Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Jacotot“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 9 (1887), Seite 119
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Jacotot. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 9, Seite 119. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Jacotot (Version vom 11.04.2021)

[119] Jacotot (spr. schakotoh), Jean Joseph, Begründer der nach ihm benannten Unterrichtsmethode (Jacototsche Methode), geb. 4. März 1770 zu Dijon, wurde im dortigen Collège gebildet. In wechselvoller Laufbahn war er der Reihe nach Anwalt, Professor der Humanitätswissenschaften, Kapitän der Artillerie, Sekretär im Kriegsministerium, Substitut des Direktors der polytechnischen Schule und Professor der Mathematik an derselben, zuletzt Professor der französischen Sprache und Litteratur in Löwen, von wo er sich 1830 nach Frankreich zurückzog. Er starb 31. Juli 1840 in Paris. Seit 1818 trat er in Löwen mit seiner Methode des Universalunterrichts hervor, die viele Anhänger, besonders in Belgien, Frankreich und der Schweiz, aber auch gewichtige Gegner, namentlich in Deutschland (Alberti, Chr. Schwarz u. a.), fand. Seine Grundsätze klingen paradox. Er geht von den Sätzen aus: „Alle Menschen haben gleiche Intelligenz“ und „Alles ist in allem“. Dennoch liegt in ihnen viel Wahres, sofern es sich einerseits um gesunde, normal entwickelte Menschen und anderseits um die Grundelemente alles Erkennens handelt. Am deutlichsten tritt dies in seiner Methode des ersten Sprachunterrichts hervor, die auch am vollkommensten entwickelt ist. Er wählt für diesen den Weg der Analyse, indem er den Schüler nicht zunächst Buchstaben kennen lehrt und zu Silben, diese aber zu Wörtern, Sätzen etc. zusammensetzen läßt, sondern gerade umgekehrt, von einem auswendig gelernten kurzen Satz ausgehend, zu Wörtern, Silben, Lauten gelangt. Damit soll zugleich der Schreibunterricht und die sachliche Besprechung des Inhalts verbunden werden, so wie auch der eigentliche Sprachunterricht, ohne Anwendung einer Grammatik, an sie geknüpft wird. In Deutschland fand die Leselehrmethode Jacotots seit 1840 Eingang durch Seltzsam in Breslau und später in etwas veränderter Gestalt (auf Normalwörter begründet) durch Vogel in Leipzig, der selbständig zu ähnlichen Grundsätzen wie J. gelangt war. In dieser veränderten Gestalt ist sie weit verbreitet unter dem Namen der Normalwörter-, Vogel-Böhmeschen oder Kehr-Schlimbachschen Methode. Jacotots „Méthode d’enseignement universel“ wurde mehrfach übersetzt, z. B. von Braubach (Marb. 1830, mit Erläuterungen) und in Auswahl von Göring (Wien 1883).