MKL1888:Krīsis
[228] Krīsis (griech., Krise, „Urteil, Entscheidung“), in der ältern Medizin der Ausgang einer Krankheit in Genesung, wenn derselbe rasch und vollständig geschieht, während eine allmähliche Beseitigung einer Krankheit Lysis genannt wurde. Man hielt die K. für eingetreten, wenn nach hohem Fieber und andern bedrohlichen Erscheinungen der Kranke schnell ruhig geworden, zum Bewußtsein gekommen war und das Fieber nachgelassen hatte. Zum Begriff der K. oder der kritischen Entscheidung der Krankheit gehörte aber noch, daß der Ausgang in Genesung von einer gesteigerten Thätigkeit der Absonderungsorgane und einer merklichen Vermehrung der Produkte derselben begleitet sei. Zu diesen kritischen Ausscheidungen rechnete man den nach fieberhaften Krankheiten, auf welche man die kritischen Erscheinungen vorzugsweise beschränkte, ausgeschiedenen dunkeln Urin, welcher beim Erkalten einen starken Niederschlag fallen ließ, einen reichlichen, aber warmen und anhaltenden Schweiß, einen Auswurf von besonderer Beschaffenheit etc. Das Auftreten dieser kritischen Ausleerungen glaubte man wohl auch als die Ursache des Nachlassens einer Krankheit annehmen zu dürfen. Zu der alten Krisenlehre gehört auch noch die Lehre von den kritischen Tagen. Schon Hippokrates nahm an, daß gewisse Krankheiten nur an bestimmten Tagen (am 5., 7., 9., 11. Tag) sich entscheiden; Galen hat diese Ansicht auf die Nachwelt überliefert, und heutzutage noch ist der Glaube daran im Publikum gäng und gäbe. Alle diese Annahmen jedoch haben sich im Lauf der Zeiten als unrichtig erwiesen, und man versteht gegenwärtig unter K. nur das plötzliche, meist unter reichlichem Schweiß erfolgende Aufhören des Fiebers, welches dann alle andern Erscheinungen hinreichend erklärt, und mit welchem auch die größte Gefahr beseitigt zu sein pflegt. Zu den fieberhaften Krankheiten, welche mit einer K. abschließen, gehören die Lungenentzündung, Malariafieber, und vor allem ist der Rückfalltyphus durch öftere kritische Fieberanfälle ausgezeichnet. Vgl. Spieß, Pathologische Physiologie (Frankf. 1857). – Im volkswirtschaftlichen Sinn bezeichnet man mit Krisen starke Störungen im Verlauf von Produktion und Verkehr, insbesondere im Gleichgewicht zwischen Bedarf und Erzeugung (s. Handelskrisis).