Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Kopernikus“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 10 (1888), Seite 6465
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Kopernikus. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 10, Seite 64–65. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Kopernikus (Version vom 04.04.2023)

[64] Kopernikus, Nikolaus (richtiger Coppernicus, wie er sich selbst geschrieben), geb. 19. Febr. 1473 zu Thorn, woselbst sein Vater Niklas Koppernigk als Großhändler lebte. Die Sorge für die Erziehung des früh vaterlosen K. übernahmen die mütterlichen Oheime Tilman von Allen (1473 regierender Bürgermeister von Thorn) und Lukas Watzelrode (seit 1489 Bischof von Ermeland). Den ersten Unterricht erhielt K. auf der Schule seiner Vaterstadt; im Herbst 1491 bezog er die Universität Krakau, wo er sich mit Vorliebe unter Leitung des Albertus de Brudzewo der Mathematik widmete. Nach einem kurzen Aufenthalt in der Heimat ging er 1496 zum Studium der Rechte nach Bologna; sein Name findet sich dort in dem Album „Nationis Germanorum“, welcher auch Lukas Watzelrode einst angehört hatte. Er trat hier in nähere Beziehung zu Dominicus Maria Novara, welcher Mathematik und Astronomie lehrte; durch Urceus Codrus ward er in die griechische Sprache und Litteratur eingeführt. Im J. 1497 erhielt er durch den Einfluß seines Oheims ein Kanonikat in Frauenburg, blieb aber noch zwei Jahre in Bologna. Im Jubeljahr 1500 begab er sich nach Rom, wo er öffentliche Vorträge über Mathematik und Astronomie hielt. 1501 machte er einen Besuch in die Heimat und erhielt von dem Domkapitel eine Verlängerung seines Urlaubs, da er noch Medizin zu studieren versprach. Hierzu wählte er die Universität Padua. Daneben setzte er seine kanonistischen Studien fort, schon um mit einem akademischen Grad an die Kathedrale zurückzukehren. In Ferrara ließ er sich zum Doktor des geistlichen Rechts graduieren (31. Mai 1503). Dann nahm er seine medizinischen Studien in Padua wieder auf und verließ Italien erst 1505, reich an Lebenserfahrung und eingeweiht in die gesamten Studien des Humanismus, durch seine mathematischen und astronomischen Kenntnisse in weitern Kreisen bereits wohlbekannt. In der Heimat ward er sofort an den Bischofsitz entboten und blieb sechs Jahre auf dem Schloß zu Heilsberg. In der Muße, die ihm hier gewährt war, ist das Werk seines Lebens, in welchem er die neuen kosmischen Lehren niedergelegt hat, in seinen Grundzügen ausgeführt worden. In dieser Zeit gab er auch als Frucht seiner humanistischen Studien eine Übersetzung der Briefe des Theophylactus Simocatta heraus (Krakau 1509), die einzige Schrift, welche er bei Lebzeiten veröffentlicht hat. Nach dem Tode des Oheims (1512) begab sich K. nach Frauenburg, verließ seine Kurie jedoch wiederum nach fünf Jahren, um die Verwaltung des umfangreichen Landgebiets des Domstifts auf dem Schloß in Allenstein zu leiten (1517–21). Auch späterhin wurde seine praktische Thätigkeit mehrfach in Anspruch genommen. So vertrat er in den Jahren 1522–29 das Kapitel auf den preußischen Landtagen und war namentlich für die Regulierung des zerrütteten Münzwesens thätig. Auch als Arzt wirkte er selbst über den nächsten Freundeskreis hinaus; so wurde er 1541 von Herzog Albrecht nach Königsberg berufen. Dagegen ist die Tradition unbegründet, daß er Wasserleitungen in Preußen angelegt habe; selbst die Röhrenleitung in Frauenburg ist nachweislich erst nach seinem Tod erbaut. Sein Hauptinteresse wandte K. stets dem Ausbau seines astronomischen Systems zu. Bis in die letzten Lebensjahre aber erachtete er seine Forschungen nicht für abgeschlossen, lehnte deshalb auch die Aufforderung ab, welche 1516 von dem lateranischen Konzil an ihn erging, die damals neu angeregte Kalenderverbesserung fördern zu helfen. Nur seinen gelehrten Freunden teilte er die neue kühne Lehre mit, nach welcher die Sonne der Zentralkörper ist, um die sich die Erde und die übrigen Planeten drehen. Vor kurzem (1878) ist der nur handschriftlich verbreitete „Commentariolus“ wieder aufgefunden, in welchem K. die Grundprinzipien seines heliozentrischen Systems zusammengestellt hat. Hierdurch verbreitete sich der Ruf desselben in der Gelehrtenrepublik, so daß ihn von Rom aus 1536 der Kardinal Schönberg um eine Abschrift des großen Werkes bat. Im J. 1539 kam der Professor der Mathematik zu Wittenberg, Georg Joachim Rheticus, nach Frauenburg, um sich in die neue Lehre einweihen zu lassen. In dem folgenden Jahr gab letzterer in der Form eines Briefs an seinen frühern Lehrer Schoner in Nürnberg unter dem Titel: „Narratio prima“ einen Bericht über das Werk von K. heraus (Danzig 1540). Endlich entschloß sich K., gedrängt durch seine Freunde, den Bischof von Kulm, Tiedemann Giese und Joachim Rheticus, zur Veröffentlichung seines Werkes, welches, wie er in der Widmung an Papst Paul III. sagt, viermal neun Jahre bei ihm geruht hätte. Rheticus brachte das Manuskript nach Nürnberg, wo es unter seiner und Osianders Aufsicht gedruckt wurde. Der letztere fügte eigenmächtig noch ein Vorwort hinzu, in welchem er, in vollem Gegensatz zu der sichern, festen Haltung von K., aus Ängstlichkeit die von Luther und Melanchthon als anstößig bezeichnete Lehre von der Erdbewegung als bloße Hypothese hinstellte. K. konnte gegen den Vertrauensbruch nicht mehr Protest einlegen; denn als ihm das erste Exemplar des Werkes überbracht wurde, lag er bereits im Sterben. K. starb 24. Mai 1543 und wurde in der Domkirche zu Frauenburg begraben. In der katholischen Kirche schützte die kühne Lehre eine Zeitlang die Widmung an den Papst; aber nach dem Tridentiner Konzil begann die Gegenströmung, und 1616 wurde in Anlaß der Galilei-Wirren das Werk auf den Index librorum prohibitorum gesetzt, aus welchem es erst 1757 entfernt wurde. Die editio princeps erschien 1543 zu Nürnberg unter dem Titel: „De revolutionibus orbium coelestium“, ein unveränderter Abdruck 1566 zu [65] Basel. Die dritte Ausgabe (Amsterd. 1617) enthält erläuternde Anmerkungen; nach ihr ist der Text der Warschauer Ausgabe gedruckt, welchem Baranowski eine verdienstliche polnische Übersetzung beigefügt hat. In der von dem Kopernikus-Verein zu Thorn 1873 veranstalteten Säkularausgabe ist der überlieferte Text nach dem wieder aufgefundenen Originalmanuskript kritisch berichtigt. Eine deutsche Übersetzung (von Menzzer) veröffentlichte der Kopernikus-Verein (Thorn 1879). – Der Grundgedanke des Kopernikanischen Systems findet sich schon vereinzelt bei griechischen Philosophen und Mathematikern (bei spätern Pythagoreern und bei Aristarch von Samos); allein von den scharfsinnigsten Geistern des Altertums ward die Lehre von der Erdbewegung unbedingt verworfen. Die geocentrische Lehre, gestützt durch die Autorität von Aristoteles und systematisch ausgeführt von Hipparch und Ptolemäos, fand allgemeine Anerkennung und erhielt sich während des ganzen Mittelalters. Es ist das hohe Verdienst von K., das, was einzelne der Alten geahnt und hypothetisch hingestellt hatten, wissenschaftlich begründet zu haben. Er stürzte die herrschende Weltanschauung, wenngleich er noch an der Ansicht festhielt, daß die Himmelskörper sich in Kreisen bewegen oder wenigstens in Bahnen, die aus Kreisen zusammengesetzt sind. – Denkmäler für K. sind in Warschau (von Thorwaldsen), in Posen (von Brodzki) und in Thorn (von Tieck) errichtet; das letztere trägt die Inschrift: „Nicolaus Copernicus Terrae Motor, Solis Caelique Stator“. – Die erste ausführlichere Biographie, von Gassendi (Par. 1654), beruht nur auf gedruckten Quellen, trotzdem haben alle Spätern bis auf die neueste Zeit aus ihr geschöpft. Erst in den letzten drei Dezennien hat die archivalische Forschung eine sichere Grundlage geschaffen; auf dieser ist die ausführliche Biographie aufgebaut, welche L. Prowe (Berl. 1883, 2 Bde.; nebst 1 Bd. Urkunden, das. 1884) veröffentlicht hat; eine kurze Lebensbeschreibung gibt desselben Verfassers „Festrede zur 4. Säkularfeier des Geburtstags von K.“ (das. 1873). Die Frage über die Nationalität von K. ist von einer Reihe polnischer Schriftsteller behandelt; ihre Ansprüche hat Prowe in der Schrift „De patria Copernici“ (Thorn 1860) und in einer Abhandlung in Sybels „Historischer Zeitschrift“ (1872) zurückgewiesen.