MKL1888:Madrid
[50] Madrid, span. Provinz in der Landschaft Neukastilien, grenzt im N. und NW. an die Provinz Segovia, im O. an Guadalajara, im S. an Cuenca und Toledo, im W. an Avila und hat ein Areal von 7989 qkm (145,1 QM.). Der nördliche und westliche Teil der Provinz wird vom Hauptzug der Sierra de Guadarrama und deren Ausläufern erfüllt und ist mit Wald bedeckt, das übrige Land ist eben oder hügelig und kahl. Bewässert wird das Land vom Tajo und dessen Nebenflüssen Jarama (mit Lozoya, Henares, Manzanares und Tajuña), dann Guadarrama und Alberche. Die Bewohner, 1878: 594,194 Seelen, beschäftigen sich, abgesehen von der Hauptstadt, mit Produktion von Getreide, Öl und Wein, Industrie in Fayence, Steingut, Glas etc. Die Provinz hat 17 Gerichtsbezirke (darunter in der Hauptstadt 10).
Die gleichnamige Stadt M., zugleich Haupt- und Residenzstadt des Königreichs Spanien, liegt annähernd im Mittelpunkt der Pyrenäischen Halbinsel,
Wappen von Madrid. | |
in der sandigen Ebene von Neukastilien, 650 m ü. M., am Manzanares, welcher durch den Jarama dem Tajo zufließt, im Sommer aber fast gar kein Wasser führt, und besteht aus der eigentlichen Stadt und mehreren Vorstädten. In den letzten Jahrzehnten, namentlich seit Erbauung der Eisenbahnen, hat sich die Stadt sehr vergrößert und verschönert; die Vorstädte haben in der Hauptsache erst seit 1844 sich zu entwickeln begonnen und sind, nachdem die alten Stadtmauern seit 1878 niedergerissen wurden, auch äußerlich mit der Stadt vereinigt worden. Das Klima von M. ist nicht günstig, im Sommer sehr heiß und trocken, im Winter kalt und rauh; die mittlere Jahrestemperatur beträgt 13,7° C. Der Anblick der Stadt von außen bietet wenig Anziehendes, da sie von öder Landschaft und unfreundlichen Ortschaften umgeben ist; aber im Innern ist M. eine der schönsten Städte von Europa, mit regelmäßigen, breiten Straßen und Plätzen, gutem Pflaster, schön gebauten Häusern und prächtigen Promenaden. Nur der älteste Teil, zwischen dem königlichen Schloß und der Toledostraße, besteht aus engen, krummen Gassen und kleinen, winkeligen Plätzen. Die Stadt hat gegen 12 km im Umfang, 600 Straßen und 75 Plätze. Die schönsten Straßen sind die mit Akazienalleen gezierte Calle de Alcala, von hohen Häusern mit Balkonreihen eingefaßt, unter denen sich namentlich das Gebäude der Aduana nacional, die Academia de San Fernando und der von der Herzogin von Alba erbaute Palast de Buenavista auszeichnen; ferner die Calle de Montera, C. del Arenal, C. del Cármen, C. de Preciados, C. mayor, C. de Carretas und Carrera de San Geronimo, welche alle nach dem Mittelpunkt der Stadt, dem berühmten Platz der Puerta del Sol, auslaufen. Auch die Calle Atocha, C. de Toledo, C. de Fuencaral[WS 1] und C. de Hortaleza verdienen Erwähnung. Die Hauptplätze Madrids sind folgende: die Puerta del Sol, ein regelmäßiger viereckiger Platz, von welchem die acht genannten Straßen strahlenförmig auslaufen, mit monumentalen Gebäuden und Brunnen; die Plaza mayor, gleichfalls ein regelmäßiges Viereck, mit dem Standbild Philipps III., umringt von schönen Gebäuden mit Kolonnaden, früher die Stätte der Autodafees der Inquisition, später (seit 1846) zu Stierkämpfen verwendet; die Plaza de Oriente mit der Reiterstatue Philipps IV., schönem Blumenparterre, von Baumanlagen mit 44 Statuen spanischer Herrscher und großen Gebäuden, darunter der Rückfassade des königlichen Schlosses und dem Teatro el Oriente (Opernhaus), umgeben; die Plaza de Isabel II., die P. de Bilbao, P. de Santo Domingo, P. del Rey und die kleine P. da las Cortes mit dem Cortespalast und der bronzenen Bildsäule von Cervantes. An der Ostseite der Stadt, am Ende der Straße von Alcala, liegt der Prado, eine von Ulmenalleen, die durch laufendes Wasser fortwährend erfrischt werden, durchschnittene und mit acht prächtigen Marmorfontänen gezierte Promenade von 3050 m Länge. An der östlichen Seite des Prado liegt das Museo del Prado oder die königliche Gemäldegalerie. Der Mündung der Straße von Alcala gegenüber steht der prachtvolle Triumphbogen der Puerta de Alcala.
Unter den mehr als 90 Kirchen ist architektonisch keine von besonderer Bedeutung. Die größte ist die von San Isidro el Real in der Toledostraße, mit reichvergoldeter Kuppel und vielen Bildwerken im Innern. Ein schönes Bauwerk ist auch das ehemalige Franziskanerkloster mit Kirche, einer Rotunde, von einer kolossalen Kuppel überwölbt, welche die Bestimmung eines Nationalpantheons hat. Unter den öffentlichen Gebäuden von M. ist das hervorragendste das große königliche Schloß am westlichen Ende der Stadt, an der Stelle des alten, 1734 abgebrannten Alkazar von Philipp V. im Renaissancestil erbaut, mit einem von Säulenhallen umgebenen Hof, großer Marmortreppe, prächtigen Sälen, Bibliothek, Schatzkammer, Theatersaal, Sammlung flandrischer Gobelins und prächtigen Gärten, welche sich zum Manzanares absenken. Außerdem sind zu nennen: der Cortespalast, der Justizpalast (ehemaliges, 1758 gestiftetes Nonnenkloster Salesas Reales), das Zollhaus in der Alcalastraße, das schon erwähnte Museum der Künste am Prado, das königliche Theater el Oriente, sehr geräumig und luxuriös ausgestattet. Ein Neubau für die Nationalbibliothek und das Museum ist in Angriff genommen worden. Östlich vom Prado liegt das Artillerie-Museum, der Überrest des ehemaligen Lustschlosses Buen Retiro (s. d.), am Eingang zum Park von M.; in der Nähe desselben befindet sich die große befestigte Artilleriekaserne und vor dieser, dicht am Prado, das Monument zum Andenken der am 2. Mai 1808 für die Unabhängigkeit der Nation Gefallenen. Zwischen dem Prado und dem Park von M. ist ein hübscher Garten mit dem Denkmal Murillos angelegt worden. Bemerkenswert sind auch der große Kirchhof vor dem Atochathor, wo der Dichter Calderon de la Barca begraben liegt, und der Zirkus oder die Plaza de Toros vor der Puerta de Alcala, bestimmt für die Abhaltung beliebter Volksfeste, namentlich der Stiergefechte, und für 16,000 Zuschauer eingerichtet.
Die Zahl der Einwohner beträgt (1878) 397,690. Die industrielle Thätigkeit der Hauptstadt ist für spanische Verhältnisse bedeutend. Zu erwähnen sind besonders mehrere königliche Fabriken (für Tabak und Zigarren, Teppiche, Gold- und Silberwaren und Porzellan), dann die Madrider Gold- u. Juwelierarbeiten, die Teppich-, Seife- und Parfümeriefabriken, der Wagenbau, die Fabrikation von Maschinen, musikalischen, chirurgischen und Präzisionsinstrumenten, Möbeln, Handschuhen, Knöpfen, Fächern, Riemer- und Sattlerwaren, [51] Porzellan, Schokolade und die polygraphische Industrie. Wichtig ist auch der Handel, namentlich in Cerealien, Wein, Öl, Kaffee und Kolonialprodukten, in welchen Artikeln M. das Entrepot für die innern Provinzen Spaniens bildet, dann in feinern und Luxusartikeln (hauptsächlich aus Frankreich) für den sehr bedeutenden Lokalbedarf. Dem Handelsverkehr dienen in M. mehrere Institute, so die Bank von Spanien, eine Handelsbörse (seit 1831), eine Handelskammer (Junta de comercio) und ein Handelsgericht, mehrere Versicherungsgesellschaften, Kreditanstalten,
Situationsplan von Madrid. | |
Sparkassen etc. Hinsichtlich der Verkehrsanstalten ist M. das Zentrum des spanischen Eisenbahnnetzes, indem hier Linien nach N. (über Valladolid nach Asturien, Galicien und Frankreich), NO. (Saragossa) und S. (nach Alicante, nach Andalusien und über Badajoz nach Portugal) auslaufen. Außer diesen Bahnlinien ist der unbrauchbare Manzanareskanal vorhanden, der den Manzanares mit dem Tajo verbinden sollte, aber unvollendet blieb. Die Stadt ist in mehreren Richtungen von Tramways durchzogen. Seit 1859 erhält M. durch eine mit großen Kosten (120 Mill. Pesetas) hergestellte, 70 km lange Wasserleitung ausgezeichnetes Trinkwasser aus dem Lozoya am Fuß des Peñalara, was auf den Gesundheitszustand der Bevölkerung und auf die Vegetation der Umgebung außerordentlich vorteilhaft eingewirkt hat. Von öffentlichen Anstalten besitzt M. eine Universität (1498 in Alcala de Henares gegründet, 1836 hierher verlegt) mit fünf Fakultäten und über 5000 Studierenden, eine Notariatsschule, ein Konservatorium für Handel und Industrie, eine Ingenieurschule, eine Tierarznei-, eine Handels-, eine Agrikulturschule, eine Bergwerksingenieurschule, eine Architekturschule, eine königliche Schule der schönen Künste, eine Nationalschule für Musik und Deklamation, Akademien für den Generalstab, die Infanterie, Artillerie und das Ingenieurkorps, eine königliche Schule für Diplomatik und eine Normalschule für Lehrer und Lehrerinnen, 4 öffentliche Bibliotheken, eine Blinden- und Taubstummenanstalt, 17 Spitäler und zahlreiche Elementarschulen; ferner die spanische Akademie zur Ausbildung der kastilischen Sprache, Akademien der Geschichte und der Rechtswissenschaft, eine medizinische und naturwissenschaftliche Akademie.
Sehr reich ist M. an Kunstsammlungen. Die bedeutendste, zugleich eine der hervorragendsten Europas, ist das Museo del Prado oder die königliche Gemälde- und Skulpturengalerie, die 2205 Gemälde, Meisterwerke aller Schulen (darunter von Velazquez, Murillo, Tizian, Raffael, Luca Giordano, Rubens, van Dyck, Teniers, J. Brueghel, Albr. Dürer), und Bildhauerwerke sowie antike Kunstgegenstände enthält. Das Museo nacional de la Trinidad hat gegen 900 Gemälde, fast alle von spanischen Meistern, und die Galerie der Akademie von San Fernando in der Straße von Alcala ungefähr 300 Gemälde meist spanischer Künstler nebst einer wertvollen Sammlung von Gipsabgüssen. Nicht weniger bedeutend sind die wissenschaftlichen Sammlungen. Die Biblioteca nacional an der Plaza de Oriente enthält über 300,000 Bände und in zwei besondern Sälen eine reiche Münz- [52] und eine Antiquitätensammlung. Erstere besteht aus etwa 100,000 Münzen sowie aus mehr als 300 kostbaren Gemmen und über 1500 geschnittenen Steinen; letztere umfaßt eine Menge ägyptischer, etrurischer, römischer, griechischer, gotischer, arabischer, chinesischer und amerikanischer Gerätschaften und Kunstwerke. Die Armeria real, von Philipp II. angelegt, bildet eine der kostbarsten Sammlungen von Waffen und Rüstungen; das naturhistorische Museum enthält unter anderm eine ausgezeichnete mineralogische Sammlung, eine Sammlung von Trachten und Erzeugnissen der Indianer Amerikas, Westindiens und der Philippinen und das vollständige Skelett des Megatherium americanum. Mit diesem Museum sind der botanische Garten, zugleich eine angenehme Promenade, und die Sternwarte in den Gärten des Buen Retiro verbunden. Noch hat M. viele wissenschaftliche Vereine (darunter namentlich El Ateneo, der von großem Einfluß auf die spanische Bildung ist), Privatunterrichts-, litterarische und artistische Anstalten und 5 Theater. Auch erscheinen hier 30 politische Journale und zahlreiche Fach- und Unterhaltungszeitschriften. M. ist Sitz der Landesregierung und eines Gouverneurs, des obersten Gerichtshofs und zahlreicher Gesandtschaften und Konsulate (darunter auch ein deutsches Konsulat). In der Umgegend von M. befinden sich einige königliche Schlösser mit Parkanlagen, nämlich Casa del Campo am Manzanares, El Pardo mit Eichenwaldungen und Tiergarten, La Florida, Zarzuela und Villa Viciosa, wo 1759 Ferdinand VI. in Raserei starb. Viel bedeutender sind die unter dem Namen Sitios bekannten Schlösser San Ildefonso oder La Granja, Escorial und Aranjuez (s. d.).
In der Geschichte tritt die Stadt zuerst im J. 939 n. Chr. unter dem Namen Majerit auf, wo sie durch König Ramiro II. von Leon erstürmt wurde. Solange die Mauren die Halbinsel besetzt hielten, diente der Ort als Grenzbefestigung und wurde von den Mauren oft genommen, bis ihn 1086 Alfons VI., der Eroberer des maurischen Königreichs Toledo, besetzte. König Heinrich III. von Kastilien wählte M. zu seiner Residenz während der Jagdzeit. Einige Fürsten hielten hierauf längere Zeit in M. ihr Hoflager, und nach dem Tod Ferdinands des Katholischen wurde die Reichsregierung dahin verlegt. Kaiser Karl V. hielt sich meist in M. auf und ließ den Alkazar, das alte Schloß, in einen königlichen Palast umwandeln; sein Sohn Philipp II. erklärte 1560 M. endgültig für die Hauptstadt der Monarchie. Seit jener Zeit und durch jenen Monarchen entwickelte sich die Stadt zu ihrer jetzigen Größe und Bedeutung. M. ist durch eine ganze Reihe von Verträgen merkwürdig, die daselbst abgeschlossen wurden, namentlich durch den Frieden von M. vom 14. Jan. 1526 zwischen Karl V. und Franz I. von Frankreich, von 1617 zwischen Spanien und Venedig und von 1800 zwischen Portugal und Spanien. Während des Erbfolgekriegs hielt es M. mit der französischen Partei. Bei der französischen Okkupation gab es durch einen Aufstand gegen Murat, 2. Mai 1808, und durch einen Straßenkampf, bei dem über 1500 Bürger das Leben verloren, das Signal zur allgemeinen Erhebung, wofür der Stadt in der Anrede des Kanzleistils die Bezeichnung „die heroische“ beigelegt wurde. In den karlistischen Kämpfen stand es immer auf seiten der Königin. Vgl. Alvarez y Baena, Hijos de M. etc. (Madr. 1789–91, 4 Bde.); Mesonero Romanos, El antiguo M. (das. 1861); Amador de los Rios, Historia de la villa y corte de M. (das. 1861–64, 4 Bde.); Valverde y Alvarez, La capital de España (das. 1883).
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Fuencavral