MKL1888:Königinhofer Handschrift

Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Königinhofer Handschrift“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 9 (1887), Seite 10191020
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Königinhofer Handschrift. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 9, Seite 1019–1020. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:K%C3%B6niginhofer_Handschrift (Version vom 16.01.2023)

[1019] Königinhofer Handschrift (Rukopis Kralodvorský), das älteste Denkmal der tschechischen Litteratur, von Hanka (s. d.) 1817 im Gewölbe des Kirchturms zu Königinhof aufgefunden, besteht aus zwölf zierlich mit kleiner Schrift beschriebenen Blättern und zwei Bruchstücken, welche zusammen 14 Gedichte und Gedichtfragmente epischer und lyrischer Form enthalten, und stammt nach den letzten Untersuchungen der Brüder Jireček aus dem 13. Jahrh. Die erste Ausgabe (der Urtext mit Übersetzung in neuböhmischer Sprache von Hanka und deutscher Übertragung von Swoboda, Prag 1819) erregte alsbald allgemeines Aufsehen; Goethe, Grimm, Chateaubriand, Cantù u. a. bekundeten freudiges Erstaunen. Eine deutsche Ausgabe besorgte Graf M. Thun („Gedichte aus Böhmens Vorzeit“, mit Einleitung von Schafarik und Anmerkungen von Fr. Palacky, Prag 1845). 1852 gab Hanka eine Polyglotte der K. H. mit Übersetzungen in fast alle europäischen Sprachen heraus; 1862 erschien ein photographisches Faksimile mit einer gründlichen Abhandlung von Vrtatko, 1873 eine illustrierte Ausgabe von Korschinek, 1879 eine neue Ausgabe von J. Jireček und Vymazal. Was den Inhalt betrifft, so behandelt das Fragment des ersten Gedichts die Vertreibung der Polen aus Prag 1004 und stimmt mit den darauf bezüglichen Angaben der Hajekschen Chronik überein; das zweite Gedicht schildert die Niederlage eines sächsischen Heerhaufens, das dritte den Sieg des böhmisch-mährischen Heers unter Jaroslaw über die Tataren bei Olmütz 1241 (vgl. Palacky, [1020] Der Mongoleneinfall 1241; dagegen Schwammel, Über die angebliche Mongolenniederlage bei Olmütz, in „Sitzungsberichte der königlichen Akademie der Wissenschaften“ 1860, Bd. 33). Das vierte Gedicht schildert den Sieg über Vlaslaw, von welchem der Chronist Kosmas berichtet, das fünfte ein altböhmisches Turnier; das sechste feiert den Sieg der heidnischen Häuptlinge Zaboj und Slavoj über einen christlichen Feldherrn Lüdek (Ludwig?) angeblich 805. Der Rest besteht aus kleinern Liedern im Volkston ohne besondere Aufschriften. Die Echtheit der K. H. ist ebenso eifrig angefochten wie verteidigt worden. Unter den slawischen Linguisten äußerte zuerst Kopitar vielfache Bedenken; in neuerer Zeit haben Feifalik („Die K. H.“, Wien 1860), Büdinger (in Sybels „Historischer Zeitschrift“ 1859 und „Die K. H. und ihre neuesten Verteidiger“, Leipz. 1859), Wattenbach (in genannter Zeitschrift 1863), Vasek (1879), Schembera (Wien 1882 u. 1886) sowie die Professoren der böhmischen Universität Gebauer, Massaryk und Goll (in der Prager Zeitschrift „Ateneum“) gegen ihre Echtheit gewichtige und begründete Anklagen erhoben. Umständliche Verteidigungen lieferten außer Palacky (s. oben) Nebesky („Rukopis Kralodvorský“, Prag 1853), die Gebrüder Jireček (1862 u. 1878), Hattala (1871), Brandl (1879, 1880) u. a.