Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Hansa“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 8 (1887), Seite 142146
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Hansa. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 8, Seite 142–146. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Hansa (Version vom 11.07.2023)

[142] Hansa (Hanse), veraltetes deutsches Wort, welches ursprünglich „Schar“, dann eine Vereinigung mehrerer Personen zu einem gemeinschaftlichen Zweck, eine Gesellschaft, Gilde bezeichnet, wie Hans das Mitglied eines solchen Vereins. Als kaufmännische Verbindung kommen H. und Hanshus als deren Niederlage zuerst in England in Urkunden aus dem ersten Drittel des 12. Jahrh. vor; Mercatores hansati werden 1204 in Paris genannt. Hansegrafen (Vorsteher einer H.), gab es in Regensburg seit 1190. Das Zeitwort hansen findet sich in Köln 1259 für eine gewisse Prozedur, die mit neu aufgenommenen Mitgliedern vorgenommen wurde, woher auch das neuere hänseln abzuleiten ist. H. heißt ferner das Recht, in fremden Landen Handel zu treiben, sowie die Abgabe von diesem Handel (wie in dem Freibrief Barbarossas für Lübeck 1188) und die Summe, für welche der Einzelne seine Teilnahme an der Genossenschaft erkaufte.

Die Entstehung des großen Städtebundes, der vorzugsweise H. oder Hansabund (hanseatischer Bund, Unio hanseatica) genannt wird, kann nicht auf ein bestimmtes Jahr zurückgeführt werden. Der hansische Städteverein beruhte auf dem Zusammenwirken zweier Momente, der Vereinigung deutscher Kaufleute im Ausland und der Verbindung deutscher Städte in der Heimat. Bei der erstern Art von hansischen Verbindungen war das kaufmännische Interesse das allein maßgebende; die hansischen Städtevereinigungen dagegen hatten neben den Handelszwecken einen allgemeinen politischen Charakter, gleich den Städtebündnissen in andern Teilen des Reichs. Von den im Ausland gebildeten Gilden deutscher Kaufleute ist diejenige zu London die älteste, deren Spuren bis in das Jahr 1000 zurückreichen. An den mit Privilegien reichlich ausgestatteten Stahlhof (Stapelhof) der Kölner Kaufleute zu London, mit denen Bürger von westfälischen Städten im Bündnis standen, knüpfen sich die Anfänge der ausländischen H. Zu dieser Verbindung trat dann Lübeck hinzu, ohne daß zunächst noch eine Rückwirkung der im Ausland geltenden Bünde auf die heimischen Verhältnisse zu bemerken wäre. Wie nun London für den westlichen, so war Wisby für den östlichen Handel nach Livland und Rußland von Bedeutung. Die Deutschen, welche hier als Kaufmannsgilde verbunden waren, gehörten, wie in London, verschiedenen Städten an; doch nahm hier Lübeck die Stellung ein, welche Köln im Stahlhof hatte. Von Wisby aus wurde der St. Petershof zu Nowgorod eingerichtet. Wisbys Rechte als Vorort der nordöstlichen Kaufleute gingen aber bald auf Lübeck über. Weitere Handelsvereinigungen wurden durch die Beziehungen zu den Niederlanden und vorzugsweise zu Brügge geschlossen. Lübecker und Hamburger Kaufleute gewannen dort um die Mitte des 13. Jahrh. Handelsprivilegien, an welchen sie auch andre Städte Anteil nehmen ließen. Den ausländischen Verbindungen folgten die heimischen Bündnisse der Städte selbst nach dem Gesetz der Rückwirkung der Kolonien, ebenfalls seit der Mitte des 13. Jahrh. Voran steht der Bund zwischen Lübeck und Hamburg (seit 1241), welcher die Verbindung der Westsee und Ostsee repräsentiert. Dann folgten die Verbindungen Lübecks mit den wendischen Städten, zunächst mit Rostock und Wismar, später mit Stralsund und Greifswald. Hierauf bildete sich ein Verein der sächsischen Städte, mit welchen Hamburg ein Bündnis schloß. Der wendische Städtebund unter Lübecks Führung schloß sich dem sächsischen schon wegen des Binnenhandels im Anfang des 14. Jahrh. an. Endlich sind noch zu erwähnen die Handelsbündnisse zwischen westfälischen und preußischen Städten seit 1340. Den Handelsbündnissen zur Seite gingen seit dem 13. Jahrh. die Landfriedensbündnisse, in welchen denn auch über militärische Leistungen der Bundesglieder Vereinbarungen stattfanden. So bestand demnach um die Mitte des 14. Jahrh. ein System von Bünden, welche sich zum Teil wegen ihres Ursprungs, zum Teil wegen ihrer auf dem Handel beruhenden Grundlage gewissermaßen sämtlich als hanseatische Bünde bezeichnen lassen.

Die gewaltige Macht, die auf diese Weise gegründet war, übte nunmehr ihren direkten Einfluß auf die auswärtigen Staaten und Verhältnisse. Es entstand ein Organismus, der ein inneres und noch stärkeres äußeres politisches Leben führte. Die Eroberung Wisbys durch König Waldemar IV. von Dänemark im Juli 1361 veranlaßte die deutschen Seestädte zu einer noch engern Verbindung, und bald ging man im Gefühl der Stärke von der Defensive auch zur Offensive über, wobei jedoch immer die kaufmännischen Interessen maß- und zielgebend blieben. So war es die Macht der H., welche die dem Bund feindlich gesinnten Könige Hakon und Magnus von Schweden entthronte und statt derselben durch die Reichsstände den Herzog Albrecht von Mecklenburg zum König ausrufen ließ, der ein treuer Verbündeter der H. blieb. Wider Waldemar IV., der umsonst kaiserliche Befehle und päpstlichen Schutz gegen die kühnen Städte erwirkte, ward 1367 zu Köln ein Kriegsbündnis zwischen 77 Städten geschlossen, das den hundertjährigen Krieg zwischen [143] Lübeck und Dänemark durch einen entscheidenden Sieg glücklich zu Ende führte. Der Friede von Stralsund 1370 gab der H. die Herrschaft des Sundes, die Schlüssel zur Ostseeherrschaft, in die Hand, überlieferte ihr Plätze und Landstrecken in Schonen auf 15 Jahre als Unterpfand und sicherte ihr zwei Dritteile der königlichen Einkünfte aus denselben für einen gleichen Zeitraum; zugleich versprachen die dänischen Reichsräte, daß künftighin niemand, ohne die Privilegien der H. bestätigt zu haben, die dänische Krone erlangen solle.

Indessen fehlte es unter den Verbündeten nicht an Gegensätzen. Das Übergewicht Lübecks und des wendischen Bundes im östlichen Meer und seine vollkommene Herrschaft über den Sund riefen unter den westlichen Städten eine Reaktion hervor. Zunächst waren es die holländischen Städte, welche sich beschwert fanden und, das Verbot der H., Getreide aus andern als hansischen Häfen auszuführen, zum Vorwand nehmend, vom Bund abfielen, in dessen Fehde mit Erich XI. auf die Seite des Dänenkönigs traten und sich mit ihm 1423 zum feindlichen Überfall der hansischen Schiffe auf Schonen vereinigten. Die H. verbot hierauf, holländische Schiffe nach Livland zu befrachten, und behandelte die ostseeischen Fahrten derselben als Schleichhandel. Fast ebenso empfindlich wurden die preußischen und livländischen Städte von Lübecks Handelspolitik berührt. Die Kolonialpolitik der H. hatte den direkten Verkehr nach und von den östlichen Pflanzstädten und ihrem Handelsgebiet den eignen Schiffen des Bundes vorbehalten, selbst die Landreise war verboten; fremde Flaggen sollten in den östlichen Häfen, außerhansische Kaufleute auf deren Märkten nicht zugelassen werden. Durch diese selbstsüchtige Politik, die den ganzen Stapel zum Monopol Lübecks machte, fühlten sich jene Pflanzstädte natürlich sehr beschwert, und jede sich darbietende Gelegenheit ward von ihnen dazu benutzt, sich von der drückenden Bundesfessel loszumachen. Überdies verstand der Bund wenig, der neuen Zeit und ihren Forderungen Rechnung zu tragen. Das althergebrachte Wesen der Faktorei begann dem bunten Treiben der Börse zu weichen; neue Handelswege wurden aufgefunden; Antwerpen ward die Niederlage der Portugiesen für ihre ostindischen Zufuhren, wodurch sich in den Niederlanden selbst ein Punkt von stärkerer Anziehungskraft bildete, und als 1540 der hansische Stapel von Brügge nach Antwerpen verlegt werden sollte, zeigte sich, daß sich der Stapel überhaupt überlebt habe. Gleichwohl hielt die H. mit Zähigkeit an den alten, verlebten Verhältnissen fest und ließ sich so unbemerkt von der Handelsthätigkeit andrer Völker überholen. Den meisten Grund zur Eifersucht auf die H. aber hatten die skandinavischen Reiche, die ihren Seepaß, den Sund, unter hansischer Gewalt und das Monopol der H. auf ihren Märkten herrschend sahen.

So mächtig alle diese Feinde in ihrer Zusammenwirkung auch sein mochten, so fand sich doch ein Mann, der ihnen allen keck den Handschuh hinwarf: Jürgen Wullenweber (s. d.), den eine demokratische Bewegung rasch auf die höchste Stufe der Ehren in seiner Vaterstadt Lübeck emporgehoben hatte. Gustav Wasa war durch die Lübecker auf den schwedischen Thron gesetzt worden; Friedrich, Herzog von Holstein, konnte sich nur durch ihren Beistand auf dem dänischen Thron behaupten. Ersterer hatte aus Erkenntlichkeit der H. neben andern Privilegien zugestanden, daß ausländische Nationen auf ewige Zeiten von der Fahrt durch den Sund oder Belt ausgeschlossen sein sollten; letzterer dagegen hatte bei seiner Thronbesteigung nur die alten Freibriefe der H. im allgemeinen bestätigt. Als er nun acht Jahre später Lübecks Beistand gegen den entthronten Christian II., der seine Krone zurückerobern wollte, nachsuchte, verlangte Wullenweber als Gegenleistung die Zustimmung Dänemarks zu einer Schiffahrtsakte, nach welcher die Holländer sowenig wie die östlichen Städte mit Stapelgütern durch den Sund fahren dürfen sollten. Den Preußen sollte verstattet sein, ihnen zu eigen gehörende Stapelgüter gegen Certifikate nach England zu bringen; die Schotten, Engländer und Franzosen sollten gleichfalls Waren, die ihnen selbst zugehörten, gegen Certifikate, nicht aber Stapelgüter um Fracht führen dürfen. Dänemark zögerte mit seiner Zustimmung und befolgte ein Schaukelsystem zwischen den hansischen und niederländischen Interessen, bis auch Schweden mit Lübeck zerfiel, worauf die Reichsräte ihre Versprechungen zurücknahmen und mit Schweden ein Bündnis schlossen. Wullenweber knüpfte hierauf Verbindungen mit dem König von England, vielleicht auch mit Christian II., gewiß mit der demokratischen Partei in Dänemark an, sah sich nach einem Prätendenten für den schwedischen Thron um und schloß 1534 mit den Niederländern Frieden, um den Kaiser mit Lübeck zu versöhnen. Aber sein kühnes Unternehmen scheiterte. Von da nahm die H. einen entschiedenen Rückgang. Dänemark beutete den Sundzoll für sich aus. Livland, vom Deutschen Reich abgefallen, verwickelte Lübeck in einen langwierigen Krieg mit Schweden. Zunächst dominierte Schweden, nachher Rußland in der Ostsee.

Der härteste Schlag aber wurde von England aus gegen die H. geführt. Noch 1551 war der deutsche Handel in England so begünstigt, daß durch die Hansen 44,000 Stück englische Tücher, durch die Engländer selbst deren nur 1100 ausgeführt wurden. Einzelnen Versuchen der englischen Regenten, diesem Mißverhältnis ein Ende zu machen, hatte die H. stets ihre Macht entgegengestellt, und im 15. Jahrh. war es darüber zu manchem blutigen Seekampf gekommen. Die Königin Elisabeth trat zuerst mit der Forderung einer Gleichstellung der Eingesessenen mit den Hansen auf, wogegen letztere in Hinsicht auf die Handelsbeziehungen zu England vor allen andern Völkern besondere Vergünstigungen genießen sollten, die jedoch umgekehrt auch den englischen Unterthanen in den Hansestädten zu gewähren seien. Als die H. den Vorschlag zurückwies, beschränkte die Königin zunächst die Erlaubnis zur Ausfuhr ungefärbter Tücher, selbst gegen Entrichtung des höhern Zolles, auf 5000 Stück. Der Hansetag beantragte zwar beim Reichstag, als Repressalie den Engländern allen Verkehr mit Deutschland und den Verkauf englischer Güter in Deutschland zu untersagen; allein der Kaiser ließ es bei einem Verwendungsschreiben an die Königin von England, das natürlich erfolglos blieb, bewenden. Hamburg schloß hierauf einen Separatvertrag mit England und nahm die englische Kompanie der Adventurers bei sich auf, wagte jedoch, da der Unwille gegen diesen Verrat sich immer drohender äußerte, nach Ablauf der vorerst stipulierten zehn Jahre keine Erneuerung des Vertrags. Die Verhandlungen mit England gerieten allmählich ins Stocken, wiewohl die Handelsverbindungen noch nicht völlig abgebrochen wurden. Inzwischen trat der Gegensatz der lübeckischen und hamburgischen Politik immer schroffer hervor. Während erstere die alten Privilegien aufrecht erhalten wissen wollte, berief sich Hamburg auf die veränderte Weltlage, die eine andre [144] Stellung England und den andern Königreichen gegenüber mit sich bringe. Da man an der eignen Macht verzweifelte, brachte man 1582 die Sache an den Reichstag, und wirklich erging 16. Sept. d. J. ein Reichsgutachten, wonach den Adventurers überall im Reich der Handel sofort verboten werden sollte; das betreffende kaiserliche Mandat ward aber erst 1597 erlassen. Während dieser Zeit waren die Adventurers vorübergehend wieder in Hamburg erschienen, und der Rat von Stade hatte ihren Besuch sogar durch eine eigne Gesandtschaft erbeten. Elisabeth hatte 1589 im Tejo 60 hansische Schiffe kapern lassen, nahm nach dem Erscheinen des kaiserlichen Mandats auch die hansische Faktorei, den Stahlhof, weg und hob die alten Privilegien der H. in England auf.

Zu Anfang des 17. Jahrh. bestand der Hansabund thatsächlich kaum noch aus mehr als etwa 14 Städten. Trotz dieses Verfalls wurde von den großen Mächten, welche damals in Europa maßgebend wurden, das Bündnis der H. und insbesondere Lübecks noch immer sehr gesucht. Denn da Spanien einen großen Eifer entwickelte, auf der Ostsee Macht zu gewinnen, und deshalb mit Dänemark in Unterhandlungen getreten war, suchten die Niederländer und die mit ihnen verbündeten Schweden 1612 mit Lübeck ein förmliches Bündnis. Später unterhandelte Frankreich in gleicher Absicht mit Lübeck, und auch die kaiserliche Politik konnte ihre seit Dänemarks Niederlage inaugurierten Pläne auf die Ostseeherrschaft nicht ohne Lübecks Einverständnis erreichen. Auf dem Lübecker Tag von 1627 unterhandelte der kaiserliche Gesandte zugleich im Namen Spaniens. Letzteres erbot sich, das Monopol des ganzen Kolonialhandels mit den Städten zu teilen; doch wiesen diese aus Besorgnis eines Zerwürfnisses mit den skandinavischen Nachbarn und einer Einmischung des Kaisers in ihren Handel den Vorschlag zurück. Nach dem Westfälischen Frieden wurden mehrfache vergebliche Versuche gemacht, einen Hansetag in der alten Weise zu versammeln. Die meisten Städte waren, da ihnen der Bund den alten Schutz nicht mehr zu gewähren vermochte, abgefallen und hatten sich zum Teil irgend einer Fürstenmacht unterworfen, und auf dem letzten Hansetag zu Lübeck 1630 erfolgte ihre förmliche Lossagung. Umsonst erteilte Leibniz (1670) den Rat, „die Kommerzien durch Restabilierung der Hansestädte wieder aufzurichten“. Es war kein Leben mehr in den toten Körper zu bringen, und nur einem günstigen Geschick ist es zuzuschreiben, daß wenigstens Lübeck, Bremen und Hamburg, welche den Bund freilich mehr dem Namen nach als durch einmütiges Streben noch eine Zeitlang repräsentierten, ihre Unabhängigkeit bewahrten. Hier vereinigten sich die Geldkräfte mit der Geschäftskunde, das günstige Vorurteil der auswärtigen Geschäftsfreunde mit der einheimischen Strebsamkeit, die Erfahrung und Umsicht mit der gewandten Benutzung der Zeitumstände. Wo man aber einst befohlen hatte oder doch mit Selbstgefühl aufgetreten war, da mußte man nun bitten und wohl auch zu Bestechungen seine Zuflucht nehmen; namentlich über das Recht der neutralen Flagge fanden häufige Verhandlungen mit England und Frankreich statt. Napoleon verleibte 1810 die Hansestädte dem Kaiserreich ein. Das Kontinentalsystem erreichte dadurch seinen Höhepunkt; der Handel schwankte zwischen namenloser Einbuße durch die Sperre und zwischen fabelhaftem, aber segenlosem Schmuggelgewinn. Als die Wiener Kongreßakte den Hansestädten in Anerkennung ihrer regen Beteiligung an dem Befreiungskampf ihre Unabhängigkeit garantiert hatte, erneuerten sie ihr hanseatisches Bündnis; doch hat dasselbe mit dem alten Bunde der H. wenig mehr als den Namen gemein.

In der Blütezeit der H. reichten deren Verkehrslinien vom äußersten Norden bis nach Italien, vom Innern Rußlands bis an den Atlantischen Ozean. Von Wisby wurde, wie schon bemerkt, der Verkehr mit Rußland bewerkstelligt, und seit der Ansiedelung in Nowgorod hatten die Deutschen auch hier ihr eignes Recht, ihre Handelsordnung und Gemeindekasse. Durch Verträge mit den russischen Großfürsten sicherten sich die Lateiner (d. h. die Westländer) ihre Rechte. Der anfangs zu Lande bewerkstelligte Verkehr mit Nowgorod wurde später durch Schiffe unterhalten, die sich jährlich zweimal in Wisby zur gemeinschaftlichen Fahrt nach Osten versammelten. Der Verkehr der Deutschen mit Schweden beginnt erst Mitte des 13. Jahrh., doch scheint er nicht unbedeutend gewesen zu sein; die Schweden erhielten von den Deutschen die notwendigsten Lebensbedürfnisse, und diese beuteten dagegen auf Grund ihrer Privilegien die schwedischen Kupferbergwerke aus, exportierten Kupfer, Eisen, Pelzwerk, Fische. Bedeutenden Verkehr unterhielten die Deutschen im 12. und 13. Jahrh. mit Schonen, wo sie in Gesellschaften Fischfang mit Harpunen, Netzen und Angeln trieben, die Fische trockneten, salzten und ausführten. Von andern zum Heringsfang besuchten Orten nennen wir noch die Inseln Bornholm, Moen und Drakoer (d. h. Amack). Die dänischen Orte, an welchen die Deutschen das Recht hatten, sich niederzulassen, waren besonders: Kopenhagen, Helsingör, Roeskilde auf Seeland, Svendborg auf Fünen, Flensburg in Schleswig, Rendsburg und Kiel in Holstein. Sehr wichtig war ferner der Handel mit Norwegen, wo schon früh des Handels wegen Ortschaften wie Stavanger, Drontheim (992), Opslo (1060) und Bergen (1076) entstanden. Bergen war der Hauptsitz des hanseatisch-norwegischen Verkehrs; Bergens Bürger wurden nach und nach von den Hanseaten abhängig: überall kauften diese sich an und bemächtigten sich der Gewölbe und Häuser. Das Gebiet der Deutschen bestand aus 21 Höfen, die zwei Gemeinden bildeten. Alle Höfe waren durch Mauern voneinander getrennt und bestanden aus Haupt- und Nebengebäuden. Die ganze Niederlassung zählte etwa 3000 Bewohner, die alle männlichen Geschlechts sein mußten. Kein Kontorist durfte heiraten, keiner des Nachts außerhalb der alten Stadt bleiben. Unter den Hansestädten machten Lübeck, Hamburg, Rostock, Wismar, Stralsund und Bremen die meisten Geschäfte in Bergen. Außerordentlich wichtig war ferner der Handel der Hanseaten in England; hier war ihnen das Privilegium des freien Ein- und Verkaufs aller Waren gegeben. Außer in London waren Hansen in Boston, Hull, York, Norwich etc. thätig; die Könige begünstigten sie gegenüber dem eignen Volk, weil die Zölle, welche sie für eingeführte Waren entrichteten, eine einträgliche Quelle des Einkommens der Könige waren. Trotz der Einführung der Ein- und Ausfuhrzölle, die häufig sehr bald wieder aufgehoben wurden, und trotz andrer Schikanen der Engländer blieben die Hansen doch das ganze Mittelalter hindurch die Haupthändler in England. Ihr Hauptsitz war der Stahlhof in London; hier wurden an jedem Neujahrsabend der Alderman mit zwei Beisitzern und den Neunern in der Art gewählt, daß jede Stadt gleichmäßigen Einfluß ausübte. Diese zwölf Männer setzten mit dem residierenden Kaufmann der H. die Statuten fest, welche jährlich in voller Versammlung in der [145] „Morgensprache“ verlesen wurden und meist Abgeschiedenheit von der englischen Welt bezweckten. Oft wurden die Hanseaten zeitweilig im Genuß ihrer Privilegien durch Englands Kriege mit dem Ausland und durch lästige städtische Abgaben, welche die eifersüchtigen Seestädte London, Hull etc. erhoben, gestört, und zur Zeit der Bürgerkriege konnten sie ihre Handelsniederlassungen nur mit außerordentlicher Mühe vor dem Verfall schützen. In den Niederlanden waren die Hansen ebenfalls bemüht, Handelsfreiheiten auf den dortigen Märkten zu erringen, da sie hier nur die Produkte des Nordens und Nordostens gegen orientalische Waren umtauschen konnten; allerdings fanden sie hier nicht den Neid wie an andern Orten, wohl aber Konkurrenz und freiere Verwendung des Kapitals und der Arbeit, weshalb sie in Flandern keinen so entschiedenen Einfluß auf den Handel und Verkehr und keine Privilegien vor andern Völkern erlangen konnten. Nach Brügge brachten die Hanseaten die Produkte des Nordens und vertauschten oder verkauften sie hier; die Blütezeit des brüggeschen Kontors dauerte bis gegen Ende des Mittelalters, wo Verhältnisse eintraten, die einen Umschwung des hanseatischen Handels mit sich brachten. Während der Unruhen in Flandern zog sich der Handel nach Antwerpen. Auch andre niederländische Städte wurden von den Hanseaten besucht, und mit den holländischen, seeländischen und westfriesischen Städten standen sie bis in das 15. Jahrh. in enger Verbindung; erst nach ihrer Trennung vom Bunde trieben die holländischen Städte einen unabhängigen Aktivhandel. Der Verkehr mit Frankreich scheint weniger lebhaft gewesen zu sein. Aus den ihnen von Ludwig XI. und Karl VIII. erteilten Privilegien geht hervor, daß sich die Hanseaten zahlreich in den Häfen von La Rochelle, Harfleur und Honfleur einfanden; aber die Art ihres Verkehrs ist wenig bekannt, wahrscheinlich stand er unter der Leitung des brüggeschen Kontors. Im 15. Jahrh. entstanden Faktoreien in La Rochelle und Bordeaux, die aber bald wieder eingingen. Aus Portugal bezogen die Hanseaten Südfrüchte, Salz etc. und importierten besonders Schiffbauholz; 1452 erhielten sie von Alfons V. eine Niederlassung in Lissabon. Verbindungen mit Spanien bestanden seit der letzten Hälfte des 14. Jahrh.; im 15. Jahrh. wurden dieselben zwar infolge von Zerwürfnissen unterbrochen, jedoch 1443 wieder angeknüpft. Im ganzen war aber der Handel der Hanseaten großen Beschränkungen unterworfen. Ein reger Verkehr muß dagegen zwischen den Hansestädten und dem Innern Deutschlands stattgefunden haben, doch sind die Nachrichten über denselben nur spärlich. Die Fische der Seestädte wurden nach dem Binnenland geführt, dagegen aus diesem andre Produkte bezogen. Direkte Wege bestanden zwischen Hamburg, Lübeck und Frankfurt a. M.; ein Hauptwarenzug bewegte sich über Magdeburg nach Dresden und Böhmen. Basel und Straßburg sowie Ulm und Regensburg standen mit den Hanseaten in ununterbrochener direkter Verbindung, da Donau-Rhein Hauptstraße für Mitteleuropa war. Ein großes Gebiet des hanseatischen Binnenhandels zog sich von Danzig nach Wien und Venedig; als Hauptruhepunkt dieses Warenzugs diente Trentschin an der Waag, denn hier endete die preußische Straße, welche über Oberschlesien und Jablunka ging und Bernstein für den Donauhandel lieferte, der später über Antwerpen und Brügge versendet wurde. Die wichtigste Niederlassung war in Litauen Kowno (Kauen), wo alle Straßen Litauens und Rußlands zusammenführten. Auch in Kowno wohnten die Kaufleute in Höfen, und zwar waren es meist preußische und namentlich Danziger; Haupthandelsartikel war Salz, das aus Livland, Polen und Rußland hierher gebracht wurde. Auch mit Tuch, Seidenzeugen, Heringen, Zucker etc. trieb die Faktorei Handel im großen. Ausfuhrartikel waren: Holz, Asche, Wachs, Pelzwerk, rohes Leder, Hanf und Garn. Der Handel mit Litauen blühte bis zum Ende der Ordensherrschaft; die Verbindung mit Polen wurde anfangs von Thorn, Kulm, Elbing, Braunsberg aus bewerkstelligt, später bemächtigte sich Danzig des polnischen Handels, bis ihn endlich die Konkurrenz Königsbergs an sich riß.

Über der innern Organisation und dem Umfang der alten H. liegt noch manches Dunkel. In der „Kölnischen Konföderation“ wurde zwar eine Art von Bundesverfassung 1364 festgesetzt; doch löste sich dieselbe bald wieder auf, und die Städte traten nach wie vor zu Tagsatzungen zusammen, wie es eben die Bedürfnisse der drei großen Gruppen oder des Gesamtbundes erheischten, bald zum Zweck der Ordnung auswärtiger Angelegenheiten, bald zum Ausgleich innerer Streitigkeiten. Die oberste Gewalt der H. lag in den Händen der Stadtdeputierten, die, nicht bloß aus dem Kaufmannsstand gewählt, eine beratende Versammlung bildeten. Dieselbe diskutierte die zu ergreifenden Maßregeln, bestimmte den Geldbeitrag eines jeden Mitgliedes der H., vertrat den Bund den auswärtigen Mächten gegenüber und untersuchte und schlichtete unter den einzelnen hanseatischen Städten entstandene Streitigkeiten. Sie trat mindestens alle drei Jahre, zur Zeit der Blüte des Bundes alljährlich in irgend einer Stadt zusammen, am häufigsten in Lübeck, dem Vorort des Bundes, wo auch die Archive aufbewahrt wurden. In den von Lübeck ausgehenden Zusammenberufungsschreiben waren die wichtigsten Angelegenheiten bezeichnet, welche in Beratung genommen werden sollten. Die gefaßten Beschlüsse wurden dem Senat des Hauptbezirksortes mitgeteilt, welcher dann die übrigen zu ihm gehörenden Hansestädte davon in Kenntnis setzte. Bei den Versammlungen selbst pflegte ein Bürgermeister von Lübeck den Vorsitz zu führen. Der Bund übte besondere Justizgewalt und belegte mit dem größern und kleinern Bann, was man „verhansen“ nannte. Die Hansestädte erwarben gern ein Stadtterritorium, das sie ihr Eigentum nannten; aber sie ließen darin niemals eine Handlung oder ein Gewerbe außer der Landwirtschaft blühen, denn Monopole zu pflegen war ihr Hauptzweck; selbst die Vorstädte ließen sie selten zu vollem Bürgerrecht gelangen. Wer in die H. treten wollte, mochte der Antragende eine Landschaft oder eine Stadtgemeinde sein, mußte eine Art von Selbständigkeit besitzen, welche ein Landesherr wohl schützen, aber nicht leiten durfte. Daher finden wir im Hansabund nur solche Residenzen deutscher weltlicher und geistlicher Landesherren, welche zugleich von ihren Landesfürsten mit einem bedeutenden Maß bürgerlicher Freiheit begabt waren. Solange die H. mächtig war, entschied sie allein, ob ein Pfahl- oder Hafengeld von den ein- oder ausgeführten Gütern andrer Hansegenossen in dieser oder jener Stadt erlegt werden solle oder nicht. Die Fürsten münzten oft unter dem Stempel der Hansestädte, doch nur mit Zustimmung derselben, wie sie denn überhaupt während der Blütezeit des Bundes abhängiger von diesem waren als er von ihnen. Die H. des Mittelalters kannte den Wechselhandel, der freilich noch sehr einfach war, aber keine niederländischen Assekuranzen. Die Lombarden vertrieb man mit [146] ihren Wechseltischen durch Statut von 1412. Schiffe durften nicht an Nichthanseaten verkauft werden. Die hanseatische Flagge verführte auch in der Regel keine fremden Güter.

Obgleich von Haus aus nur eine Handelsgesellschaft, war die H. eine politische Macht ersten Ranges geworden als die einzige Trägerin der deutschen Handelspolitik, und wenn sie sich darin auch von der Zeit überflügeln ließ, so waren selbst ihre Trümmer noch dem Gedeihen des deutschen Handels förderlich. Die nordischen Länder haben ihr Emporkommen und ihre Kultur fast allein dem Einfluß des Handels mit den Hansestädten zu verdanken; die hanseatischen Seefahrer wurden für die Küsten des Baltischen Meers, was im hohen Altertum die Phöniker dem Mittelmeer gewesen waren. Und als gegen das Ende des 15. Jahrh. der Einfluß des Bundes erlosch, hatten sich zwischen dem Norden und Süden Europas bereits mannigfache Verbindungen befestigt, welche eine bleibende fördernde Rückwirkung der geistigen und materiellen Bestrebungen des letztern auf den erstern sicherten. Durch Verfolgung der Seeräuberei brachte es die H. dahin, daß sowohl auf dem Deutschen Meer (der Nordsee) als auf dem Baltischen der Handel mit ziemlicher Sicherheit betrieben werden konnte, und außer den Vorteilen, welche sie dadurch allen anliegenden Ländern gewährte, bemühte sie sich auch, das harte, grausame Verfahren zu beseitigen, denen damals der unglückliche Schiffbrüchige ausgesetzt zu sein pflegte, und suchte dem in Verlust Geratenen wieder zu seinem Eigentum zu verhelfen. Auch dadurch hat der Bund nicht wenig zum Fortschritt der Zivilisation beigetragen. Die H. war aber ein Kind ihrer Zeit und mußte untergehen, als diese Zeit vorbei war. Gemeinsamer Vorteil hatte die Mitglieder zusammengeführt, und diese trennten sich daher wieder, als die Mitgliedschaft zur Erreichung neuen Gewinnes Opfer erheischte. Der Hauptmangel des Bundes war seine Stabilität. Er mochte seine alten Einrichtungen nicht ändern, obwohl die Zeit, für welche sie sich als trefflich erwiesen, längst vergangen war. Ein Zweck der H. fiel schon weg, als die Land- und Seestraßen nicht mehr unsicher waren und die Errichtung des Landfriedens hinlängliche Bürgschaft für die öffentliche Sicherheit gewährte. Dann führte die Entdeckung Amerikas und des Seewegs nach Indien eine gänzliche Umwälzung im Handel herbei und machte namentlich den Stapel ungeeignet; die H. verkannte aber diese Thatsache. Der Stapel war die Hauptquelle des Reichtums des Bundes gewesen, die Väter hatten vom Stapel und nach den alten Handelsgildegebräuchen gelebt, und die Söhne konnten sich nicht entschließen, daran etwas zu ändern, wenn sie auch darüber zu Grunde gingen. Der Bund versäumte den rechten Augenblick, sich zu einer großen Handelsrepublik nach neuerm Zuschnitt zu gestalten. Einzelne Bundesglieder, die das veränderte Bedürfnis begriffen, wie die Niederländer, sonderten sich vom Bund ab; andre ließen sich von den Fürsten losreißen, von deren zeitgemäßerer Handelspolitik sie sich größere Vorteile versprachen. Der Bund selbst erstarb, ein Bild alles Stabilen, das Auge und Ohr hartnäckig den Anforderungen der Zeit verschließt und nicht begreift, daß heute ins Grab führt, was gestern noch heilsam und segenbringend war.

Vgl. Sartorius, Geschichte des hanseatischen Bundes (Götting. 1802–1808); Sartorius-Lappenberg, Urkundliche Geschichte des Ursprunges der deutschen Hanse (Hamb. 1830, 2 Bde.); Barthold, Geschichte der deutschen H. (Leipz. 1862); Winkler, Die deutsche H. in Rußland (Berl. 1886), und das im Auftrag der Historischen Kommission zu München von Koppmann, v. d. Ropp und Schäfer herausgegebene große Urkundenwerk „Hanserezesse“ (seit 1256), von dem bis jetzt 11 Bände (Leipz. 1873–86) erschienen sind; ferner „Hansesches Urkundenbuch“ (hrsg. von Höhlbaum, Halle 1879–82, Bd. 1–3).