MKL1888:Hercynischer Wald

Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Hercynischer Wald“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 8 (1887), Seite 412
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Hercynischer Wald. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 8, Seite 412. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Hercynischer_Wald (Version vom 25.04.2024)

[412] Hercynischer Wald (Hercynia silva, kelt. Arkynia, „Höhenzug“), schon bei Aristoteles vorkommende Bezeichnung eines großen Gebirgszugs, der im hohen Norden nach O. hin Europa durchschneiden sollte, aber im übrigen unbestimmt und fabelhaft ist. Eine genauere Beschreibung desselben gibt erst Cäsar, welcher ihn 9 Tagereisen breit und 60 lang sein und von dem Gebiet der Helvetier, Nemeter und Rauraker anfangen, in gerader Richtung mit der Donau bis an die Grenzen der Dacier und Anarter fortlaufen, dann nördlich abbiegen läßt. Hiernach würde der Name H. W. die sämtlichen Wälder und Gebirge Mitteldeutschlands vom Rhein bis zu den Karpathen, also Schwarzwald, Odenwald, Spessart, Rhön, Thüringer Wald und Frankenwald, Fichtel- und Erzgebirge, Elbsandsteingebirge und die Sudeten (Iser-, Riesen- und Glatzer Gebirge), umfaßt haben. Diese zusammenhängende Zone von damals unbewohnten Waldgebirgen bildete zu Cäsars Zeiten noch die Südgrenze der Germanen, südlich deren nur keltische Völker saßen. Als jedoch die Römer im Lauf der Zeit mit den nördlichen Regionen bekannter wurden und viele Spezialnamen von Gebirgen kennen lernten, wurde der Name H. W. sehr eingeschränkt und nach O. verschoben, ohne daß sich ein bestimmtes damit bezeichnetes Gebirge nachweisen ließe. Ptolemäos wendet den Namen nur auf die waldigen Bergrücken, welche die Sudeten mit den Karpathen verbinden, an. Neuere Geographen und namentlich die Geologen haben die alte Bezeichnung wieder aufgenommen und verstehen unter dem Hercynischen Gebirgssystem alle Gebirge und Erhebungen von Ibbenbüren in Westfalen im NW. bis zu dem österreichisch-mährischen Tiefland im SO., das es bei Krems an der Donau von den Alpen und zwischen Brünn, Prerau und Oderberg von den Karpathen scheidet. In dieser Ausdehnung umfaßt es zwei gesonderte Teile. Der eine derselben enthält den Böhmerwald, das Fichtelgebirge, den Frankenwald, Thüringer Wald und Teutoburger Wald, der andre die Sudeten, die Glatzer Gebirge, das Riesen- und Lausitzer Gebirge, den Harz und die Wesergebirge, während zwischen beiden das Mährische Gebirge im SO. und das Ibbenbürener Steinkohlengebirge im NW. den Abschluß machen und namentlich das Erzgebirge im Innern eine Verbindung zwischen beiden Teilen herstellt. In dem ganzen System, dessen Hebung bis zum Ende der Kreideformation reicht, herrscht die Richtung von SO. nach NW., die sich auch in den Landrücken der norddeutschen Tiefebene vielfach wiederfindet, durchaus vor, obgleich die ältere Hebung des Schiefergebirges (niederländischen Systems) von SW. nach NO. mehrfach noch sehr bedeutend hervortritt.