Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Lawīnen“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 10 (1888), Seite 582
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Lawīnen. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 10, Seite 582. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Law%C4%ABnen (Version vom 01.04.2023)

[582] Lawīnen (auch Lauinen, Lauwinen, in Tirol Lähne), Schneemassen, welche sich von ihrem Lager an den Bergabhängen hoher und steiler Gebirge thalwärts bewegen. Diese Erscheinung findet zumeist im Frühjahr, in gefährlichster Weise im März und April, statt, wenn die Schneelagen durch das sie durchdringende Tauwasser vom Boden losgelöst werden und dieser zugleich schlüpfrig gemacht wird. Diese zusammenhängenden Schneemassen kommen nun zunächst in eine rutschende Bewegung, welche dann von geringer Geschwindigkeit bleibt, wenn die Abhänge wenig steil sind; derartige L. nennt man Rutsch- oder Schleichlawinen, auch Schlüpfe. Sind jedoch die Abhänge steil, dann gleitet oder rollt die Schneemasse mit stets wachsender Schnelligkeit niederwärts, wobei sie sich durch die in ihrer Bahn liegenden Schneemassen fortwährend und oft sehr rasch vergrößert. Die Schnelligkeit dieser kolossalen Schneemassen wird so groß, daß schon der ihnen voranstürmende Luftdruck Menschen und Tiere, Bäume und Häuser niederwirft oder fortschleudert. Erreicht die Lawine einen jähen Abhang, dann stürzt sie unter furchtbarem Donner hinunter. Diese Grund- oder Schlaglawinen zerschmettern und begraben alles, was sie in der Tiefe des Thals antreffen. Minder gefährlich sind die Staublawinen, welche im Winter fallen, aus trocknem, lose herabrollendem Schnee bestehen und nur durch ihre ungeheure Masse verheerend wirken können. In den höhern Gebirgsregionen entstehen im Sommer Eis- oder Gletscherlawinen dadurch, daß sich bei länger andauernder Wärme Teile eines Gletschers ablösen und in Bewegung setzen. Solche Einstürze von Gletschern haben bisweilen entsetzliche Zerstörungen angerichtet, z. B. jener des Gétrozgletschers im Bagnethal (in der Montblancgruppe) 1818 und jener des Weißhorngletschers im Nikolaithal (Kanton Wallis) 1819. Zum Schutz vor L. errichtet man hinter den Häusern Lawinenbrecher, keilförmige, mit der Schärfe nach der Berghöhe zugekehrte Steinbaue, welche die heranbrausende Lawine in zwei vom Hause selbst abgelenkte Teile trennen sollen. Ähnlichen Schutz kann unter Umständen ein Wald gewähren, der dann, wie bei Andermatt im Urserenthal, als Bannwald nicht gefällt werden darf. In neuerer Zeit verbaut man die Stellen, wo mehr oder minder regelmäßig L. losbrechen, die Lawinenzüge, mit Pfahlwerken, Flechtzäunen, Schneebrücken und Mauerwerk und sucht durch Aufforstung kahler Hänge das Losbrechen der L. an ihrer Ursprungsstelle zu verhindern. Vgl. Coaz, Die Lauinen der Schweizeralpen (Bern 1881); Landolt, Die Bäche, Schneelawinen etc. und die Mittel zur Verminderung der Schädigung durch dieselben (Zürich 1887).