Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Lianen“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 10 (1888), Seite 757
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Lianen. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 10, Seite 757. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Lianen (Version vom 15.04.2023)

[757] Lianen, alle vorzüglich holzigen Schlinggewächse in den Tropenländern, besonders in den Wäldern des tropischen Amerika, wo sie mit ihren windenden Stengeln andre Bäume umschlingen und sie so überziehen, daß die Wälder dadurch undurchdringlich werden. Auch im obern Teil des Waldraums füllen sie die Lücken aus und bewirken dadurch die berühmte Fülle und Üppigkeit der tropischen Vegetation. Sie steigen selbst bis auf die Gipfel der höchsten Bäume empor, bald bindfadendünn, bald von der Dicke eines Arms, und vergebens sucht man nach den Enden dieser rankenden Stämme: sie steigen von Baum zu Baum, hängen ohne Stütze bis zum Boden herab, um hier abermals Wurzeln zu schlagen und ihren aufsteigenden Gang zu wiederholen. Auch unter sich verflechten sie sich gleich Ankertauen und oft so unregelmäßig und fest, daß man sie nicht verfolgen kann. Der Cipo-Matador oder Mordschlinger der Brasilier hat seinen Namen daher, daß er die umschlungenen Baumstämme erdrückt; diese vermodern dann, werden aber durch das Netzgeflecht der Schlingen noch lange aufrecht erhalten, bis sie endlich zerfallen, so daß an deren Stelle die L. in Gestalt gewundener Säulen zurückbleiben. Zu den L. der Tropen gehören besonders die Gattungen Bignonia, Paullinia, Banisteria, Bauhinia, Malpighia, Serjania etc., denen als schwächere, kraut- und strauchartige Formen sich anschließen: Passiflora, Aristolochia, Cissus etc. Auch Palmenarten aus der Gruppe der Calameae, die Rohrpalmen oder Palmlianen, besitzen einen dünnen, windenden Stamm. Da die L. wegen der Art ihres Wachstums besonders zugfest gebaut sein müssen, so zeigt auch ihr Stamm einen entsprechenden Bau, indem der Holzkörper durch weicheres Gewebe in verschiedene getrennte Partien zerklüftet wird und damit die Zusammensetzung eines Seils nachahmt. Auch zeichnen sich die Wasserleitungsorgane (Gefäße etc.) der Lianenstämme durch große Weite aus. In den Tropen dienen die L. zu Stricken, Ankertauen, Faßreifen, auch zu mancherlei Flechtwerk etc.; in Brasilien werden sie, wie Bindfaden aufgerollt, überall auf Märkten und in Kaufläden feilgeboten. Manche enthalten reichlich einen trinkbaren Saft. In der gemäßigten Zone sind die L. durch schwächere Schlingpflanzen vertreten, wie Hopfen (Humulus Lupulus), Waldrebe (Clematis Vitalba), Geißblatt (Lonicera Caprifolium und Periclymenum), Epheu (Hedera helix), Zaunwinde (Convolvulus sepium) u. a.