Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Leukämīe“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 10 (1888), Seite 744
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Leukämīe. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 10, Seite 744. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Leuk%C3%A4m%C4%ABe (Version vom 19.04.2023)

[744] Leukämīe (griech., Leuchämie, Leukocythämie, Weißblütigkeit), eigentümliche Krankheitsform, welche erst 1845 von Virchow entdeckt worden ist und in der Hauptsache darin besteht, daß die Zahl der farblosen Blutkörperchen beträchtlich vermehrt ist. Die absolute Anzahl der roten Blutkörperchen ist dabei stets vermindert und zwar ungefähr entsprechend der Zunahme der weißen Blutkörperchen. Enthält das normale Blut auf 350 rote 1 farbloses, so verändert sich dies Verhältnis in 50 : 1 bis 10 : 1, ja 3 : 1 bei der L. Die L. kann sowohl von einem Leiden der Milz, als von einem solchen der Lymphdrüsen, als auch des Knochenmarks herrühren, und man unterscheidet deshalb die lienale, die lymphatische und die myelogene L. Die Veränderungen, welche bei der lienalen Form die Milz, bei der lymphatischen die Lymphdrüsen, bei der myelogenen das Knochenmark erleiden, bestehen vorzugsweise in einer Vergrößerung der genannten Organe und in einer Vermehrung ihrer (normalen) zelligen Elemente, welche in die Blutmasse übergeführt werden und hier als weiße Blutkörperchen erscheinen. Normalerweise bilden sich letztere zu roten Blutkörperchen um; bei der L. tritt aber eine solche Umwandlung nur in sehr beschränktem Grad ein. Die Ursachen der L. sind unbekannt. Die L. ist im ganzen eine seltene Krankheit; sie betrifft das männliche Geschlecht häufiger als das weibliche und kommt meist nur im mittlern Lebensalter vor. Die ersten Zeichen der L. sind gewöhnlich Anschwellung des Leibes und ein Gefühl von Druck und Vollsein in der Gegend der linken untern Rippen, welche Symptome von der Vergrößerung der Milz abhängen. Die Milzschwellung entwickelt sich entweder schmerzlos und unbemerkt oder in einzelnen Absätzen, während welcher die Milzgegend schmerzhaft ist und die Kranken Fiebererscheinungen darbieten. In ähnlicher Weise pflegen bei der lymphatischen Form die Anschwellungen der Lymphdrüsen am Hals, in der Achselhöhle, in der Schenkelbeuge, welche sich allmählich oder stoßweise entwickeln, bei der myelogenen Form Erscheinungen schmerzhafter Knochenmarkentzündung zuerst auf das Übel aufmerksam zu machen. Je ärmer das Blut an roten, je reicher es an weißen Körperchen wird, um so mehr bekommt auch der Kranke ein bleiches und kachektisches Ansehen. Dazu gesellt sich fast stets Schweratmigkeit und beschleunigtes Atmen. Diese Erscheinungen rühren wahrscheinlich ebenfalls von der Verminderung der roten Blutkörperchen her, welche den Gasaustausch in den Lungen vermitteln. Manchmal bekommen die Kranken wiederholte Blutungen aus der Nase, dem Darmkanal oder in die Gewebe des Körpers. Dann sterben sie ziemlich schnell unter den Zeichen der Erschöpfung. Treten aber dergleichen Blutungen nicht ein, so nimmt die Krankheit einen sehr langwierigen Verlauf und zieht sich selbst jahrelang hin. Häufig treten dann Luftröhrenkatarrhe mit Husten und schleimigem Auswurf hinzu, desgleichen Darmkatarrhe mit hartnäckigen Erscheinungen. Gegen Ende des Lebens stellt sich häufig auch Wassersucht ein. Der Tod erfolgt durch allmähliche Erschöpfung. Das Blut von solchen, welche an L. starben, sieht in hochgradigen Fällen weißlich oder hell graurot, zuweilen völlig eiterähnlich aus. Die Milz ist 6–10mal und noch größer als im normalen Zustand, wiegt 3–4 kg und darüber. Die Lymphdrüsen bilden bei der lymphatischen L. oft kolossale Geschwülste. Von den im Innern des Körpers gelegenen Drüsen findet man besonders die Gekrös- und Lendendrüsen, von den äußerlich gelegenen die Nacken-, Achsel- und Leistendrüsen geschwollen. Bei der myelogenen L. findet man das Mark der affizierten Knochen von himbeerroter, seltener grünlichgelber Farbe und von der Konsistenz eines zähen, schleimigen Eiters. Die L. gilt für unheilbar. Man wendet Eisen und Chinin an, hat aber wesentliche Erfolge auf die Dauer nicht davon gesehen. Die mehrmals versuchte Entfernung der Milz hat stets den sofortigen Tod zur Folge gehabt. Man versucht neuerdings durch Einspritzung reizender Substanzen die Milz zur Schrumpfung zu bringen. Vgl. Virchow, Gesammelte Abhandlungen (2. Aufl., Berl. 1862); Mosler, Die Pathologie und Therapie der L. (das. 1872).