Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Mädchenschulen“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 11 (1888), Seite 4142
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Mädchenschulen. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 11, Seite 41–42. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:M%C3%A4dchenschulen (Version vom 20.11.2023)

[41] Mädchenschulen. Die Spuren besonderer Unterrichtsanstalten für die weibliche Jugend sind in den Schriften der Alten selten und unsicher. Jedenfalls hat es derselben im Altertum und im frühern Mittelalter nur wenige als Ausnahmen gegeben, namentlich in Klöstern für die vornehmen Stände. Berühmt ist aus dieser Zeit die weibliche Klosterschule zu Gandersheim, an der die Dichterin Hroswitha wirkte. In den aufstrebenden Städten des spätern Mittelalters werden öfters Jungfrauenschulen erwähnt, die von Lehrmüttern (Lehrbasen, Lehrgotten) geleitet wurden. Diese zu pflegen und zu verbreiten, waren unter andern die deutschen Reformatoren, namentlich Luther und Bugenhagen, bemüht, während auf römischer Seite mit der Gründung des Ordens der Ursulinerinnen (1537) und namentlich mit dessen Anlehnung an die Gesellschaft Jesu (1604) ein reger Eifer der religiösen Orden für die weibliche Bildung erwachte. Doch drang die Erkenntnis, daß Staat und Gemeinde im eignen Lebensinteresse die Schulbildung für beide Geschlechter allgemein zu gewähren haben, erst sehr allmählich durch und ist außerhalb Deutschlands, Skandinaviens und der Schweiz erst im letzten Menschenalter zur unwidersprochenen Herrschaft gelangt. Die Frage, inwieweit zum Unterricht der weiblichen Jugend auch auf der Stufe der allgemeinen Schulpflicht besondere M. erforderlich sind, wird in den verschiedenen Staaten verschieden beantwortet. Bei den romanischen Völkern waltet die völlige Trennung der Geschlechter vor; in Deutschland ist im ganzen der Grundsatz maßgebend, daß an mehrklassigen Schulen die Geschlechter getrennt unterrichtet, dagegen bei nur zwei Lehrern die Abstufung in zwei oder drei aufsteigende Klassen der Scheidung nach Geschlechtern vorgezogen wird (vgl. Allgemeine Verfügung des preußischen Ministers Falk vom 15. Okt. 1872, § 6). – Auf der mittlern und höhern Stufe gilt uns die Absonderung in besondere M. als unerläßlich. Doch hat namentlich in Nordamerika, auch in England die Ansicht zahlreiche Vertreter, daß selbst der höhere Unterricht für Knaben und Mädchen derselbe sein müsse. Die Geschichte der höhern M. oder, wie man früher wörtlich nach dem Französischen sagte, der höhern Töchterschulen (écoles de filles supérieures) weist auf Fénelons Schrift „Sur l’éducation des filles“ (1689). Obwohl diese selbst mehr die sorgfältige häusliche Erziehung der Töchter vornehmer Familien bespricht, ist doch namentlich von ihr der Eifer zur Gründung höherer M. in Frankreich ausgegangen, der sich bald auch nach England und nach Deutschland verbreitete. Hier war es A. H. Francke, der 1697 die Fénelonsche Schrift ins Deutsche übersetzte und 1698 eine Mädchenschule (Gynaeceum) in Halle gründete. Doch kam man im ganzen während des 18. Jahrh. nicht über tastende Versuche hinaus. Als Vorbild für alle M. galt lange das von Frau v. Maintenon nach Fénelons Ideen mit Ludwigs XIV. Beifall und Beihilfe 1686 gegründete Haus des heil. Ludwig zu St.-Cyr bei Versailles, obwohl auch diesem nur eine kurze Blüte beschieden gewesen war. In der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts gewannen nacheinander J. J. Rousseau (5. Buch des „Émile“: Erziehung der Sophie) und Frau v. Genlis (1746–1830) die Leitung. In Deutschland gingen neben der stillen, die Franckesche Richtung weiter verfolgenden Arbeit der Brüdergemeinde mannigfache, den philanthropischen Geist der Zeit atmende Ansätze. Allmählich erst entstanden als feste Punkte im Schwanken der Ansichten einzelne öffentliche Anstalten von festerer Prägung, wie die Magdalenenschule zu Breslau (1767), die Luisenstiftung (1811), Elisabethschule (1827), Augustaschule (1832) zu Berlin, die Elisabethenschule zu Frankfurt a. M. (1804), die Ernestinenschule zu Lübeck (1804), das Katharinenstift zu Stuttgart (1818), die Cäcilienschule zu Oldenburg (1836) u. a. Von diesen ging das Bestreben aus, dem höhern Mädchenschulwesen eine mehr geschlossene Gestalt zu geben. Begünstigt durch das Interesse der Zeit an der Frauenfrage, traten 1872 in Weimar namhafte Vertreter der höhern M. zu einem Verein zusammen, der bis 1880 bereits 14 Zweigvereine und 2300 Mitglieder zählte. In einer Denkschrift an die deutschen Staatsregierungen wurden die Wünsche des Vereins vorgetragen, die wesentlich auf klarere Abstufung der M. (in Volks-, Mittel- und höhere M.), Aufstellung verbindlicher Grundzüge für die Lehrpläne der verschiedenen Stufen, strengere Forderungen an die Vorbildung der Lehrer und Lehrerinnen und Gleichstellung der höhern M. mit den übrigen höhern Lehranstalten ausgingen. Während in einigen deutschen Mittel- und Kleinstaaten, namentlich in Württemberg und Baden, diese Forderungen der Hauptsache nach berücksichtigt worden sind, haben die preußischen [42] Kultusminister denselben gegenüber sich vorsichtig abwartend verhalten. Minister Falk berief eine Konferenz von Sachverständigen nach Berlin, die vom 18.–23. Aug. 1873 in Berlin tagte und den Hauptpunkten des Weimarer Programms beitrat. Doch wurde nur eine neue Prüfungsordnung für Lehrerinnen und Schulvorsteherinnen an M. unterm 24. April 1874 erlassen, im übrigen aber alles beim alten gelassen, der wesentlich elementare Charakter des Unterrichts auch in höhern M. wiederholt betont und Übertreibungen in einseitig wissenschaftlicher Richtung gelegentlich entgegentreten. Vorzugsweise von dieser nüchternen Ansicht über die Aufgabe der höhern M. eingegeben ist auch der 1886 amtlich veröffentlichte Normallehrplan für die höhern M. in Berlin. Vgl. Krusche, Litteratur über weibliche Erziehung und Bildung in Deutschland (Leipz. 1887); v. Sallwürk, Fénelon und die Litteratur der weiblichen Bildung in Frankreich (Langensalza 1886); Kreyenberg, Die deutsche höhere Mädchenschule (Frankf. 1887).