MKL1888:Korrespondenzblatt zum vierten Band

Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Korrespondenzblatt zum vierten Band“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 4 (1886), Seite 10231024
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Korrespondenzblatt zum vierten Band. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 4, Seite 1023–1024. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Korrespondenzblatt_zum_vierten_Band (Version vom 17.07.2021)
[1023]
Korrespondenzblatt zum vierten Band.
(Ausgegeben am 6. Mai 1886.)

Romuald S. in Warschau. Die beiden logischen Schulen des Mittelalters unterscheiden sich darin, daß die einen das Allgemeine ebenso wie die Einzeldinge als etwas Wirkliches (res) ansahen, welchem außer (extra) oder vor (ante) diesen letztern Existenz zukomme, die andern nicht. Erstere wurden daher passend Realisten genannt; für die letztern gibt es eigentlich keine sie alle umfassende Bezeichnung, da die allen gemeinsame Überzeugung, daß das Universale nichts Wirkliches sei, nur besagt, was dasselbe ihrer Meinung nach nicht, aber nicht, was es sei. Der erste Bekämpfer des Realismus, Roscellinus, stellte zugleich die positive Behauptung auf, das Allgemeine bestehe nur für die Sprache und sei nichts weiter als die mehreren Einzeldingen von dieser gemeinsam beigelegte Benennung (nomen), wodurch er Veranlassung gab, daß nicht bloß seine direkten Anhänger, sondern überhaupt alle Gegner der Realität der Universalien Nominalisten genannt wurden. Abälard dagegen machte die Bemerkung, daß die Berechtigung, mehreren Einzeldingen (z. B. allen Pferden) einen gemeinsamen Namen zu geben, nur daher stamme, weil in denselben sämtlich etwas Gemeinsames (z. B. die allen Pferden gemeinsamen Merkmale) gefunden werde, welches, im Denken zusammengefaßt, den jene Einzeldinge umfassenden Begriff (conceptus) ausmache, das Universale daher allerdings nichts Wirkliches (res), aber auch kein bloßer „Name“ (nomen) oder „Stimmhauch“ (flatus vocis), sondern der das Wirkliche „begreifende“ Gedanke (conceptus) sei, welche Lehre nachher als Konzeptualismus bezeichnet wurde. Dieselbe hat mit dem Nominalismus gemein, daß das Universale weder extra noch ante rem, nicht aber, daß es um deswillen nur post rem sein könne; vielmehr betont sie, daß dasselbe zugleich in re sein müsse, insofern die gemeinsamen Merkmale, deren Zusammenfassung im Denken den Begriff ergibt, in jedem der (zusammengefaßten) Einzeldinge enthalten sind.

Herrn Dr. M. in Wien. Die Worte „La propriété c’est le vol“ (deutsch: „Eigentum ist Diebstahl“) rühren von dem französischen Sozialisten Proudhon her, welcher mit denselben die in seiner Schrift „Qu’est-ce que la propriété?“ (1840) aufgeworfene Frage: „Was ist das Eigentum?“ beantwortete. Auf die Vaterschaft der genannten Phrase war Proudhon ungemein stolz. Sagte er doch in seinem letzten Werk („Justice dans l’église et dans la révolution“): „Diese Definition des Eigentums gehört mir. … In 1000 Jahren werden nicht zwei solche Worte gesprochen wie diese. … Diese Definition ist mir mehr wert und teurer als die Millionen Rothschilds, und ich wage zu behaupten, daß sie das wichtigste Ereignis ist unter der Regierung Ludwig Philipps.“ Doch schon 60 Jahre früher hatte der 1793 als Mitglied der Gironde in Paris hingerichtete Brissot de Warville in seinem Werk „Recherches politiques sur le droit de propriété et le vol“ (1780) den gleichen Gedanken ausgesprochen, indem er das Eigentum einen Frevel an der Natur nennt. Das Recht des Eigentums aller am Grund und Boden sei das ursprüngliche. Im Naturzustand sei der, welcher mehr habe, als er gebrauche, ein Dieb, während in der zivilisierten Gesellschaft derjenige als Dieb betrachtet werde, welcher den Reichen bestehle. In ähnlicher, wenn auch nicht so schroffer Weise wie Proudhon äußerte sich später Lassalle, indem er in seinem Werk „Herr Bastiat-Schulze“ (Berl. 1864) sagte: „Eigentum ist Fremdtum“. Der Sinn dieser Worte ist folgender: Nur die Arbeit ist Quelle und Maß des Wertes (durch Ricardo vervollständigter Gedanke von A. Smith). Hiernach gehört auch der Arbeit ihr voller Ertrag. Nachdem aber der Arbeiter von seinem Arbeitsinstrument getrennt wurde (Smithsche Idee, erweitert von K. Marx), so erhält derselbe bei unsrer gesellschaftlichen Verfassung auf Grund des ehernen Lohngesetzes (aufgestellt unter andern besonders von Ricardo, in Anlehnung an die Malthusische Bevölkerungstheorie weiter ausgebaut von Lassalle und bis zu seinen letzten Konsequenzen verfolgt von K. Marx durch Betrachtung des Einflusses, welchen die Einführung der Maschinen in der Industrie ausübt) nur so viel, als zu seiner und seiner Familie Erhaltung nötig ist. Den Überfluß, welchen die Produktion über die gezahlten Arbeitslöhne abwirft, streicht der Kapitalist als arbeitsloses Einkommen ein. Dies ist in kurzen Worten der Inhalt der Erörterungen von K. Marx über die Bildung des Mehrwerts. Zur Beschaffung des Unterhalts für den Arbeiter ist nach ihm nur ein Teil der täglichen Arbeitszeit erforderlich (notwendige Arbeitszeit). Nun ist aber der Arbeiter für das Kapital einen ganzen, oft über Gebühr ausgedehnten Arbeitstag thätig (wirkliche Arbeitszeit). Der Unterschied zwischen der Länge der wirklichen und derjenigen der notwendigen Arbeitszeit bildet das Maß dessen, was das Kapital einsaugt oder mit andern Worten der Arbeit vorwegnimmt.

Ingenieur R. in Nürnberg. Zur Wallensteinfrage sind kürzlich wieder zwei tüchtige Beiträge erschienen: Gaedeke, Wallensteins Verhandlungen mit den Schweden und Sachsen 1631–34, und Hildebrand (Reichsarchivar zu Stockholm), Wallenstein und seine Verbindungen mit den Schweden. Aktenstücke aus dem schwedischen Reichsarchiv zu Stockholm (beide Frankf. a. M. 1885). Im Gegensatz zu Hallwich und Schebeck, welche den Sturz des Feldherrn, ohne daß ihn selbst eine wesentliche Schuld traf, auf die Initiative des Wiener Hofs zurückführten und Wallenstein nicht infolge des gar nicht begangenen Verrats, sondern durch eine von Wien aus angestiftete Soldatenmeuterei untergehen ließen, bemühen sich Gaedeke und Hildebrand, den Verrat Wallensteins urkundlich nachzuweisen. In gewissem Sinn ist es ihnen gelungen. Zunächst beweisen die Hildebrandschen Aktenstücke unwiderleglich, daß Wallenstein schon 1631 mit Gustav Adolf in Beziehung getreten ist und mit Schweden über die gemeinschaftliche Eroberung Böhmens unterhandelt hat, daß aber die Verhandlungen hauptsächlich infolge einer Indiskretion Thurns von Wallenstein abgebrochen wurden, der sich dem Kaiser gegenüber nicht vorzeitig kompromittieren wollte. Ferner ergibt sich aus den Akten des schwedischen Reichsarchivs, daß Wallenstein schon im Frühjahr 1633 wieder mit den Schweden über eine Verständigung verhandelte, von diesen die Unterordnung des schwedischen Heers unter sein Kommando forderte und dann den Bruch mit dem Kaiser versprach, der zur Wiederherstellung [1024] der Dinge im Reich und in Böhmen, wie sie vor dem Krieg waren, gezwungen werden sollte; die Aufforderung Oxenstiernas, Wallenstein solle sich der böhmischen Krone bemächtigen, ließ Wallenstein unbeantwortet und brach im September auch diese Verhandlungen ab, um sie später mit Sachsen allein wieder aufzunehmen. An den Kaiser berichtete er über die Besprechungen mit dem sächsischen General Arnim und den schwedischen Agenten, aber nicht wahrheitsgemäß und mit Verschweigung der wesentlichsten Punkte. Unzweifelhaft täuschte also Wallenstein das Vertrauen des Kaisers, der ihm den Oberbefehl über sein Heer übertragen, und gewiß that er es nicht aus Patriotismus, sondern um sich die Belohnung durch ein Kurfürstentum, die der Kaiser ihm kaum noch gewähren konnte, anderweitig zu sichern. Indes ist auf der andern Seite zu bedenken, daß der kaiserliche Hof von den verräterischen Verbindungen Wallensteins keine zuverlässige Kunde hatte, und daß nicht sowohl sein Verrat als sein eigenmächtiges Verhalten als Feldherr den Kaiser veranlaßte, gegen Wallenstein einzuschreiten. Nachdem Wallenstein durch seine bisherigen Kriegserfolge gegen Schweden den Erwartungen nicht entsprochen hatte, welche man bei Wiederübertragung des Oberbefehls an ihn in Wien gehegt, nachdem er alle Versuche des kaiserlichen Hofs, auf die militärischen Operationen bestimmenden Einfluß zu gewinnen, auf Grund des Znaimer Vertrags abgewiesen hatte, schritt der Kaiser dazu, sich entgegen seinem in Znaim klar und unzweideutig gegebenen Versprechen mit den Wallensteinschen Obersten, die dem Feldherrn aus verschiedenen Gründen nicht mehr zuverlässig treu waren, in Verbindung zu setzen und, nachdem er die Mehrzahl für sich gewonnen, Wallenstein zu ächten und dem Tod zu überliefern, worauf gegen seine Familie und sein Andenken noch recht gehässig gehandelt wurde. Das Verfahren des Kaisers wird also durch den Verrat Wallensteins keineswegs gerechtfertigt. Jedenfalls lagen dem geschichtlichen Wallenstein ideale Ziele, wie sie Schiller dem Helden seines Dramas beigelegt hat, durchaus fern, und das Gelingen seiner Pläne würde höchstens die Wiederherstellung der Reformation in Böhmen und Österreich zur Folge gehabt haben, nicht aber den religiösen Frieden im Reich und dessen Befreiung von den Fremden. Wallenstein war ein Feldherr und Staatsmann von glänzenden Gaben, aber kein deutscher Patriot, und sein lebhafter Ehrgeiz nur auf Begründung und Vermehrung seines Besitzes und seiner Macht gerichtet, wobei er List und Gewalt nicht scheute. Wir Deutschen mögen das gewaltthätige Verfahren des Kaisers gegen Wallenstein mißbilligen, haben aber keine Veranlassung, seinen Sturz zu beklagen. Der verdienstvolle Geschichtschreiber des Dreißigjährigen Kriegs, A. Gindely in Prag, wird die bedenklichen Mittel und Wege, wie Wallenstein seinen fürstlichen Grundbesitz erwarb, entgegen einem von dem tschechischen Gymnasialprofessor Bilek verfaßten panegyrischen Werk („Beiträge zur Geschichte Wallensteins“, Prag 1885), wie er in der Münchener „Allgemeinen Zeitung“ vom 23. Sept. 1885 ankündigt, in einem demnächst erscheinenden Buch: „Waldstein während seines ersten Generalats“, aktenmäßig darlegen.

Walter Böhm in Köln. Mit dem Namen „Franckensteinscher Antrag“ bezeichnet man gewöhnlich den von dem ultramontanen bayrischen Reichstagsabgeordneten Freiherrn v. Franckenstein am 20. Juni 1879 in der Zolltarifkommission des Reichstags gestellten Antrag, welcher die Annahme des neuen Zolltarifs durch eine Koalition der konservativen Parteien mit dem Zentrum ermöglichte. Anfangs hatte nämlich der Fürst Bismarck die finanzielle Selbständigkeit des Reichs von den Einzelstaaten als Hauptziel bei der Erhöhung der Tabakssteuer und bei der Einführung des neuen Tarifs hingestellt. Während aber die nationalliberale Partei ihre Zustimmung von konstitutionellen Garantien abhängig machte und selbst dann das Zustandekommen einer Mehrheit zweifelhaft war, ging der Antrag Franckensteins darauf hinaus, den Einzelstaaten „föderative Garantien“ zu bieten und zu diesem Zweck die Matrikularbeiträge der Einzelstaaten beizubehalten. Der Antrag ging ursprünglich dahin: 1) daß derjenige Betrag der Zölle und der Tabakssteuer, welcher die Summe von 120 Mill. Mk. in einem Jahr übersteige, den einzelnen Bundesstaaten nach Maßgabe der Bevölkerung, mit welcher sie zu den Matrikularbeiträgen herangezogen würden, zu überweisen sei; 2) daß die Abgabe von Salz und etliche Zölle nur bis 1. April 1881 bewilligt und von da an jährlich im Reichshaushaltsetat festgestellt werden sollten; 3) daß Garantien für Steuererleichterungen in den Einzelstaaten gegeben werden müßten. Das Kompromiß zwischen Zentrum und Konservativen kam nun dahin zu stande, daß ersteres die Punkte 2 und 3 fallen ließ, während die Summe sub 1 auf 130 Mill. Mk. erhöht ward. In dieser Form gelangte der Antrag zur Annahme, und so ward er durch Zustimmung der verbündeten Regierungen zum Gesetz (§ 8 des Zollgesetzes vom 15. Juli 1879) erhoben. Hiernach verbleibt von dem Ertrag der Zölle und der Tabakssteuer dem Reich nur die Summe von 130 Mill. Mk., die Überschüsse fließen matrikularmäßig in die Kassen der Einzelstaaten zurück, die insofern allerdings nach Bismarcks Ausspruch „Kostgänger des Reichs“ geworden sind. Dafür haben sie aber auf der andern Seite Matrikularbeiträge an das Reich zu zahlen.

Übrigens werden Sie im Artikel „Deutschland“ eine ausführliche Darstellung der Reichsfinanzen finden, auf die wir besonders hinweisen.

W. Walter in Regensburg. Über die Ergebnisse der letzten Volkszählung im Deutschen Reich (1. Dez. 1885) liegen zur Zeit (Mitte März 1886) erst von einigen Staaten „vorläufige“ Berichte vor, die sich überdies nur zum Teil auf die Ortsbevölkerung beziehen und auch hier nur eine Auswahl der ansehnlichern Städte berücksichtigen, keineswegs alle. Vorschriftsmäßig sind die ersten Ergebnisse der Zählung von seiten der statistischen Büreaus der Einzelstaaten Anfang Mai 1886 an die Zentralstelle, das kaiserliche Statistische Amt in Berlin, einzureichen, welches sie dann in einem der „Monatshefte zur Statistik des Deutschen Reichs“ veröffentlichen wird. Sie ersehen daraus zur Genüge, daß es eine Unmöglichkeit war, die neuen Zahlen bereits im 4. Band zu geben, dessen Druck obendrein schon vor Monaten stattgefunden hat. Wir hoffen indessen schon vom Schluß des Buchstaben E an die Angaben nach der neuen Zählung durchführen zu können. Die höchst unzuverlässigen Zeitungsnotizen lassen wir durchaus unbeachtet.




Druck vom Bibliographischen Institut in Leipzig.
(Holzfreies Papier.)