Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Kreis“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 10 (1888), Seite 184185
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Kreis. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 10, Seite 184–185. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Kreis (Version vom 04.04.2023)

[184] Kreis (lat. Circulus, daher auch veraltet Circul, jetzt meist Zirkel), in der Geometrie eine ebene, geschlossene, krumme Linie, deren Punkte alle gleich weit von einem festen Punkte, dem Mittelpunkt (Zentrum), entfernt sind. Diese Entfernung heißt der Halbmesser (Radius) des Kreises, das Doppelte derselben der Durchmesser (Diameter). Die wichtigsten Eigenschaften des Kreises sind folgende: 1) Eine gerade Linie schneidet den K. in höchstens zwei Punkten und heißt dann eine Sekante, während man das zwischen den beiden Schnittpunkten liegende begrenzte Stück eine Sehne (chorda) nennt. Eine durch den Mittelpunkt gehende Sehne ist ein Durchmesser. 2) Fällt man vom Mittelpunkt des Kreises eine Senkrechte auf die Sehne, so wird dieselbe halbiert. Zwischen dem Radius , der Sehne und ihrem senkrechten Abstand vom Mittelpunkt besteht daher nach dem Pythagoreischen Lehrsatz die Gleichung . 3) Errichtet man im Halbierungspunkt einer Sehne ein Perpendikel, so geht dieses durch den Mittelpunkt des Kreises. 4) Man kann daher den Mittelpunkt eines Kreises finden, sobald drei Punkte desselben bekannt sind; ist der K. selbst oder ein Stück desselben gegeben, so kann man die drei Punkte beliebig wählen. Man verbindet dann geradlinig den ersten und zweiten sowie den ersten und dritten Punkt, halbiert die Verbindungslinien und errichtet in den Halbierungspunkten Senkrechte, deren Schnittpunkt der Mittelpunkt ist. 5) Fallen die beiden Schnittpunkte des Kreises mit einer Geraden in einen einzigen Punkt zusammen, so sagt man, die Gerade berühre oder tangiere den K. in diesem Punkt; sie ist eine Tangente und der Punkt der Berührungspunkt. Die Kreistangente steht senkrecht auf dem Halbmesser, der durch den Berührungspunkt geht. 6) Im Gegensatz zu der umschlossenen Fläche, der Kreisfläche, bezeichnet man die Kreislinie auch mit dem Namen Umfang oder Peripherie; ein beliebiges Stück des Umfanges heißt ein Bogen (arcus). Die beiden Radien, welche nach den Endpunkten des Bogens gehen, bilden den Zentriwinkel, der über diesem Bogen steht.

Fig. 1.

Da der ganze Umfang in 360 gleiche Teile geteilt wird, die man Grade nennt, und jeder solche Grad in 60 Minuten, jede Minute in 60 Sekunden zerfällt, so hat jeder Bogen ebensoviel Grade etc. wie sein Zentriwinkel. Darauf beruht in der Praxis die Messung der Winkel mit Hilfe eines geteilten Kreises. 7) Verbindet man die Endpunkte eines Bogens A und B (Fig. 1) durch gerade Linien mit irgend einem Punkt P auf dem übrigen Teil der Peripherie, so erhält man [185] einen Peripheriewinkel. Derselbe ist halb so groß als der Zentriwinkel AOB, der auf demselben Bogen steht. Mithin sind alle Peripheriewinkel über demselben Bogen einander gleich, und jeder Peripheriewinkel über dem Halbkreis ist ein rechter Winkel. 8) Ein Vieleck heißt einem K. eingeschrieben, wenn seine Ecken auf dem Kreisumfang liegen, dagegen dem K. umschrieben, wenn die Seiten den K. berühren. Ein reguläres Vieleck läßt sich stets sowohl als ein eingeschriebenes wie auch als ein umschriebenes betrachten. Beschreibt man in und um einen K. zwei reguläre Vielecke von gleicher Seitenzahl, so ist die Fläche des eingeschriebenen kleiner, die des umschriebenen größer als die Kreisfläche; da aber der Unterschied beider Flächen um so kleiner wird und sich mehr und mehr der Null nähert, je größer die Anzahl der Seiten ist, so kann man mit Hilfe solcher Vielecke die Kreisfläche beliebig genau berechnen. Wenn den Radius bedeutet, so ist diese Fläche , wobei (pi) den Wert 3,1415927 hat. Archimedes wußte, daß diese Zahl zwischen 31/7 und 310/71 liegt; Ludolf van Ceulen (s. d.) berechnete von 1586 an erst 20, dann aber 35 Dezimalstellen, nämlich 3,14159 26535 89793 23846 26433 83279 50288. Von ihm heißt sie die Ludolfsche Zahl, sonst nennt man sie auch die Kreisumfangszahl. Mit den Hilfsmitteln der höhern Analysis hat man sie neuerdings noch genauer berechnet; Dase (s. d.) fand 200, der Astronom Th. Clausen (s. d.) 250, endlich Professor Richter in Elbing 500 Dezimalen (s. Grunerts „Archiv der Mathematik und Physik“, XXV, S. 472). 9) Da man den K. als ein reguläres Vieleck von unendlich vielen Seiten auffassen kann, und da die Fläche eines regulären Vielecks gleich dem halben Umfang desselben, multizipliert mit dem Radius des eingeschriebenen Kreises, ist, so ist der Kreisumfang . 10) Ist von den drei Größen: Halbmesser , Kreisumfang , Kreisfläche eine die gegebene, so findet man die beiden andern mittels der Formeln

.

11) Die Größe eines Bogens von Grad ist . 12) Der Teil der Kreisfläche, welcher von zwei Halbmessern und einem Bogen begrenzt wird, heißt ein Sektor oder Kreisausschnitt; wenn die Größe des Zentriwinkels in Graden bedeutet, so ist die Fläche des Sektors . 13) Die Fläche zwischen einer Sehne und ihrem Bogen heißt ein Segment oder Kreisabschnitt; sie ist . 14) Eine geometrische Konstruktion

Fig. 2.

zur genauen Darstellung der Länge des Kreisumfanges in Gestalt einer geraden Linie (Rektifikation des Kreises) ist nicht bekannt; für die Praxis ist folgende von dem polnischen Jesuiten Kochanski 1685 angegebene ausreichend, welche 3,1415333 statt gibt: Man setze den Zirkel im Endpunkt A (Fig. 2) des Durchmessers AB ein und schlage einen durch den Mittelpunkt O gehenden Bogen, der den K. in C schneidet; sodann schlage man um C einen durch A gehenden Bogen, der den ersten Bogen in D schneidet, und ziehe die Gerade OD. Man lege nun in A die Tangente (senkrecht zu AB) an den K., welche die Gerade OD in E trifft, trage EF gleich dem dreifachen Halbmesser

Fig. 3.

des Kreises ab und ziehe zuletzt die Gerade FB, welche nahezu gleich dem halben Umfang ist. 15) Um die Länge eines Bogens AD (Fig. 3) geradlinig darzustellen, lege man an A die Tangente AT und ziehe den Durchmesser AB, den man um das Stück BC gleich dem Halbmesser verlängert; zieht man zuletzt noch die Gerade CD, welche die Tangente in E schneidet, so ist AE sehr nahe gleich dem Bogen AD, solange derselbe 45° nicht überschreitet.

Kreis, die geographische Abteilung oder Unterabteilung eines Landes, welche zum Zweck der Verwaltung abgegrenzt ist. So zerfallen insbesondere in der preußischen Monarchie die Provinzen in Regierungsbezirke und diese wiederum in Kreise, entsprechend den französischen Arrondissements und den englischen Shires oder Grafschaften. In Österreich entspricht der „Bezirk“ dem preußischen K., in Rußland der Ujesd, Län in Schweden, Liwa in der Türkei, Komitat in Ungarn etc. In Deutschland ist der Umfang und die Bedeutung der Kreise in den einzelnen Staaten eine sehr verschiedene. In manchen Staaten ist die politische Landeseinteilung der preußischen Kreiseinteilung entsprechend, wenn auch, z. B. in Sachsen-Weimar, statt K. der Ausdruck Bezirk der offizielle ist. In Württemberg dagegen zerfällt das Landesgebiet in vier Kreise, welche unter Kreisregierungen stehen. Diese Kreise zerfallen dann in Oberämter mit Oberamtmännern an der Spitze. Ebenso ist die bayrische Monarchie in Regierungsbezirke oder Kreise eingeteilt, an deren Spitze Kreisregierungen stehen. Der bayrische Regierungsbezirk bildet eine Kreisgemeinde mit einem Organ der Selbstverwaltung, welches die Bezeichnung „Landrat“ führt. Die Regierungsbezirke aber zerfallen in Verwaltungsdistrikte, welche den Bezirksämtern unterstellt sind. Das Königreich Sachsen zerfällt in vier Regierungsbezirke oder Kreishauptmannschaften, welch letztere wiederum in Amtshauptmannschaften eingeteilt sind. Das Großherzogtum Baden ist in Bezirke mit Bezirksämtern eingeteilt. Es besteht aber dort die Einrichtung, daß mehrere Bezirke zu einem Kommunalverband unter dem Namen K. vereinigt sind. Wie in Preußen, ist der K. auch in den meisten Kleinstaaten nicht nur ein politischer Bezirk der innern Landesverwaltung, an dessen Spitze der Landrat (in Hessen Kreisrat, in Waldeck Kreisamtmann, in Braunschweig und Anhalt ebenso wie in Elsaß-Lothringen der Kreisdirektor) steht, sondern zugleich ein Gemeindeverband zum Zweck der kommunalen Selbstverwaltung (s. Kreisverfassung). – Die älteste Kreiseinteilung in Deutschland war diejenige, welche unter Kaiser Maximilian I. behufs Erhaltung des Landfriedens und zu militärischen Zwecken stattfand. Die damaligen zehn Kreise waren: der bayrische, burgundische, fränkische, kurrheinische, ober- oder kursächsische, niedersächsische, oberrheinische, österreichische, schwäbische u. niederrheinisch-westfälische K.