Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Leibniz“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 10 (1888), Seite 646649
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Leibniz. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 10, Seite 646–649. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Leibniz (Version vom 19.03.2023)

[646] Leibniz, Gottfried Wilhelm, (seit 1709) Freiherr von, einer der vielseitigsten Gelehrten und scharfsinnigsten Denker aller Zeiten, geb. 6. Juli 1646 zu Leipzig, wo sein Vater Professor der Rechte war, bezog in seinem 15. Jahr die Universität seiner Vaterstadt, um Jurisprudenz zu studieren, widmete sich aber daneben mit Vorliebe philosophischen Studien und veröffentlichte schon 1663 eine Abhandlung: „De principio individui“ (wieder hrsg. von Guhrauer, Bresl. 1837), in welcher er die Prinzipien des Nominalismus verfocht, schloß sich hierauf in Jena dem Mathematiker E. Weigel an, verfaßte die Abhandlungen: [647] „Specimen difficultatis in jure“ (1664), „De conditionibus“ (1665) und „De arte combinatoria“ (1666), wurde aber mit seiner Bewerbung um die juristische Doktorwürde von der Universität seiner Vaterstadt seiner Jugend wegen zurückgewiesen, weshalb er Leipzig für immer verließ. Nachdem er noch in demselben Jahr mit der Abhandlung „De casibus perplexis in jure“ zu Altdorf promoviert hatte, schloß er sich 1667 dem kurmainzischen Minister Baron J. Chr. v. Boyneburg an, für welchen er mehrere publizistische Schriften ausarbeitete, unter andern 1669 bei Boyneburgs Gesandtschaft nach Polen das „Specimen demonstrationum politicarum pro rege Polonorum eligendo“, dann das „Bedenken, welchergestalt securitas publica interna et externa und status praesens im Reich auf festen Fuß zu stellen“ und das „Consilium aegyptiacum“, welches Ludwigs XIV. Ehrgeiz zu einem (nachher von Napoleon I. unternommenen) Zug nach Ägypten anstacheln sollte, um ihn von Deutschland abzulenken. In Paris, wohin er 1672 gesandt wurde, und bei einem Ausflug nach London kam L. in persönlichen Verkehr mit den berühmtesten Mathematikern und Naturforschern jener Zeit, namentlich mit Huygens, Rob. Boyle und Newton, und die Anregung zur Wiederaufnahme seiner mathematischen Studien, die er dadurch erhielt, führte zur Erfindung der Differentialrechnung. Dieselbe brachte ihm solchen Ruhm, daß die Pariser Akademie ihn als ihren Pensionär aufnehmen wollte, wenn er zur katholischen Kirche überträte, wozu er sich aber nicht zu entschließen vermochte. 1676 trat er als Bibliothekar und Historiograph in hannöversche Dienste, verfaßte im Auftrag und Interesse des braunschweigischen Hauses die Schrift „Caesarini Fuerstenerii de jure suprematus ac legationis principum Germaniae“ (1677), sammelte Material zur Geschichte des Hauses, zu welchem Zweck er 1687 Wien und Italien besuchte, und arbeitete die Werke: „Codex juris gentium diplomaticus“ (Hannov. 1693–1700, 2 Bde.), „Accessiones historicae“ (Leipz. u. Hannov. 1698–1700, 2 Bde.), „Scriptores rerum Brunsvicensium illustrationi inservientes“ (das. 1707–11, 3 Bde.), „Disquisitio de origine Francorum“ (Hannov. 1715) und die „Annales imperii occidentis Brunsvicenses“ (das. 1843–45, 2 Bde.) aus, welch letztere damals ungedruckt blieben und erst lange nach seinem Tod von Pertz aus L.’ Handschriften herausgegeben wurden. Zu gleicher Zeit benutzte L. seine durch die Jesuiten bis nach China reichenden Verbindungen zu etymologischen Forschungen, denen wir die „Collectanea etymologica“ (Hannov. 1717) verdanken. Bis 1694 korrespondierte er unter Vermittelung des katholisch gewordenen Landgrafen Ernst von Hessen-Rheinfels fruchtlos mit Pélisson und Bossuet über eine Vereinigung der protestantischen und katholischen Kirche und verfaßte zu diesem Zweck das konziliatorische „Systema theologicum“ (Par. 1819; deutsch von Räß und Weis, Mainz 1820), welches ihn in den Verdacht des Kryptokatholizismus brachte (vgl. Schulz, Über die Entdeckung, daß L. ein Katholik gewesen, Götting. 1827). Wie er selbst in seiner Person eine „Akademie“ darstellte, so ging sein Hauptstreben dahin, seine Verbindungen mit den Höfen zu Berlin, Wien und Petersburg zur Gründung von Akademien der Wissenschaften nach dem Muster der Pariser und Londoner an diesen Orten zu benutzen. Durch seinen Einfluß auf die geistreiche Königin Sophie Charlotte, die Großmutter Friedrichs d. Gr., setzte er 1700 die Stiftung der Akademie der Wissenschaften zu Berlin durch und wurde deren erster Präsident. In Wien unterstützte der ihm gewogene Prinz Eugen von Savoyen, dem er seine Hauptschrift: „La Monadologie“ (1714), widmete, L.’ Plan, der jedoch an dem Widerstand der Jesuiten scheiterte und erst 1846 zur Ausführung kam. In Petersburg gründete Peter d. Gr., der L. 1711 im Lager zu Torgau kennen lernte, die noch heute bestehende Akademie nach L.’ Entwurf. Außerdem wurde L. vom Kaiser Karl VI. zum Freiherrn und Reichshofrat ernannt, von andern Fürsten durch Titel und Jahrgehalte ausgezeichnet. Die Streitigkeiten mit Newtons Anhängern über die Priorität der Erfindung der Differentialrechnung, über welche die königliche Societät zu London ein keineswegs unparteiisches Urteil abgab, trübten seine letzten Lebensjahre. Er starb 14. Nov. 1716 in Hannover und soll in der Neustädter Hofkirche daselbst beigesetzt worden sein, wo ihm ein einfaches Monument mit der Aufschrift „Ossa Leibnitii“ errichtet wurde. Ein größeres Denkmal am Waterlooplatz in Hannover trägt die von Heyne angegebene Inschrift „Genio Leibnitii“. 1883 ward ihm ein Standbild, von Hähnel modelliert, in Leipzig errichtet. Zu einem vierten ist sein Wohnhaus in Hannover geworden, das König Ernst August 1844 an sich kaufte, um es vor dem Niederreißen zu bewahren. 1846 wurde das 200jährige Fest seiner Geburt gefeiert und in demselben Jahr die königlich sächsische Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig und die kaiserliche Akademie der Wissenschaften zu Wien eröffnet.

L.’ schriftstellerische Thätigkeit äußerte sich meist gelegentlich in Briefen und kurzen Aufsätzen, die sich in den Zeitschriften: „Acta Eruditorum“, „Miscellanea Berolinensia“, „Journal des Savants“ sowie in den Briefsammlungen von Kortholt (Leipz. 1734–1742, 4 Bde.), Gruber (Hannov. u. Götting. 1745, 2 Bde.), Michaelis (Götting. 1755), Beesenmeyer (Nürnb. 1788), Feder (Hannov. 1815) und Cousin (im „Journal des Savants“ 1844), in „L.’ und Huygens’ Briefwechsel mit Papin“ (hrsg. von Gerland, Berl. 1881), dem „Briefwechsel mit dem Minister v. Bernstorff“ (hrsg. von Döbner, Hannov. 1882) und in weitern Veröffentlichungen von Distel, Gerland u. a. finden. Zu seinen philosophischen Hauptwerken gehören die „Monadologie“, der im Auftrag der philosophischen Königin Sophie Charlotte von Preußen geschriebene „Essai de Théodicée sur la bonté de Dieu, la liberté de l’homme et l’origine du mal“ (zuerst Amsterd. 1710, 2 Bde.; hrsg. von Jaucourt, das. 1747, 2 Bde.; von Erdmann, Berl. 1840, 2 Bde.; lat., Tübing. 1771; deutsch, Mainz 1820, und von Habs, Leipz. 1884) und „Nouveaux essais sur l’entendement humain“ (deutsch von Schaarschmidt, das. 1874), eine in Form eines Dialogs durchgeführte Prüfung und versuchte Berichtigung des Lockeschen Werkes über das Erkenntnisvermögen, welche erst nach L.’ Tod bekannt wurde und den wichtigsten Teil der von Raspe herausgegebenen „Œuvres philosophiques de feu M. de L.“ (Amsterd. u. Leipz. 1765) ausmacht. Die erste (unvollständige) Ausgabe der Leibnizschen Werke besorgte Dutens (Genf 1768, 6 Bde.); neuere Gesamtausgaben auf Grundlage der Handschriften der Hannoverschen Bibliothek wurden begonnen von Pertz (erste Folge: „Historische Schriften“, Hannov. 1843–47, 4 Bde.; zweite Folge: „Briefwechsel mit Arnauld und dem Landgrafen Ernst von Hessen-Rheinfels“, das. 1846; dritte Folge: „Mathematische Schriften“, hrsg. von Gerhardt, Berl. u. Halle 1849–62, 7 Bde.; dazu 6 Bände „Philosophische Schriften“, hrsg. von Gerhardt, Berl. 1875–86), und seit 1862 von O. Klopp (Hannov., bis 1884: 11 Bde.), [648] beide unvollendet. Die philosophischen Schriften gaben außerdem Erdmann (Berl. 1839, 2 Bde.) und Janet (St.-Cloud 1866, 2 Bde.) heraus. L.’ „Deutsche Schriften“ gab Guhrauer (Berl. 1838–40, 2 Bde.), „Lettres et opuscules inédits de L.“, darunter eine „Réfutation inédite de Spinoza par L.“ (Par. 1854), Foucher de Careil heraus, der ebenfalls eine auf 20 Bände berechnete Gesamtausgabe begonnen hat, von welcher aber nur 7 Bände (1859–75) erschienen sind.

Die Leibnizsche Philosophie ist von ihrem Urheber keineswegs systematisch entwickelt, sondern in einer Anzahl meist kurzer Abhandlungen mehr angedeutet, als ausgeführt worden. Dieselbe knüpft an den Cartesianischen Dualismus, den qualitativen Gegensatz zwischen Geist und Materie (Seele und Leib) an, durch welchen jede direkte Einwirkung des einen Teils auf den andern und umgekehrt unmöglich gemacht wird. Derselbe besteht so lange, als das Wesen des Geistes (richtig) in das Denken, das des Körpers (fälschlich, mit Descartes) in die Ausdehnung gesetzt wird. Wird dagegen erkannt, daß das Wesen des Körpers (als einer zusammengesetzten Substanz) in dessen letzten Bestandteilen (den einfachen Substanzen, aus welchen er zusammengesetzt ist), das Wesen des Geistes darin besteht, daß er eine einfache Substanz, und zugleich, daß jede einfache Substanz thätige (lebendige) Kraft ist, so verschwindet obiger Gegensatz. Der Körper (Materie) ist seinem Wesen nach (in seinen letzten Bestandteilen) vom Geist nicht mehr verschieden, der Einwirkung des einen auf den andern (der Seele auf den Leib und umgekehrt) steht von seiten der Qualität kein Hindernis mehr entgegen. Der „Körper“ (Materie) als „Ausdehnung“ ist als solcher nicht wirklich, sondern bloßes „Phänomen“, und das einzige, was wahrhaft existiert, sind die einfachen Substanzen (Einheiten, „Monaden“, die „wahren Atome der Natur“). Dieselben sind (als „einfache“) sämtlich einerlei Art und, da der uns bekannte Geist (unsre eigne Seele) selbst eine einfache Substanz ist, sämtlich diesem ähnlich, sämtlich „geistiger“ Natur und werden von L. ausdrücklich als „Seelen“ (âmes) bezeichnet. Sowohl der quantitative Monismus Spinozas (der nur eine einzige Substanz) als der qualitative Dualismus des Cartesius (der zweierlei Arten von Substanzen, geistige und materielle, kennt) ist dadurch gründlich beseitigt; jenem setzt L. den Pluralismus (der unzählige), diesem den Spiritualismus (der nur geistige Substanzen kennt) entgegen. Jede einfache Substanz (Monade) ist als solche ein Unteilbares (Individuum); das Allgemeine (Geist wie Materie) hat als solches keine, und nur die Individuen besitzen wirkliche Existenz. L. schließt sich bezüglich der logisch-scholastischen Streitfrage, ob das universale als res (Realismus) oder als nomen (Nominalismus) zu betrachten sei, der nominalistischen (genauer: konzeptualistischen) Auffassung an. Eine Bestätigung dafür, daß die Materie als solche keine Existenz besitze, fand L. in der mittels des Mikroskops (durch Leeuwenhoek und Swammerdam) gemachten Entdeckung der Infusorien im Wassertropfen, welche beweise, daß auch in dem anscheinend Leblosen noch zahllose lebendige Wesen enthalten seien. Dieselbe gehört als „phaenomenon bene fundatum“ lediglich der Erscheinungs-, keineswegs aber der Welt des an sich Seienden (der Monadenwelt) an, welche als die Gesamtheit immaterieller (einfacher) Substanzen selbst immateriell (eine Geisterwelt) ist. Die Monaden, obgleich sämtlich gleichartig, sind einander doch keineswegs gleich; vielmehr ist (nach dem von L. aufgestellten Prinzip de identitate indiscernibilium, von der Einerleiheit des Nichtzuunterscheidenden) jede von jeder unterschieden. Da dieselben aber als immaterielle Wesen keine äußerlich wahrnehmbaren Verschiedenheiten besitzen können, ihre Natur jedoch nur darin besteht, daß sie wirksame Kräfte sind, so kann ihre Verschiedenheit nur eine innere und zwar nur in dem verschiedenen Grad ihrer Wirksamkeit gelegen sein. Sämtliche Monaden stellen eine Reihe stufenweise (höher und niedriger) entwickelter Kraftwesen dar, deren unterste den niedrigsten, deren höchste den höchsten Erscheinungen der wirklichen (Körper- und Geistes-) Welt zu Grunde liegen. Auch der menschliche Leib ist als solcher ein Aggregat von Monaden, welche zu einer solchen (der Seele) in dem Verhältnis niedriger zur höhern stehen. Die Einwirkung der Seele auf den Leib und umgekehrt stellt sich als eine Einwirkung von Monaden auf Monaden heraus, und ihre Möglichkeit oder Unmöglichkeit hängt von dem Umstand ab, ob eine Einwirkung von seiten eines dieser „Kraftwesen“ auf das andre möglich ist. Hier aber zeigt es sich, daß die von Cartesius aus einem andern Grund behauptete und von L. aus diesem Grund glücklich beseitigte Schwierigkeit der Wechselwirkung zwischen Seele und Leib aus einem weitern Grund wiederkehrt, der sich nicht beseitigen läßt. Die „Kraftwesen“ (Monaden) haben „keine Fenster“, durch welche eine Kraftwirkung aus dem einen aus- und in das andre einzutreten vermöchte. Die Wirksamkeit jeder Monas als einer „wirksamen Kraft“ kann keine auf andre „übergehende“ (transeunte), sondern nur eine auf das Innere der Monas selbst beschränkte (immanente), und sämtliche von ihr hervorgebrachte Veränderungen können sonach nicht (ihr) äußerliche, sondern müssen durchaus innerliche (des Kraftwesens selbst) sein. Da nun dasjenige, was innerhalb eines immateriellen Wesens geschieht, selbst nicht anders als immateriell sein kann, so folgt, daß nicht nur alles, was wahrhaft existiert, sondern auch alles, was wahrhaft geschieht, immaterieller (geistiger) Natur sein muß. Geistige Wesen und deren (gleichfalls) geistige Zustände machen allein die wahrhafte Welt aus, welche die (nicht hinwegzuschaffende) Grundlage der (sinnlich) erscheinenden Welt bildet. Die in dem Innern jeder Monade nacheinander ablaufenden Zustände bilden eine Reihe, in welcher jedes folgende Glied (nach dem von L. zuerst aufgestellten Prinzip des „zureichenden Grundes“) seinen Grund in dem vorhergegangenen hat und zugleich selbst den Grund für die nachfolgenden enthält, so daß „die Gegenwart schwanger mit der Zukunft“ ist. Allein da keine Monade eine Anregung von außen (durch andre Monaden) empfangen kann, so gleicht jede einzelne Monade einem „geistigen Automaten“, der seine Bewegungen unabhängig von allem, was außer ihm ist und sich selbst bewegt, vollzieht. Eine Verschiedenheit unter den Monaden wird dabei durch den Umstand begründet, ob die wirksame Kraft sich ihrer Wirksamkeit gar nicht oder nur teilweise oder im vollen Umfang bewußt ist, d. h. ob ihre Wirkungen (die Perzeptionen, Vorstellungen) sämtlich dunkle oder wenigstens teilweise klare oder durchaus klare Bewußtseinsakte sind. Jene nehmen als „schlummernde“ (Stein-, Pflanzen-, Tier-) Seelen die tiefste, letztere, die „göttliche“ Seele, die höchste, die menschliche Seele aber nimmt als teilweise klares, teilweise dunkles Bewußtsein eine mittlere Stellung auf der Stufenleiter der geistigen Wesen ein. Die Möglichkeit einer Übereinstimmung zwischen den Zuständen zweier oder mehrerer Monaden (z. B. der Seele und [649] jenen des Leibes) hängt davon ab, ob auch die Bewegungen zweier oder mehrerer „Automaten“ in Harmonie gebracht werden können. Letzteres könnte entweder (wie bei dem Okkasionalismus des Geulings) dadurch bewirkt werden, daß Gott (wie der „ungeschickte“ Uhrmacher die Zeiger seiner Uhren) die Zustände des einen gelegentlich nach jenen des andern regulierte, wodurch er zum „deus ex machina“ herabgewürdigt würde, oder dadurch, daß Gott (wie der „geschickte“ Uhrmacher seine Uhrwerke) die Natur jeder einzelnen Monas von Ewigkeit an so in Übereinstimmung mit der Natur aller übrigen gedacht und angelegt hätte, daß ihre innern Zustände mit jenen aller übrigen für alle Ewigkeit hinaus immer im Einklang bleiben müßten, was seiner als des zugleich intelligentesten und mächtigsten Wesens vollkommen würdig wäre. Es ist anzunehmen, daß Gott, wenn er überhaupt existiert, diese Harmonie aller Monaden und ihrer innern Zustände untereinander nicht nur von Anfang an erkannt, sondern gewollt und hergestellt, d. h. daß er eine prästabilierte Harmonie zwischen denselben geschaffen habe. Daß Gott aber existiert, folgt nach L. direkt aus seinem Begriff als dem eines Wesens, das alle Eigenschaften (also auch die Realität) im höchsten Grad in sich vereinigt, in welchem sie nebeneinander möglich sind. Letzterer Zusatz ist notwendig, weil es Eigenschaften gibt (z. B. Heiligkeit und Allmacht), welche beide zugleich im höchsten Grad nicht möglich sind. So ist es mit Gottes Heiligkeit unverträglich, das Böse zu thun, während dies aus seiner Allmacht, für sich betrachtet, als möglich folgen müßte. Aus dieser Selbsteinschränkung der göttlichen Eigenschaften folgt, daß Gott zwar alle möglichen Welten denken, aber nur die beste unter denselben wollen und demgemäß schaffen kann. Die Existenz der bestehenden Welt als der besten (Optimismus) folgt daher unmittelbar aus Gottes eigner Existenz; er ist die Urmonas, zu welcher sich alle übrigen Monaden als „Effulgurationen“ verhalten. Durch die Behauptung, daß jede andre mögliche Welt notwendig unvollkommener wäre als die wirklich vorhandene, wird das Vorhandensein mannigfacher Übel und Unvollkommenheiten (z. B. der Sünde und des Bösen) in dieser keineswegs, sondern nur die (irrige) Annahme geleugnet, daß eine Welt ohne dieselben überhaupt möglich wäre. Die Realisierung der besten Welt erfolgt dem göttlichen Weltplan gemäß (teleologisch) nach Zweck-, aber zugleich (mechanisch) durch wirkende Ursachen; jene, das Reich der Gnade, nach welchem der Weltlauf willkürlich (von Gottes „Gnade“ abhängig), diese, das Reich der Natur, nach welchem derselbe notwendig (von seinem Willen unabhängig) erscheint, sind beide wesentlich eins. Zwischen Freiheit und Notwendigkeit (Moral- und Naturgesetz) herrscht dieselbe prästabilierte Harmonie wie zwischen den einzelnen Monaden, kraft welcher jede von diesen ein „Spiegel des Universums“ ist. Die Natur führt zur Gnade, und diese vervollkommt die Natur, indem sie sich ihrer bedient; Gott als „Monarch“ und Gott als „Architekt“ der Welt stehen miteinander von Ewigkeit her in vollkommenster Übereinstimmung. Harmonismus und Universalismus machen den Grundzug der Philosophie wie der ganzen Persönlichkeit von L. aus. Auch die Entwürfe eines logischen Universalkalküls zur Begründung einer Universalwissenschaft, einer Universalsprache und Universalschrift, die ihn sein ganzes Leben hindurch beschäftigten, gehören dazu. Die eigentliche Tiefe seiner Gedanken ist von seinem unmittelbaren Nachfolger, dem nüchternen Systematiker Wolf, verkannt und erst von Spätern, wie Lessing, Schelling, Hegel, Herbart, Lotze u. a., richtig gewürdigt worden.

[Litteratur.] Biographisches über L. haben geschrieben: Fontenelle (1716), Bailly (1769), v. Eccard (hrsg. von Murr, 1779), Jaucourt (1757), Kästner (1769), am gründlichsten Guhrauer („G. W. Freiherr v. L., eine Biographie“, Bresl. 1842, 2 Bde.; mit Nachträgen 1846), E. Pfleiderer („L. als Patriot, Staatsmann und Bildungsträger“, Leipz. 1870), Kirchner („G. W. L., sein Leben und Denken“, Köthen 1877) und Merz (a. d. Engl., Heidelb. 1885). Über seine Philosophie vgl. Ludw. Feuerbach, Darstellung, Entwickelung und Kritik der Leibnizschen Philosophie (Ansb. 1837); folgende Schriften von R. Zimmermann: „L.’ Monadologie“ (Wien 1847), „L. und Herbart“ (gekrönte Preisschrift, das. 1849), „Das Rechtsprinzip bei L.“ (das. 1852), „Über L.’ Konzeptualismus“ (das. 1854), „L. und Lessing“ (das. 1855); K. Fischer, L. und seine Schule (2. Aufl., Heidelb. 1867); Pichler, Die Theologie des L. (Münch. 1869, 2 Bde.).