Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Kohlensäure“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 9 (1887), Seite 917919
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Kohlensäure. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 9, Seite 917–919. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Kohlens%C3%A4ure (Version vom 03.10.2024)

[917] Kohlensäure (Kohlensäureanhydrid, Kohlendioxyd) CO2 findet sich zu etwa 0,04 Proz. in der Atmosphäre, entströmt in großen Massen thätigen Vulkanen und an vielen Orten aus Rissen und Spalten des Erdbodens (Brohl, Hundsgrotte bei Neapel, Dunsthöhle bei Pyrmont, Thal des Todes auf Java, Mofetten in Italien). Quellwasser verdankt gelöster K. seinen erfrischenden Geschmack, und die sogen. Säuerlinge sind sehr reich an K. Kohlensäuresalze bilden einen Hauptbestandteil der Erdrinde, namentlich der kohlensaure Kalk (Kalkstein) setzt ganze Gebirge zusammen. Aus diesen kohlensauren Salzen entwickelt sich K. gasförmig, wenn man sie mit einer stärkern Säure übergießt, und so wird die K. in der Natur frei, wenn Kalkstein durch kieselsäurehaltige Lösungen in Kieselgestein verwandelt wird. K. entsteht aber auch ganz allgemein bei Oxydation kohlenstoffhaltiger Verbindungen, z. B. beim Verbrennen von Holz und andern Pflanzenstoffen und bei Behandlung derselben mit oxydierend wirkenden Chemikalien. Erhitzt man z. B. Stärkemehl, Zucker oder andre Stoffe, welche aus Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff bestehen, mit Kupferoxyd oder chromsaurem Bleioxyd, so werden sie von diesem vollständig zu K. und Wasser oxydiert. Dasselbe geschieht, wenn abgestorbene Pflanzen- oder Tierstoffe an feuchter Luft liegen: es tritt Verwesung ein, und das Endprodukt derselben ist K. und Wasser. Gärungs- und Fäulnisprozesse liefern ebenfalls K. (Zuckerlösungen gären auf Zusatz von Hefe, wobei der Zucker in Alkohol und K. zerfällt), und wenn man organische Substanz bei Abschluß der Luft erhitzt (trockne Destillation), so entwickelt sich neben andern (entzündlichen) Gasen auch K. Die K. ist also ganz allgemein Zersetzungsprodukt pflanzlicher und tierischer Stoffe, und da solche im Boden fast niemals fehlen, so bildet sich auch in demselben beständig K., und so ist es erklärlich, daß diese in keinem Quellwasser fehlt. Wo aber organische Stoffe im Boden massenhaft angehäuft sind, wie in den Steinkohlenflözen, tritt auch K. reichlich auf (schwere Wetter, Schwaden der Bergleute) und entweicht oft aus dem Boden in Strömen. In die Atmosphäre gelangt auch viel K. durch den Atmungsprozeß der Menschen und Tiere; der eingeatmete Sauerstoff wird im Körper zur Oxydation organischer Stoffe verbraucht, und das Oxydationsprodukt, die K., verläßt den Körper mit der ausgeatmeten Luft.

Zur Darstellung von K. übergießt man kohlensauren [918] Kalk (Marmor, Kalkstein, Kreide) mit Salzsäure, wobei der Rückstand aus Chlorcalcium besteht, oder, wie in Mineralwasseranstalten, kohlensaure Magnesia (Magnesit) mit Schwefelsäure, wobei schwefelsaure Magnesia (Bittersalz) als Nebenprodukt erhalten wird. Um die entwickelte K. zu reinigen, leitet man sie durch Waschgefäße, welche Lösungen von

Fig. 1.
Kohlensäureentwickelungsapparat.

schwefelsaurem Eisenoxydul, kohlensaurem Natron, neutralem Eisenchlorid und übermangansaurem Kali enthalten. Vorteilhaft kann man auch die K. in kalte Lösung von kohlensaurem Natron (Soda) von etwa 9° B. leiten und die dabei entstehende Lösung von doppeltkohlensaurem Natron erhitzen. Sie gibt dann

Fig. 2.
Kindlerscher Ofen.

die absorbierte K. wieder ab und hinterläßt eine Lösung von kohlensaurem Natron, welche von neuem benutzt werden kann. Man benutzt zur Darstellung von K. auf diese Weise im kleinen gewöhnlich Gasentwickelungsapparate, aus Glasflasche, Trichterrohr zum Eingießen der Säure und Gasableitungsrohr bestehend, bei fabrikmäßigem Betrieb aber cylindrische kupferne Kessel mit Rührapparat, einem Säuregefäß, aus welchem beliebig Säure in das Entwickelungsgefäß abgelassen werden kann, Gasableitungsrohr etc. Bei dem Apparat Fig. 1 geht durch den Deckel eines kupfernen, innen mit Blei ausgekleideten Kessels A, durch die Stopfbüchsen oo gedichtet, eine Welle n, welche durch die Kurbel p gedreht wird und den Rührapparat R trägt. Der auf dem Kessel stehende Cylinder enthält das Säuregefäß B, dessen Bodenöffnung a durch das Stangenventil b mittels der Kurbel e geöffnet und geschlossen wird. Die Öffnung c dient zur Druckausgleichung, die Verschraubung f zum Einfüllen der Säure, m ist ein Manometer, i ein Sicherheitsventil, h dient zum Einfüllen des kohlensauren Salzes, l zum Ablassen der Lösung nach vollendeter Entwickelung. Die K. entweicht durch das mit Hahn z versehene Rohr r. Im großen bereitet man auch K. durch Verbrennen von Koks oder Holzkohle und benutzt dazu den Kindlerschen Ofen (Fig. 2), dessen schachtförmiger Raum ab mit dem Brennmaterial gefüllt und oben dicht geschlossen ist. In dem horizontalen Kanal a werden die Kohlen durch zwei senkrecht stehende Roste zusammengehalten, und der Zug wird durch eine mit dem Rohr r in Verbindung stehende Pumpe hervorgebracht. Die Verbrennungsgase dringen durch die ungebrannten Kalksteine nach c, werden auf diesem Weg von schwefliger Säure, die aus einem Schwefelgehalt der Koks stammt, und von Flugasche befreit und durch das beständig fließende Wasser in den Kasten ee abgekühlt. Aus c strömt das Gas in den Waschapparat d, wird hier durch das Wasser weiter gereinigt und gelangt dann durch das Rohr r an den Bestimmungsort. Es kann, da es stets mit Stickstoff gemischt ist, nie mehr als 21 Proz. K. enthalten; doch wird man sich in der Praxis mit einem Kohlensäuregehalt von 15–16 Proz. als höchstem Resultat begnügen müssen. Man hat auch versucht, die Verbrennungsgase von Dampfkesselfeuerungen anzusaugen und zu reinigen, doch leidet darunter gewöhnlich der Betrieb des Kessels zu sehr. Gasfeuerungen scheinen bei Anwendung gewisser Brennmaterialien eine sehr reine K. zu liefern, und ebenso ist die gelegentliche Benutzung der K. von Gärungsräumen nur unter bestimmten Verhältnissen vorteilhaft ausführbar. Man kann aber im Gärungsraum Behälter mit teilweise entwässertem kohlensauren Natron aufstellen, welches sich dann bald in doppeltkohlensaures Natron verwandelt; in manchen Fällen ist auch die aus gärenden Substanzen sich entwickelnde K. direkt verwertbar (Bleiweißfabrikation). Häufig bereitet man K. durch Brennen von Kalk und benutzt dazu Öfen mit ununterbrochenem Betrieb, die sich von gewöhnlichen Kalköfen wesentlich nur dadurch unterscheiden, daß sie in ihrem obern Teil verengert u. hier durch einen Deckel verschlossen sind, während ein seitliches Rohr zur Ableitung der Gase dient. Als Feuerungsmaterial benutzt man Koks oder gute Braunkohle. Eine sehr kräftige Saugpumpe bewirkt den Luftzug durch die Feuerungen und führt die Verbrennungsgase und die aus dem Kalk entwickelte K. durch die Reinigungsapparate. Das erhaltene Gas besitzt einen Kohlensäuregehalt von 23 Proz.

Reine K. ist ein farbloses Gas, riecht und schmeckt säuerlich prickelnd, rötet feuchtes blaues Lackmuspapier, doch verschwindet die Rötung allmählich wieder an der Luft. Sie ist nicht brennbar, und brennende Körper erlöschen in K.; ebensowenig kann K. die Atmung unterhalten, doch ist die K. nicht giftig. Eine Kerze erlischt in Luft, welche 0,2 Volumen K. enthält. Das spezifische Gewicht der K. ist 1,524, und wegen dieses hohen Gewichts sammelt sich K., welche sich in abgeschlossenen Räumen entwickelt, am Boden [919] derselben und kann in Kellern, Brunnen und Höhlungen Erstickungen herbeiführen. Ist die angesammelte Schicht niedrig, so stirbt ein Hund, welcher den Raum betritt, während ein aufrecht gehender Mensch ungefährdet bleibt (daher der Name der „Hundsgrotte“ [s. d.] in Unteritalien). 1 Vol. Wasser absorbiert bei 0°: 1,797 Vol. K., bei 5°: 1,450 Vol., bei 10°: 1,185 Vol., bei 15°: 1 Vol., bei 20°: 0,9 Vol.; Alkohol absorbiert bei 0°: 4,33 Vol., bei 20°: 3 Vol.; auch in Äther ist K. leicht löslich. Bis zu einem Druck von 3 Atmosphären bleibt das bei 15° vom Wasser absorbierbare Volumen K. annähernd dasselbe, bei 7 Atmosphären nimmt Wasser aber nur 5 Vol. K. auf. Wenn man K. stark abkühlt und zugleich auf ein kleines Volumen zusammenpreßt, indem man sie mit Hilfe einer starken Druckpumpe in ein sehr festes, gut abgekühltes eisernes Gefäß treibt, so wird sie zu einer Flüssigkeit verdichtet (bei 0° unter einem Druck von 36 Atmosphären). Flüssige K. findet sich in mikroskopisch kleinen Bläschen in vielen Mineralien (Quarz, Topas, Saphir, Labradorit und in Augit, Olivin, Feldspat von Basalt und Basaltlava). Sie ist farblos, durchsichtig, leicht beweglich, vom spez. Gew. 0,947, dehnt sich beim Erwärmen sehr stark aus, ist wenig löslich in Wasser, mischbar mit Alkohol, Äther, Terpentinöl, siedet bei −78°, verdampft an der Luft äußerst schnell und entwickelt dabei so bedeutende Kälte, daß der noch flüssige Teil bald zu einer lockern weißen Masse erstarrt. Diese verdunstet viel weniger schnell als die flüssige K., gleitet bei leichter Berührung mit dem Finger infolge starker Gasbildung ab, erzeugt, auf die Haut gedrückt, eine Brandblase und Wunde, schmilzt bei −65°. Durch Verdunstung der starren K. an der Luft entsteht eine Temperatur von −78°; rascher verdampft ein Brei von starrer K. und Äther, und einen solchen, in welchem die Temperatur unter der Luftpumpe auf −110° sinkt, benutzt man als sehr kräftig wirkende Kältemischung. Flüssige K. erstarrt darin zu einer eisähnlichen Masse.

K. wird von kohlensauren, stärker von ätzenden Alkalien und Ätzkalk, Ätzbaryt etc., sehr lebhaft von einer lockern Mischung aus gleichen Teilen Ätzkalk und gepulvertem schwefelsauren Natron absorbiert; mit Kalium oder Magnesium erhitzt, wird sie unter Abscheidung von Kohlenstoff zersetzt; mit Kohle geglüht, gibt sie Kohlenoxyd; auch glühendes Eisen entzieht ihr Sauerstoff; leitet man sie über erhitztes Natrium, so entsteht oxalsaures Natron; mit Kalium gibt feuchte K. ameisensaures Kali. Gasförmige und in Wasser gelöste K. gibt mit Kalkwasser einen Niederschlag von kohlensaurem Kalk; ein großer Überschuß von K. löst aber diesen Niederschlag wieder zu doppeltkohlensaurem Kalk, und wenn man diese Lösung an der Luft stehen läßt oder erhitzt, so entweicht die Hälfte der K., und kohlensaurer Kalk scheidet sich aus. Das Gas, welches man gewöhnlich K. nennt, ist Kohlensäureanhydrid. Die eigentliche K. H2CO3 ist nicht bekannt, sie ist in der wässerigen Lösung des Kohlensäureanhydrids enthalten, aber so leicht zersetzbar, daß sie nicht isoliert werden kann.

Die K. spielt in der Natur eine große Rolle. Sie wird von den Pflanzen aufgenommen und unter dem Einfluß des Lichts in den chlorophyllhaltigen Zellen gleichzeitig mit Wasser unter Abscheidung von Sauerstoff in organische Substanz verwandelt. Denkt man sich ein Kohlehydrat als erstes Produkt dieses Prozesses, so erhellt dessen Bildung aus folgender Gleichung:

6CO2 + 6H2O = C6H12O6 + 12O
Kohlensäure   Wasser   Zucker   Sauerstoff.

Die Pflanzen atmen also K. ein und Sauerstoff aus, die Tiere dagegen atmen umgekehrt Sauerstoff ein und K. aus, und alle von den Pflanzen erzeugte organische Substanz wird durch den Stoffwechsel der Tiere, durch Verbrennung, Fäulnis und Verwesung, wieder in K. und Wasser verwandelt. Der tierische Körper sucht sich der in seiner Blutbahn gebildeten K. möglichst schnell zu entledigen; häuft sich die K. im Blut an, so entsteht sofort Gefahr, und wenn nicht schnell Hilfe geschafft werden kann, erfolgt der Tod. In bestimmter Konzentration eingeatmet, erzeugt K. Stimmritzenkrampf, daher die sofort eintretende Unmöglichkeit, in reiner K. weiter zu atmen. Beim Trinken von kohlensäurereichem Wasser scheint der Appetit angeregt zu werden, die Verdauung wird befördert, die Harnabscheidung gesteigert. Bei Einwirkung von K. auf die äußere Haut tritt Gefühl von Wärme und Behaglichkeit auf, Schweiß bricht aus, und es zeigen sich dieselben Erscheinungen wie beim Einatmen verdünnter K. (Schwindel, Kopfschmerz, Brechneigung, Dyspnoe); bei starker lokaler Einwirkung erfolgt zuletzt Anästhesie. Man benutzt kohlensäurereiches Wasser (Säuerlinge, künstliche Mineralwässer, Sodawasser) als kühlendes, durstlöschendes Mittel, bei verschiedenen Affektionen des Magens und der Respirationsorgane, äußerlich in Form von Bädern, Douchen gegen Rheumatismus, Lähmungen etc. Das Gas wird gegen chronische Katarrhe eingeatmet und äußerlich bei Krankheiten der weiblichen Geschlechtsorgane, bei alten Geschwüren etc. benutzt; auch ist es als anästhetisches Mittel empfohlen worden. In der Technik dient K. zur Darstellung von Bleiweiß, Soda und doppeltkohlensaurem Natron, zum Saturieren der Runkelrübensäfte in der Zuckerfabrikation, zur Darstellung künstlicher Mineralwässer, als Feuerlöschmittel etc. Flüssige K., welche in schmiedeeisernen Flaschen in den Handel gebracht wird, dient zum Betrieb von Bierdruckapparaten und Dampffeuerspritzen, zur Darstellung künstlicher Mineralwässer und zur Verdichtung von Stahl- und Neusilberguß. K. wurde zuerst durch van Helmont von der gewöhnlichen Luft unterschieden. Black zeigte, daß sie von den Alkalien gebunden, fixiert wird, und nannte sie fixe Luft; Bergman gab 1774 eine vollständige Geschichte der Luftsäure, aber erst Lavoisier erkannte ihre chemische Natur. Vgl. Luhmann, Die K. (Wien 1885).