Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Kohle“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 9 (1887), Seite 914915
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Kohle. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 9, Seite 914–915. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Kohle (Version vom 03.10.2024)

[914] Kohle, das Produkt der Erhitzung pflanzlicher und tierischer Stoffe bei Luftabschluß. Alle pflanzlichen und tierischen Stoffe bestehen aus Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff, und viele enthalten auch Stickstoff. Erhitzt man sie bei Abschluß der Luft, so zersetzen sie sich unter Bildung flüchtiger Verbindungen, durch welche der größte Teil des Wasserstoffs, Sauerstoffs, event. auch des Stickstoffs in Form von Kohlenstoffverbindungen fortgeführt wird, und es bleibt, oft unter Erhaltung der Struktur, ein schwarzer Rest, die K., welche überwiegend aus Kohlenstoff besteht und je nach der Temperatur, der sie ausgesetzt war, mehr oder weniger Wasser- und Sauerstoff, event. auch Stickstoff enthält. Ähnlichen Zersetzungen unterliegt die organische Substanz bei jenem Prozeß, dessen erste Produkte Torf und Braunkohle und dessen Endglieder Steinkohle und Anthracit (vielleicht auch Graphit) sind. Auch hier wird ein kohlenstoffreiches, wasser- und sauerstoffarmes Produkt, die fossile K., gebildet; aber der Prozeß schreitet nicht so weit fort, daß nicht durch Erhitzung noch flüchtige wasserstoffhaltige Verbindungen ausgetrieben werden könnten. Der kohlenstoffreichere Rückstand solcher Operation sind die Koks (s. d.). Die bei jedem Verkohlungsprozeß sich entwickelnden flüchtigen Zersetzungsprodukte, welche hauptsächlich aus Kohlenstoff und Wasserstoff bestehen, sind zum Teil wieder bei höherer als ihrer Entstehungstemperatur zersetzbar, wobei sie einen Teil ihres Kohlenstoffs abscheiden. Eine derartige Abscheidung ist die Gaskohle (Retortengraphit), welche sich an den heißesten Stellen der Retorten, in denen das Leuchtgas dargestellt wird, ablagert, sowie auch der Ruß, welcher sich bei unvollständiger Verbrennung der die Flamme bildenden Gase ausscheidet. Werden Körper verkohlt, welche bei der Verkohlungstemperatur schmelzen (Zucker, Stärkemehl, Leim), so entsteht eine glänzende, blasige, sehr leicht zerreibliche Masse (Glanzkohle), während die K. nicht schmelzender Substanzen oft noch deren Struktur zeigt, wie die Holzkohle. Die aus Gasen abgeschiedene K. (Gaskohle) und die durch Verkohlung reiner chemischer Verbindungen (z. B. Zucker) erhaltene K. enthalten nur Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff, während stickstoffhaltige Substanzen eine stickstoffhaltige K. und gewöhnliche Pflanzen- und Tierstoffe eine K. liefern, welche auch mehr oder weniger mineralische Stoffe enthält. Diese bleiben als Asche zurück, wenn man die K. bei Luftzutritt erhitzt, bis der Kohlenstoff vollständig verbrannt ist. Sehr aschen- und stickstoffreich ist die Knochenkohle (s. d.), welche bei der Verbrennung ihres Kohlenstoffgehalts an der Luft ihre Struktur unverändert behält. Holzkohle wird durch Erhitzen von Holz bei Luftabschluß dargestellt. Die älteste Methode der Holzkohlengewinnung (Kohlenbrennerei) ist der aus dem Altertum stammende Meilerbetrieb (Köhlerei), bei welchem das Holz in annähernd halbkugel- oder kegelförmigen Haufen (Meilern) in großen Scheiten regelmäßig (und zwar stehend oder liegend) um drei in der Mitte errichtete Pfähle (Quandel) aufgesetzt und mit einer Decke von Rasen, Erde und Kohlenklein bedeckt wird. Unter dieser Decke leitet man die Verbrennung bei sorgsam geregeltem Luftzutritt in der Weise, daß womöglich nicht mehr Holz verbrennt, als durchaus erforderlich ist, um die gesamte Holzmasse auf die Verkohlungstemperatur zu erhitzen. Im wesentlichen sollen nur die aus dem erhitzten Holze sich entwickelnden Gase oder Dämpfe verbrennen. Ist die Verkohlung vollendet, was man an der Farbe des entweichenden Rauchs erkennt, so läßt man den Meiler abkühlen und nimmt ihn auseinander (Kohlenziehen, Kohlenlangen). In Haufen oder liegenden Werken verkohlt man das Holz besonders in Süddeutschland, Rußland und Schweden. Auch hierbei wird das Holz in Haufen geschichtet; aber die Verkohlung erfolgt nur allmählich von einem Ende des länglichen Haufens zum andern, und die verkohlten Stücke werden sogleich gezogen. Ganz ähnlich wie in Meilern oder Haufen verläuft die Verkohlung in runden oder eckigen gemauerten Meileröfen, welche eine leichtere, vollständigere Gewinnung der Nebenprodukte (Teer, Holzessig, die beim Meilerbetrieb in der Regel verloren gehen) gestatten, aber eine geringere Ausbeute und weniger gute K. liefern. Bei diesen Öfen tritt, wie bei Meilern und Haufen, Luft zu dem zu verkohlenden Holz, und ein Teil desselben erzeugt durch seine Verbrennung die nötige Temperatur. Man hat aber den Verkohlungsprozeß viel mehr in der Gewalt und kann ihn besser leiten, wenn man das Holz in Gefäßen, die von außen geheizt werden, also ohne Luftzutritt, verkohlt. Dies geschieht in Retorten, Röhren oder Cylindern zuweilen mit erhitzter Luft, mit Gichtgasen der Hochöfen, mit überhitzten Wasserdämpfen oder mit Anwendung von Gebläseluft. Eine solche sorgfältige Verkohlung ist besonders zur Gewinnung von K. für die Schießpulverfabrikation erforderlich. In Spandau benutzt man große eiserne Cylinder, welche außerhalb des Ofens gefüllt, mit einem Deckel verschlossen und in den Ofen geschoben werden. Ein großer beweglicher Deckel schließt den Raum, in welchem der Cylinder sich befindet. Die aus dem Holze sich entwickelnden Gase leitet man in die Feuerung. Die Temperatur wird mittels eines Pyrometers bestimmt. Rotkohle für Jagdpulver wird mit überhitztem Wasserdampf dargestellt. Als Nebenprodukt erhält man Holzkohle [915] bei der Darstellung von Leuchtgas aus Holz, bei der Darstellung von Holzessig und bei der Teerschwelerei.

Holz gibt beim Erhitzen bis 150° nur hygroskopisches Wasser ab; dann entwickeln sich saure Dämpfe, von 300° ab immer dichter werdender gelber oder gelbbrauner Dampf und Gase. Beim Abkühlen der entweichenden Produkte erhält man Teer und Holzessig (welcher auch Methylalkohol enthält). Die Ausbeute an K. ist um so geringer, je höher die Temperatur gesteigert wurde, und zugleich wird die K. beständig reicher an Kohlenstoff und Asche und entsprechend ärmer an Wasserstoff und Sauerstoff. Die fortschreitende Zersetzung zeigt folgende Tabelle:

Tem­peratur Gewicht des Rück­standes Zusammensetzung des Rückstandes in 100 Teilen
Kohlen­stoff Wasser­stoff Sauerstoff u. Stickstoff Asche
150° 47,5 6,1 46,3 0,08
200° 77,1 51,8 4,0 44,0 0,2
250° 49,7 65,6 4,8 29,0 0,6
300° 33,6 73,2 4,2 21,9 0,6
350° 29,7 76,6 4,1 18,4 0,6
432° 18,9 81,6 2,0 15,2 1,2
1023° 18,7 82,0 2,3 14,1 1,6
1500° 17,3 94,6 0,7 3,8 1,7

Das zwischen 270 und 300° erhaltene Produkt ist braunschwarz (Rotkohle, Röstkohle), hat bei einer um die Hälfte größern Ausbeute fast denselben Wirkungswert wie die über 340° erhaltene Schwarzkohle und wird deshalb zu metallurgischen Zwecken und wegen gewisser Eigenschaften zur Schießpulverfabrikation vielfach dargestellt. Mit dem Steigen der Verkohlungstemperatur wächst die Dichtigkeit und die Leitungsfähigkeit der K. für Wärme und Elektrizität; zugleich aber sinkt die Entzündlichkeit der K. und ihre Neigung, Feuchtigkeit anzuziehen.

Vergleicht man das scheinbare Volumen (ohne Abzug der Zwischenräume) des Holzes mit dem der K., so liefern Eichenholz 71,8–74,3, Rotbuchenholz 73, Birkenholz 68,5, Hainbuchenholz 57,3, Föhrenholz 63,6 Proz. K. Dem wirklichen Volumen nach beträgt die Kohlenausbeute im Durchschnitt 47,6 Proz. Wird das Holz bei 150° getrocknet und bei 300° verkohlt, so erhält man Gewichtsprozente K.: aus Eichenholz 46, aus Fichtenholz 40,75, Rüster 34,7, Hainbuche 34,6, Birke 34,17, Faulbaum 33,6, Esche 33,3, Linde 31,85, Pappel 31,1, Roßkastanie 30,9. Harzfreies, nicht saftreiches Holz gibt glanzlose, höchst poröse K.; die aus harzigem, saftreichem Holz erhaltene K. enthält im Innern der Zellen die aus den Saftbestandteilen gebildete Glanzkohle. Stets ist Holzkohle leicht zerreiblich, aber nur infolge ihrer Struktur; die Kohlensubstanz ist hart und ein gutes Poliermittel für Metall. Bei gewöhnlicher Temperatur ist sie höchst beständig und liegt jahrhundertelang im Boden, ohne sich zu verändern; an der Luft absorbiert sie begierig Gase und Dämpfe (s. Absorption) und aus Flüssigkeiten gelöste Stoffe. Die Gewichtszunahme frischer K. beim Liegen an der Luft beträgt in 24 Stunden bei Eichen- und Birkenkohle 4–5 Proz., Fichten-, Buchen-, Erlenkohle 5–8 Proz., Kiefern-, Weiden-, Pappelkohle 8–9 Proz., Tannenkohle 16 Proz. Im allgemeinen absorbiert bei niedriger Temperatur dargestellte K. am stärksten. Der von der K. absorbierte Sauerstoff wirkt kräftig oxydierend, er verwandelt z. B. Schwefelwasserstoff in Schwefelsäure und Wasser, Ammoniak in salpetersaures Ammoniak, Schwefelammonium in schwefelsaures Ammoniak; auch Fäulnisprodukte werden energisch zerstört, und mit K. umgebenes Fleisch zersetzt sich erst nach längerer Zeit und ohne Fäulniserscheinungen. K. wirkt geruchlos machend, indem sie riechende Stoffe absorbiert; übelriechendes, fauliges Wasser wird durch frisch ausgeglühte Holzkohle gereinigt, Weingeist vom Fuselöl befreit. Aber die K. wirkt nicht auf die im Wasser enthaltenen mikroskopischen Organismen (Bakterien etc.), und beim Filtrieren des Wassers durch K. gehen dieselben durch das Filter; das Wasser wird also geruchlos, aber nicht von den Krankheiten übertragenden Organismen befreit. K. absorbiert auch Farbstoffe, insbesondere wirkt die stickstoffhaltige K. (Knochenkohle in erster Reihe) stark entfärbend. Neben den Farbstoffen werden auch Salze von der K. absorbiert, und darauf beruht zum großen Teil der Wert der Knochenkohle für die Zuckerfabrikation. K. entzieht dem Kalkwasser den Kalk, fällt Metalloxyde, besonders die der schweren Metalle, aus den wässerigen Lösungen ihrer Salze oder absorbiert letztere unverändert; Silber- und Kupfersalze werden durch K. reduziert. Bitterstoffe, Glykoside, Kohlehydrate, besonders Alkaloide, werden ebenfalls absorbiert. Bei längerm Liegen an der Luft verliert die K. ihr Absorptionsvermögen, erlangt es aber wieder durch Ausglühen; auch können der K. die aus Flüssigkeiten aufgenommenen Substanzen wieder entzogen werden (Wiederbelebung), so daß sie namentlich nach darauf folgendem Ausglühen von neuem benutzbar ist.

Man benutzt Holzkohle zur Erzeugung intensiver Hitze besonders überall da, wo Rauch- und Flammenbildung vermieden werden muß, z. B. im Schmiedefeuer, beim Glühendmachen von Plättstählen, bei chemischen Operationen, beim Erhitzen von Gegenständen im Zimmer etc. Da sie Metalloxyde reduziert, dient sie zur Gewinnung von Metallen aus den Erzen. Bei dem hohen Preis der Holzkohle sucht man diese aber soviel wie möglich durch Steinkohle oder Koks zu ersetzen, Holzkohle dient ferner zur Darstellung von Schießpulver und Stahl, zum Entfuseln des Branntweins, zum Klären und Entfärben von Flüssigkeiten, zum Filtrieren des Wassers, zum Konservieren fäulnisfähiger Substanzen, zum Desinfizieren, zum Reinigen von Kohlensäure (für Mineralwässer), Wasserstoff, ranzigen Fetten und dumpfigem Getreide, als Zahnpulver, als Poliermittel für Metalle, zur Füllung von Aspiratoren für die Benutzung in Räumen, in welchen schädliche Gase befindlich sind. Wasser in Fässern, die inwendig verkohlt sind, bleibt sehr lange frisch. Als Dünger macht Holzkohle den Boden locker und wirkt außerdem durch ihre Absorptionsfähigkeit für Ammoniak und Kohlensäure. Zierpflanzen mit faulenden Wurzeln können geheilt werden, wenn sie in mit K. gemischte Erde gebracht werden. Große Wunden an Saftgewächsen heilen leicht, wenn man sie mit Kohlenpulver bestreut, auch kann man solche Gewächse, Knollen und Samen für langen Transport gut in K. verpacken. Retortengraphit und nach besonderm Verfahren bereitetete Koks werden zu galvanischen Batterien und zu den Polspitzen beim elektrischen Licht benutzt. Tierische K. dient namentlich zum Entfärben von Flüssigkeiten. Manche Kohlensorten dienen als schwarze Farbe (Frankfurter Schwarz, Beinschwarz, chinesische Tusche etc.), und Linden- und Weidenkohle werden zum Zeichnen benutzt.