verfasser des aus etwa 100,000 Doppelversen (Sloka) bestehenden Gedichts wird Wyâsa genannt, ein Name, der aber nichts weiter als „Ordner“ bedeutet. Man kann wenigstens eine dreimalige, jedesmal erweiternde Redaktion des Gedichts unterscheiden; die dem Wyâsa zugeschriebene Fassung soll nur 24,000 Doppelverse enthalten haben. Mehrere Teile sind gewiß erst nach den Zügen Alexanders entstanden; die letzte Überarbeitung scheint kurz nach der Zeit Açokas zu fallen, wie das Vorkommen späterer Götter und die antibuddhistische Tendenz mehrerer Teile beweist; indessen sind auch später noch einzelne Stücke, z. B. die Bhagavad-Gitâ (s. d.), hinzugefügt worden. Den mythischen Inhalt des Epos bildet der Thronfolgestreit zwischen den Söhnen zweier Brüder, Pându und Dhritarâschtra (beide vom Bharatastamm). Der erstere hat fünf Söhne, die jedoch nicht er, sondern Gottheiten mit seiner Frau gezeugt hatten; 100 zählt Dhritarâschtra, der ältere, aber blinde Bruder. Die Söhne Pândus, die Pândava, werden als gutmütig, gemäßigt im Zorn und gerecht, dagegen die Dhritarâschtras, die Kaurava, als anmaßend, neidisch und böswillig geschildert. Das 1. Buch berichtet die Genealogie und Jugendzeit der Helden sowie die Eifersucht der Kauraven auf die Pândusöhne; letztere sollen heimlich durch Feueranlegen an ihren Palast aus der Welt geschafft werden, entkommen zwar auf unterirdischen Gängen, lassen jedoch die Nachricht ihres Unterganges verbreiten, während sie sich in die Wälder zurückziehen und hier als Einsiedler leben. In die Öffentlichkeit treten sie im 2. Buch bei der Werbung um die schöne Draupada, wobei sie im Bogenspannen alle übrigen Bewerber, darunter auch ihre Vettern, übertreffen und die Draupada gewinnen. Dhritarâschtra beschließt nun, das Reich mit Pândus Söhnen zu teilen, was auch geschieht. Aufs neue erregt den Argwohn der Kaurava der Umstand, daß sich Judhischthira, der älteste der Pândaven, nach vielfachen Verheerungen der Nachbarreiche als Großkönig krönen läßt. Während der Festlichkeiten bei diesem Anlaß bringen die Söhne Dhritarâschtras ein Würfelspiel in Vorschlag; Judhischthira, ein leidenschaftlicher Spieler, verliert seinen Palast, sein Königreich, sein Weib, seine Brüder, zuletzt seine eigne Freiheit. Auf Bitten Draupadas werden zwar die Pândusöhne freigegeben; allein Judhischthira wagt sich noch einmal an das Spiel, und da er wiederum verliert, wird er mit seinen Brüdern zu einem Exil von zwölf Jahren verurteilt. Das 3. Buch füllt die Beschreibung des Aufenthalts der Brüder in der Einsamkeit; das 4. beschreibt ihre Abenteuer im 13. Jahr und ihre Leistungen im Dienste des Königs Wirata, dem sie sich gegen Ende des Jahrs zu erkennen geben; dieser wird ihr Verbündeter zur Wiedergewinnung ihres Reichs. Das 5. Buch zählt die beiderseitigen Vorbereitungen zum Krieg auf und beschreibt die einzelnen Verbündeten; das 6. bis 9. Buch sind ausführlicher Schilderung der Kämpfe gewidmet. Einige dieser Erzählungen sind fast homerisch, im ganzen aber wird das Interesse durch Wiederholungen und schwülstige Breite beeinträchtigt. Nur wenige Führer entkommen dem Gemetzel in diesen Schlachten, die Pândusöhne behalten die Oberhand; ein nächtlicher Überfall, der im 10. Buch breit behandelt wird, mißlingt. Das kurze 11. Buch besingt den Schmerz Dhritarâschtras und der Witwen; das 12. ergeht sich in ermüdender Breite über die Pflichten der Könige, den Nutzen guter Werke und die Mittel, um endliche Erlösung von der Notwendigkeit der Existenz zu erreichen. Ebenso breit behandelt das 13. Buch die Kastenvorschriften und ist, wie das vorhergehende, reich an Einschiebseln und Erzählungen. Im 14.–18. Buch erfolgt darauf die Schilderung des Roßopfers, das Judhischthira zum Beweis seiner Oberhoheit vollzieht, der Rückzug und Tod Dhritarâschtras, sodann die Thronentsagung Judhischthiras und seine und der Brüder Rückkehr in die einsamen Thäler des Himalaja, endlich seine Aufnahme in den Himmel und Rückkehr in die Gottheit (Krischna), welche in ihm und seinen Brüdern menschliche Form angenommen hatte. Eine Art Supplement mit dem besondern Titel: „Harivamça“, das sich hauptsächlich mit den Thaten des Gottes Krischna befaßt und reich an mystischen Abhandlungen, an mythologischen und sagenhaften Überlieferungen ist, bildet den Schluß des Ganzen. – Der Text des M. wurde zu Kalkutta 1834–39 gedruckt auf Anregung des Komitees für Volkserziehung und füllt vier starke Foliobände und einen Registerband; eine vollständige, in philologischer Beziehung häufig fehlerhafte Übersetzung gab der Franzose Hippolyte Fauche: „Le Mahâ-Bhârata traduit complètement pour la première fois“, in 10 Bänden (Par. 1863–70). Einzelne Episoden sind mehrfach herausgegeben und übersetzt worden; so die Episode von Nalas (s. d.), von der Sündflut von Bopp (Ausg. u. Übers., Berl. 1829), vom Raub der Draupadî (übers. von Fertig, Würzb. 1841), von Sâwitrî (übers. von Merkel, Aschaffenb. 1839), das Hariwamça (von Langlois, Par. 1834), die Bhagavad-Gitâ (s. d.). Vgl. Foucaux, Le M. Onze épisodes traduits en français (Par. 1862), und A. Holtzmann, Indische Sagen (2. Aufl., Stuttg. 1854, 2 Bde.), worin der Versuch gemacht wird, die ursprünglichste Gestalt des Epos zu gewinnen. Grundlegend waren die Untersuchungen von Lassen („Beiträge zur Kunde des indischen Altertums aus dem M.“ in der „Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes“, Bd. 1–3). Vgl. ferner H. Wilson, Essays on the religion of the Hindoos, Bd. 1 (Lond. 1862); Williams, Indian epic poetry (das. 1863); Wheeler, The vedic period and the M. (das. 1867); Lassen, Indische Altertumskunde, Bd. 2 (2. Aufl. 1874).