MKL1888:Landwirtschaftliche Genossenschaften

Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Landwirtschaftliche Genossenschaften“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 10 (1888), Seite 483484
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Landwirtschaftliche Genossenschaften. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 10, Seite 483–484. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Landwirtschaftliche_Genossenschaften (Version vom 01.03.2024)

[483] Landwirtschaftliche Genossenschaften, besondere wirtschaftliche Genossenschaften für landwirtschaftliche Zwecke. Kleine und mittlere Landwirte können durch die Beteiligung an ihnen den Reinertrag ihrer Wirtschaft erhöhen, mittlere Landwirte können sich zugleich, sofern ihre Konkurrenzfähigkeit durch den intensiven Großbetrieb gefährdet wird, vor dem Ruin schützen. Der landwirtschaftliche Betrieb mit der Mannigfaltigkeit seiner Produkte und der Verschiedenheit des Produktionsprozesses gestattet viele Arten von Genossenschaften, und das ist für die Entwickelung der landwirtschaftlichen Genossenschaften ein großer Vorteil; weil für die verschiedensten Einzelzwecke sich l. G. bilden lassen, ist die einzelne landwirtschaftliche Genossenschaft oft in ihrer Organisation und Geschäftsführung sehr einfach, deshalb auch leicht durchführbar. Die landwirtschaftlichen Genossenschaften scheiden sich am zweckmäßigsten in Genossenschaften für die Zwecke der Produktion, des Absatzes und der Konsumtion.

Zu den landwirtschaftlichen Genossenschaften für die Zwecke der Produktion gehören: 1) Die genossenschaftlichen Kreditvereine (s. Landwirtschaftlicher Kredit). 2) Genossenschaften zur gemeinsamen Benutzung von Produktionsmitteln, welche der einzelne kleine oder mittlere Landwirt für sich allein nicht anschaffen oder benutzen kann, weil die Kleinheit seiner Wirtschaft keine ausreichende Benutzung derselben und folglich keine genügende Rentabilität des betreffenden Anlagekapitals ermöglicht. Das Wesen dieser Genossenschaften besteht darin, daß die Genossenschaft die Produktionsmittel anschafft, resp. herstellt und dieselben an die Genossen vermietet. Die wichtigsten dieser Genossenschaften sind die Maschinengenossenschaften (für Dampfdreschmaschinen, Mähmaschinen, Säemaschinen, Drillmaschinen etc.) und die Zuchtviehgenossenschaften (insbesondere für gute Zuchtstiere und Zuchteber); aber auch zur Errichtung von größern Backöfen, größern guten Scheunen und Ställen sind Genossenschaften möglich. 3) Genossenschaften zum Ankauf von Produktionsmitteln und Verkauf an die Mitglieder zum Einkaufspreis mit kleinem Aufschlag zur Deckung der Verwaltungskosten (sogen. landwirtschaftliche Konsumvereine). Der Vorteil derselben besteht darin, daß die Mitglieder bessere Waren zu geringerm Preis erhalten. Solche Genossenschaften sind insbesondere nützlich für den Ankauf von künstlichen Dungmitteln (Düngerkonsumvereine), von Saatfrüchten, Futtermitteln [484] (Viehsalz, Ölkuchen, Futtermehl, Kleie etc.), allenfalls auch für den Ankauf von Viehstücken, Werkzeugen, Geräten etc. 4) Die Versicherungsgenossenschaften (für Hagelversicherung, Viehversicherung, s. die betreffenden Artikel). 5) Die Meliorationsgenossenschaften (s. Bodenmelioration). 6) Die Produktivgenossenschaften. Gegenstand derselben ist die Herstellung und der Absatz von Produkten auf gemeinsame Rechnung und Gefahr. Als solche Genossenschaften sind zu unterscheiden die partielle und die vollständige Produktivgenossenschaft. Die erstere beschränkt sich auf ein besonderes landwirtschaftliches Produkt, welches der einzelne kleine oder mittlere Landwirt in seiner Wirtschaft entweder gar nicht, oder nicht so billig, oder nicht so gut herstellen kann, als das in einer richtig geleiteten größern Genossenschaft möglich ist. Die wichtigsten sind: Molkereigenossenschaften (für Butter und Käse), Mastviehgenossenschaften, Genossenschaften für den Betrieb landwirtschaftlicher Nebengewerbe (Brennereien, Rübenzuckerfabriken, Öl-, Stärkefabriken etc.); anwendbar ist die partielle Produktivgenossenschaft auch für den Anbau und Verkauf einzelner Handelspflanzen (Hopfen, Tabak, Wein etc.). Die vollständige Produktivgenossenschaft ist der Betrieb einer großen landwirtschaftlichen Unternehmung auf gemeinsame Rechnung und Gefahr einer größern Zahl von Landwirten, die in dieser auch die nötigen Arbeitsleistungen verrichten. Bisher selbständige Landwirte werden sich zu dieser Genossenschaft schwerlich entschließen, da sie dadurch unter Aufgebung ihrer seitherigen Selbständigkeit und ihres Besitzes thatsächlich in die Stellung von Lohnarbeitern, deren Thätigkeit der Direktor der Genossenschaft bestimmt, kommen würden. Sie werden sich dazu um so weniger entschließen, als sie sich die Einkommensvorteile aus derselben ohne jenes Opfer auch durch Gründung der andern landwirtschaftlichen Genossenschaften und Beteiligung an denselben verschaffen können. Erwägt man dazu die großen Schwierigkeiten, welche dem erfolgreichen Betrieb jeder solchen Produktivgenossenschaft entgegenstehen, so ist dieser Art von landwirtschaftlichen Genossenschaften die geringste volkswirtschaftliche Bedeutung beizumessen. – L. G. für die Zwecke des Absatzes verringern die Absatzkosten landwirtschaftlicher Produkte und erhöhen dadurch den Reinertrag kleiner und mittlerer Wirtschaften. Solche Genossenschaften können gebildet werden für den regelmäßigen Transport landwirtschaftlicher Produkte (namentlich Milch und Butter) nach der Stadt, für den Absatz solcher auf dem städtischen Wochenmarkt, aber auch für den Verkauf von Mastvieh. L. G. für die Zwecke der Konsumtion sind Konsumvereine der ländlichen Bevölkerung für die gemeinsame Anschaffung guter Konsumwaren zu niedrigerm Preis (vgl. Genossenschaften).

Für die Gründung landwirtschaftlicher Genossenschaften thätig zu sein, ist eine wichtige Aufgabe der landwirtschaftlichen Vereine. Diese wird am besten und sichersten erfüllt, wenn die Vereine nach dem Vorbild der rheinischen zu diesem Zweck besondere Kommissionen einsetzen, deren Aufgabe es ist, in dem Vereinsbezirk sich die Gründung landwirtschaftlicher Genossenschaften angelegen sein zu lassen. Vgl. v. d. Goltz in Schönbergs „Handbuch der politischen Ökonomie“, Bd. 2; Birnbaum, Das Genossenschaftsprinzip in Anwendung und Anwendbarkeit in der Landwirtschaft (Leipz. 1870); G. Schönberg, Die Landwirtschaft der Gegenwart und das Genossenschaftsprinzip (Berl. 1869).