Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Heber“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 8 (1887), Seite 255257
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Heber. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 8, Seite 255–257. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Heber (Version vom 01.11.2024)

[255]

Fig. 1.
Einfacher Heber.

Heber (Schenkelheber, Saugheber), eine gebogene Röhre mit zwei ungleich langen Schenkeln, welche dazu dient, eine Flüssigkeit aus einem Gefäß mit Hilfe des Luftdrucks, der sie über den Gefäßrand hebt, ausfließen zu lassen. Taucht nämlich die mit Flüssigkeit gefüllte Röhre (asb, Fig. 1) mit ihrem kürzern Schenkel sb in die Flüssigkeit, so wirkt der Luftdruck in beiden Schenkeln mit gleicher Stärke nach aufwärts; im kürzern Schenkel aber wirkt ihm der Druck einer Flüssigkeitssäule entgegen, welche vom Flüssigkeitsspiegel bis zum höchsten Punkt s der Biegung emporreicht, während im längern Schenkel eine höhere Säule, die von der Mündung a bis zur Biegung sich erhebt, entgegendrückt. Der noch [256] übrigbleibende aufwärts gerichtete Druck ist demnach im kürzern Schenkel größer als im längern und zwingt die Flüssigkeit, in demselben aufzusteigen und aus der Mündung des längern Schenkels so lange auszufließen, bis entweder die Mündung b des kürzern Schenkels nicht mehr in die Flüssigkeit taucht, oder bis der Flüssigkeitsspiegel ebenso tief liegt wie die Mündung a des längern Schenkels. Damit der H. wirksam sei, darf sein höchster Punkt nicht höher über dem Flüssigkeitsspiegel liegen, als die Höhe der Flüssigkeitssäule beträgt, die dem Luftdruck das Gleichgewicht hält; für Quecksilber darf also die Biegung höchstens 760 mm (so hoch ist nämlich die Quecksilbersäule im Barometer, welche dem Druck der Atmosphäre das Gleichgewicht hält), für Wasser höchstens 10 m über dem Niveau des Gefäßes liegen. Unter der Glocke der Luftpumpe hört deshalb der H. zu fließen auf, sobald der Druck der umgebenden Luft geringer wird als der Druck der Flüssigkeitssäule im kürzern Schenkel. Daß beim H. der Luftdruck in der angegebenen Weise wirkt, kann man auch durch die Vorrichtung Fig. 2 nachweisen. Der H. ab, dessen längerer Schenkel unter dem im Trichter d befindlichen Wasser mündet, ist mittels eines durchbohrten Korks luftdicht in den Hals einer mit Wasser gefüllten Flasche eingesetzt; durch eine zweite Bohrung des Korks geht eine Röhre cc, welche nahe unter dem Kork endigt. Hält man nun, nachdem der H. zu fließen angefangen hat, die Röhre cc mit dem Finger zu, so wird durch den H. noch etwas Wasser ausfließen, und da durch die verschlossene Röhre keine entsprechende Luftmenge in die Flasche eintreten kann, so muß sich die in der Flasche enthaltene Luft ein wenig ausdehnen, und ihr Druck vermindert sich, bis der Überdruck der äußern Luft gegen die innere dem Überdruck der längern Wassersäule gegen die kürzere die Wage hält. Der H. hört nun auf zu fließen, weil das in ihm enthaltene Wasser auf diese Weise im Gleichgewicht gehalten wird. Man kann diese Vorrichtung als selbstthätige Waschflasche praktisch verwerten, um beim Auswaschen von Niederschlägen das Filter stets bis zur nämlichen Höhe mit Wasser gefüllt zu erhalten. Läßt man nämlich die abwärts gebogene Röhre cc gerade im Niveau des Wassers im Trichter endigen, so wird, wenn Wasser durch den H. zufließt und das Niveau ein wenig steigt, ihre Mündung durch das Wasser verschlossen und der Zufluß gehemmt; der H. wird aber wieder auf kurze Zeit fließen, sobald der allmählich sinkende Wasserspiegel im Trichter die Mündung der

Fig. 2.
Waschflasche mit Heber.

Röhre c auf einen Augenblick freigegeben und somit der äußern Luft den Zutritt in die Flasche verstattet hat. Man füllt den H. gewöhnlich dadurch, daß man, nachdem sein kürzerer Schenkel in die Flüssigkeit getaucht ist, am Ende a des längern Schenkels mit dem Mund saugt; hierdurch wird die in der Röhre enthaltene Luft verdünnt, ihr Druck wird geringer als der äußere Luftdruck, welcher, auf die Flüssigkeitsoberfläche im Gefäß drückend, die Flüssigkeit in die Röhre zu steigen zwingt. Bei der Vorrichtung Fig. 2 genügt es, in die Röhre cc hineinzublasen; die Luft in der Flasche wird dadurch verdichtet, ihr Druck größer als der äußere Luftdruck und treibt das Wasser in den H. Um den H. bequem durch Saugen zu füllen, ohne befürchten zu müssen, daß von der abzulassenden ätzenden oder giftigen Flüssigkeit etwas in

Fig. 3.
Giftheber.

den Mund gelangt, bringt man an dem längern Schenkel ein seitliches Saugrohr t (Fig. 3) an, an welchem man, während die Mündung b′ verschlossen gehalten wird, saugt, bis die Flüssigkeit durch b in die kugelige Anschwellung des Saugrohrs zu steigen beginnt (Giftheber). Steckt man auf die Mündung t des Saugrohrs einen zusammengedrückten Kautschukballon, so saugt derselbe, indem er sich wieder rundet, die Flüssigkeit an. Als H. kann auch jeder Kautschukschlauch bequem gebraucht werden. Will man, was häufig vorkommt, mittels des Hebers Flüssigkeiten von einem Bodensatz klar abziehen, so biegt man vorteilhaft den in die Flüssigkeit tauchenden Schenkel am Ende ein wenig aufwärts, so daß die Strömung den Bodensatz nicht berührt. Auf den Gesetzen des Hebers beruht auch die Einrichtung des von Heron von Alexandria angegebenen sogen. Vexierbechers (Tantalusbechers, Diabetes, Fig. 4). In einer Öffnung des Bodens des Vexierbechers steckt eine Röhre, welche an beiden Enden offen ist; über diese Röhre ist eine andre gestülpt, welche von größerm Durchmesser, aber oben verschlossen ist. Der Raum, welcher sich zwischen diesen beiden Röhren befindet,

Fig. 4. Fig. 5.
Fig. 4 u. 5. Vexierbecher.

dient als der kürzere Schenkel eines Hebers. Wenn man nun in das Gefäß so viel Flüssigkeit gießt, daß das Niveau derselben das obere Ende der Röhre erreicht, so fließt sie durch die untere Öffnung ab. Den kürzern Schenkel kann man aber auch in der Wand des Gefäßes, den längern in dem Henkel verbergen (Fig. 5). Ähnlich und im großen hat man den H. bei dem berühmten Kanal von Languedoc (Canal du Midi) angewendet. Dieser Kanal läuft an einigen Stellen am Abhang von Gebirgen fort und muß daher alles von diesen Bergen abfließende Wasser aufnehmen, infolgedessen er oft austrat und Überschwemmungen bewirkte. Man brachte, um dies zu verhindern, große gemauerte H. an, deren höchster Punkt sich im Niveau des höchsten Standes, den das Wasser im Kanal erreichen sollte, befand, und deren kürzerer Schenkel bis zum tiefsten Wasserstand des Kanals, der längere aber am Abhang des Gebirges herabhing. Diese H. würden, wenn sie sich einmal gefüllt haben, nicht eher zu fließen aufhören, als bis der ganze Kanal ausgeleert wäre, hätte man nicht die Vorsicht gebraucht, im kürzern Schenkel im gewöhnlichen Niveau der Wasserfläche eine Öffnung anzubringen. Sobald die H. das Wasser so weit abgeführt haben, daß es bis zu dieser Höhe herabgesunken ist, tritt zu dieser Öffnung Luft hinein, und im [257] Augenblick hört die Wirkung des Hebers auf. Wenn man das untere Ende des langen Schenkels eines Hebers umbiegt und dasselbe in eine Spitze auslaufen läßt, so spritzt das Wasser aus dieser Spitze, die möglichst tief unter dem Niveau der Flüssigkeit liegen muß, in die Höhe (Springheber).