MKL1888:Lichtwellen, stehende

Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Lichtwellen, stehende“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 19 (Supplement, 1892), Seite 582583
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Lichtwellen, stehende. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 19, Seite 582–583. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Lichtwellen,_stehende (Version vom 21.04.2023)

[582] Lichtwellen, stehende. Alle Lichterscheinungen erklären sich bekanntlich aus der Annahme, daß das Licht in einer schwingenden Bewegung bestehe, die sich in einem den ganzen Weltenraum und die Zwischenräume zwischen den Körperteilchen erfüllenden Mittel, dem Äther, wellenartig fortpflanzt. Ist aber das Licht wirklich eine Wellenbewegung, so müssen sich notwendig alle Eigenschaften, die der Wellenbewegung überhaupt zukommen, auch bei den Lichtwellen wiederfinden. In der That haben sich eine Reihe von Folgerungen, welche man aus der vorausgesetzten Wellennatur des Lichtes zog, nachträglich im Versuch bewährt und so zur Entdeckung neuer Lichterscheinungen geführt. Nur die Existenz stehender Wellen, welche beim Schall (als Ursache des Tönens der Orgelpfeifen etc.) eine so wichtige Rolle spielen, war beim Licht bisher experimentell nicht nachgewiesen. Dieser Nachweis ist nun in neuester Zeit O. Wiener in folgender Weise gelungen:

Trifft ein paralleles Bündel einfarbiger Lichtstrahlen oder, was dasselbe ist, eine ebene Lichtwelle auf einen ebenen Spiegel, so wird es in sich selbst zurückgeworfen; die einfallende und die zurückgeworfene Welle, welche sich in entgegengesetzten Richtungen fortpflanzen, durchdringen sich und rufen durch ihr Zusammenwirken (Interferenz) in dem Raume vor dem Spiegel den Bewegungszustand hervor, den man mit der Benennung der „stehenden Wellen“ bezeichnet. In solchen Abständen vom Spiegel, wo der Gangunterschied der beiden Wellen ein Vielfaches einer ganzen Wellenlänge beträgt, haben die Ätherschwingungen die gleiche Richtung und unterstützen sich gegenseitig aufs vollkommenste; diese Stellen lebhaftester Bewegung nennt man „Schwingungsbäuche“. In solchen Abständen aber, wo der Gangunterschied um eine halbe Wellenlänge größer ist als das Vielfache einer ganzen Wellenlänge, erfolgen die Schwingungen in entgegengesetzten Richtungen und schwächen sich gegenseitig; man nennt diese Stellen vollkommenster Vernichtung „Schwingungsknoten“. Überhaupt wird in einem und demselben Abstand von dem Spiegel, d. h. in einer zu ihm parallelen Ebene, überall der gleiche Schwingungszustand herrschen; die Schwingungsbäuche und Schwingungsknoten bilden daher zwei Scharen solcher zum Spiegel parallelen Ebenen, deren Abstände voneinander für dieselbe Schar eine halbe Wellenlänge betragen und durch die Ebenen der andern Schar halbiert werden.

Man denke sich nun dieses System stehender Wellen von einer gegen den Spiegel geneigten Ebene durchschnitten. Auf dieser werden dann jene beiden Scharen von Ebenen zwei Scharen von parallelen, unter sich gleichweit abstehenden geraden Linien ausschneiden, welche abwechselnd den Schwingungsbäuchen und den Schwingungsknoten entsprechen. Würde man die schneidende Ebene senkrecht zum Spiegel stellen, so wären die Abstände der auf ihr sich abzeichnenden Geraden ebenso klein wie die der Bauch- und Knotenebenen selbst; sie würden nur eine halbe Wellenlänge betragen und demnach (da die Wellenlänge z. B. des gelben Lichtes nur ca. 0,0006 mm beträgt) so klein sein, daß sie mit dem unbewaffneten Auge nicht getrennt wahrgenommen werden könnten. Die Abstände der Linien auf der schneidenden Ebene werden aber um so größer, eine je geringere Neigung zum Spiegel man derselben gibt, und man kann diese Neigung so klein wählen, daß die Geraden 0,5–2 mm weit auseinandertreten.

Um diese Geraden für das Auge sichtbar abzubilden, diente als schneidende Ebene ein Glasplättchen, auf welchem ein lichtempfindliches, durchsichtiges und äußerst dünnes Häutchen von Chlorsilberkollodium ausgebreitet war. Diese Glasplatte wurde, das Häutchen dem Silberspiegel zugewandt, auf diesen so gelegt, daß zwischen Häutchen und Spiegel nur eine dünne, keilförmige Luftschicht vorhanden blieb, innerhalb welcher die stehende Wellenbewegung sich ausbildete. Längs der Geraden mit Schwingungsbäuchen wird alsdann die stärkste, längs der mit Schwingungsknoten die geringste photographische Wirkung eintreten, und nach der Entwickelung des Bildes gewahrt man in der That auf dem Häutchen ein System abwechselnd heller und dunkler Streifen, von welchen diese den Bäuchen, jene den Knoten der stehenden Lichtwellen entsprechen. Bei Anwendung von weißem Licht (elektrischem Bogenlicht) konnten die Streifen nicht besonders scharf ausfallen, weil für die verschiedenen Farben, welche im weißen Licht enthalten sind, verschiedenartige Schwingungszustände an eine und dieselbe Stelle des Häutchens treffen. Streifen von ausgezeichneter Schärfe aber werden erhalten, wenn man das elektrische Licht spektral zerlegt und so auf das aus Silberspiegel und Kollodiumhäutchen bestehende Plattenpaar treffen läßt, daß sich auf letzterm ein reines Spektrum abbildet. Ist die Schneide des keilförmigen Zwischenraums zwischen den beiden Platten den Spektrallinien parallel, so sind es auch die Streifen; bei andrer Lage der Schneide verlaufen die Streifen schräg zu den Spektrallinien und zeigen eine von der Dispersion des verwendeten Spektrums bedingte Krümmung.

[583] Nach derselben Methode untersuchte Wiener die Interferenz zweier sich rechtwinkelig kreuzenden geradlinig polarisierten Lichtwellen, um die Frage nach der Schwingungsrichtung des polarisierten Lichtes zu entscheiden. Ein Bündel geradlinig polarisierter Lichtstrahlen treffe unter einem Einfallswinkel von 45° auf einen ebenen Spiegel. Erfolgen die Lichtschwingungen der einfallenden Welle senkrecht zur Einfallsebene und demnach parallel zum Spiegel, so sind dieselben auch in der zurückgeworfenen Welle zum Spiegel parallel, und die sich durchkreuzenden Strahlen des einfallenden und des reflektierten Bündels müssen derart miteinander zur Interferenz gelangen, daß je nach dem Gangunterschiede der beiden Wellen eine gegenseitige Vernichtung oder Verstärkung der Schwingungen stattfindet. Es werden daher, wie im vorigen Falle, in zum Spiegel parallelen Ebenen Minima und Maxima der Lichtstärke miteinander abwechseln. Wenn dagegen die Schwingungen des einfallenden und sonach auch die des reflektierten Lichtes in der Einfallsebene erfolgen, so müssen, da bei einem Einfallswinkel von 45° die beiden Wellen zu einander senkrecht stehen, auch ihre Schwingungsrichtungen zu einander senkrecht sein. Schwingungen aber, welche zu einander senkrecht erfolgen, können sich niemals gegenseitig vernichten, sondern aus ihrem Zusammenwirken geht eine Lichtstärke hervor, welche in jeder Entfernung von dem reflektierenden Spiegel die gleiche ist. Bringt man daher in die Nähe des Spiegels, schwach gegen denselben geneigt, ein lichtempfindliches Häutchen, so müssen sich auf demselben im ersten Fall abwechselnd helle und dunkle Streifen abbilden, im zweiten Fall aber nicht. Die Versuche ergaben, daß Streifen auftraten, wenn die Polarisationsebene mit der Einfallsebene zusammenfiel, dagegen keine Streifen, wenn die Polarisationsebene zur Einfallsebene senkrecht stand. Da nach obiger Betrachtung Streifen nur durch Schwingungen senkrecht zur Einfallsebene hervorgebracht werden können, so folgt, daß die chemisch wirksamen Schwingungen einer geradlinig polarisierten Lichtwelle auf deren Polarisationsebene senkrecht stehen.