Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Hēkăte“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 8 (1887), Seite 344345
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Hēkăte. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 8, Seite 344–345. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:H%C4%93k%C4%83te (Version vom 02.10.2024)

[344] Hēkăte (griech., „die Fernhinwirkende“), ein mystisches, gewaltiges Götterwesen, das aber Homer noch nicht nennt, und dessen Kult vielleicht von Thrakien und Thessalien nach dem eigentlichen Griechenland kam. Für Verbreitung desselben haben besonders die orphischen Dichter mit Eifer gewirkt. Durch deren Einfluß wurde H., ursprünglich wahrscheinlich eine Mondgöttin, angesehen als eine in allen Reichen der Natur, im Himmel, auf der Erde und in der Unterwelt, mächtig wirkende Gottheit, welche von Zeus und den übrigen Göttern hoch verehrt ward und den Menschen vielfachen Segen gewährte. Als solche wurde sie mit andern Gottheiten vermengt, so mit Selene, mit Artemis, besonders mit den mystischen Göttinnen Demeter, Persephone, Rhea, Kybele. In den Mysterien der Demeter und der Persephone wurde sie als Gefährtin beider gefeiert und hatte an manchen Orten, z. B. zu Ägina, sogar ihren Geheimkult. Sie verlieh Weisheit in den Volksversammlungen und auf dem Richterstuhl, Glück und Sieg im Krieg und in den Wettkämpfen, glückliche Seefahrt und beutereiche Jagd, Reichtum der Herde und den Segen blühender Kinder. Zu Eltern gab man ihr den Titanen Perses oder Persäos und die Asteria, eine Schwester der Leto; indessen finden sich über ihre Abstammung auch andre Angaben. Ihr Beiname, „die Dreigestaltige“, bezog sich wohl ursprünglich auf die drei Phasen der Erscheinung des Mondes und wurde erst später auf das ihr beigelegte Wirken in den drei Reichen der Natur bezogen. Aus der Mondgöttin wird die Göttin der Nacht, des Dunkels, der Unterwelt, und damit hängt ihr gespenstisches Wesen zusammen. Sie schickt Spukgestalten aus der Unterwelt herauf, wie die Empusa (s. d.) und die Lamien (s. d.), und schwärmt selbst nachts mit den Seelen der Verstorbenen an Kreuzwegen (daher Trivia) und Grabstätten umher. Zugleich ist sie die Göttin alles Zaubers und die Patronin der Zauberer und Zauberinnen, welche in stillen Mondnächten die durch das Mondlicht der H. mit Zauber erfüllten Kräuter im Gebirge aufsuchen und durch ihre Gunst und Hilfe ihren Zauber üben. Die großen Zauberinnen des Altertums, wie Kirke und Medea, haben von H. ihre Kunst gelernt und heißen ihre Dienerinnen; aller Wust des Aberglaubens der spätern griechischen und römischen Zeit fand seine Trägerin in H. – Abgebildet wurde H. in der Regel dreigestaltig; auf dem pergamenischen Altarfries (Berlin) findet sie sich aber [345]

Dreigestaltige Hekate (Rom, Kapitol).

auch mit einem Körper, drei Köpfen und drei Händepaaren. Die gewöhnliche Auffassung teilt sich zweifach: in der ältern Zeit sind die Figuren mit langen, auf dem Boden ruhenden Fackeln, Früchten, Schale und Hund ausgestattet; die jüngere Gruppe hat als Attribute kurze Fackeln, Schwert, Dolch, Strick, Schlüssel und Schlange. Eine hübsche Bronzestatuette dieser Art enthält das kapitolinische Museum in Rom (s. Abbildung). An ihren Lieblingsplätzen, den Dreiwegen, sowie auch vor und in den Häusern stellte man ihr Säulen (Hekatesäulen) oder Pfeiler auf, damit sie das Haus und den Wanderer vor Unglück beschütze. Diese sind meist mit drei Köpfen besetzt und zeigen in Relief am untern Rande drei tanzende Frauen (Chariten). Am meisten sind Denkmäler aus Athen bekannt; hier stand auch die Gruppe des Alkamenes. Geopfert wurden der H. junge Hunde, Honig und insbesondere schwarze Lämmer. Vgl. Schömann, De Hecate Hesiodea (Greifsw. 1851); E. Petersen, Die dreigestaltige H. (in den „Archäologisch-epigraphischen Mitteilungen aus Österreich“, Bd. 4 u. 5, Wien 1880–82).