Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Gotha“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 7 (1887), Seite 541542
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Gotha. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 7, Seite 541–542. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Gotha (Version vom 14.04.2021)

[541]

Wappen von Gotha.

Gotha, Hauptstadt des gleichnamigen Herzogtums, das seit 1826 mit Koburg zu dem Herzogtum Sachsen-Koburg-Gotha vereinigt ist, abwechselnd mit Koburg Residenz des Herzogs, 308 m ü. M., in freundlicher Lage am Leinekanal, Knotenpunkt der Linien Kassel-Dietendorf, G.-Leinefelde und G.-Ohrdruf der Preußischen Staatsbahn, hat meist breite Straßen, freundliche Vorstädte mit Villen und schönen Gärten und hübsche Anlagen. Unter den 5 Kirchen, worunter sich eine katholische befindet, verdienen nur die Margareten- und Augustinerkirche Beachtung. Das vornehmste Bauwerk der Stadt ist das auf dem 332 m hohen Schloßberg liegende, weithin sichtbare Schloß Friedenstein. Es ward seit 1648 an Stelle des zerstörten Schlosses Grimmenstein (s. unten) erbaut, besteht aus einem mächtigen Viereck mit Seitenflügeln und dicken, 45 m hohen Ecktürmen, dient gegenwärtig zum Sitz mehrerer Landesbehörden, zur Aufbewahrung einer Bibliothek von 200,000 Bänden (darunter seltene Litteraturschätze und 3000 Manuskripte) und einer sehr bedeutenden Münzsammlung. Nach W., S. und O. hin wird der Friedenstein von einem herrlichen Park umrahmt. In demselben, der Südseite des Schlosses gegenüber, das [542] Neue Museum, ein monumentaler Bau im reichsten Renaissancestil mit den Sammlungen des Naturalien-, Antiken-, Kunst- und chinesischen Kabinetts, der Gemäldegalerie etc. Von andern Gebäuden sind bemerkenswert: das herzogliche Palais im italienischen Villenstil mit Gemäldesammlung, nahe dabei der Marstall, das Palais Friedrichsthal, der Orangerie gegenüber, das Theater (1837–39 erbaut, 1861 glänzend restauriert), die Gebäude der Feuerversicherungsbank, der Deutschen Grundkreditbank (beide von Bohnstedt erbaut) und der Lebensversicherungsbank, das altertümliche Rathaus am Markte, das Landschaftshaus etc. Interessant ist der Friedhof mit der ersten deutschen Feuerbestattungshalle nebst Kolumbarium und Verbrennungsapparat nach Siemensschem System. Eine 22 km lange Wasserleitung sorgt für Trinkwasser. Die Bevölkerung beläuft sich mit der Garnison (1 Inf.-Bat. Nr. 95) auf (1885) 28,100 Seelen, der Mehrzahl nach Evangelische. G. ist einer der lebhaftesten Handels- und Speditionsplätze Thüringens und der Sitz mannigfaltiger Industrie. Sehr bedeutend ist die Wurstfabrikation (mit jährlichem Export von 5000 metr. Ztr., zum Teil nach Ostasien und Australien). Bedeutend sind auch die Schuh-, Spritzenschlauch-, Spielwaren- und Zuckerfabrikation. Außerdem finden sich hier eine Porzellanfabrik und eine Eisengießerei. Weltbekannt ist das J. Perthessche Geographische Institut, dessen Erzeugnisse, Atlanten und Karten, über die ganze Erde gehen. G. besitzt ein Gymnasium mit Realgymnasialklassen, eine höhere Bürgerschule, ein Lehrer- und ein Kindergärtnerinnenseminar, eine Handelsschule und eine Baugewerkschule. Die ehemals berühmte Sternwarte auf dem nahen Seeberg, an welcher v. Zach, Encke, v. Lindenau u. a. thätig waren, ging 1857 ein; die neue Sternwarte, bis 1874 unter Hansens Leitung, befindet sich in der Nähe des Parkes. G. ist Sitz des Staatsministeriums, eines Landratsamtes und eines Landgerichts. In der Umgegend zeichnen sich besonders aus: der Arnoldische Berggarten, das Dorf Siebleben mit dem herzoglichen Schloß Mönchshof nebst Park (Fasanerie) und dem Landhaus des Dichters Gustav Freytag, der 411 m hohe Seeberg mit großen Sandsteinbrüchen und der Boxberg, wo alljährlich die Pferderennen des Mitteldeutschen Rennvereins stattfinden. Der Landgerichtsbezirk G. umfaßt die acht Amtsgerichte zu G., Liebenstein, Ohrdruf, Tenneberg, Thal, Tonna in Gräfentonna, Wangenheim in Friedrichswerth und Zella St. Blasii.

G. (in den ältesten Urkunden Gotegewe, später Gotaha genannt) kommt zuerst um 930 vor als ein Dorf, das zum Stift Hersfeld gehörte und durch dessen Abt Gothard (nachherigen Schutzheiligen von G.) mit Mauern umgeben wurde. Später kam es in Besitz der Landgrafen von Thüringen, welche daselbst eine Kemnate erbauten, aus welcher das feste Schloß Grimmenstein entstand. Um 1200 wird G. zuerst als Stadt genannt, deren Wassermangel Landgraf Balthasar 1350 abhalf, indem er den Leinekanal nach G. leiten ließ. Nach dem Aussterben der Landgrafen kam G. an die Wettiner und fiel bei der Teilung zwischen Friedrich dem Sanftmütigen und dessen Bruder Wilhelm 1440 an letztern, nach Wilhelms Tod 1485 in der Teilung zwischen Ernst und Albert an den erstern (Kursachsen). Die Reformation fand in G. schon um 1521 Eingang. Hier wurde im Februar 1526 der sonst nach Torgau benannte Bund zwischen Kursachsen und Hessen geschlossen. Im Schmalkaldischen Krieg 1546 wurde ein großer Teil der Festungswerke des Grimmensteins von den Kaiserlichen geschleift. Zwar durften die Söhne Johann Friedrichs die Befestigungen später wiederherstellen; als sich jedoch einer derselben, Johann Friedrich der Mittlere, welcher zu G. residierte, in die Grumbachschen Händel (s. Grumbach) verwickelte und infolgedessen in die Reichsacht kam, wurde G. 1566 von dem Kurfürsten August von Sachsen, als Achtsexekutor, belagert und 13. April 1567 eingenommen, worauf der Grimmenstein abermals und völlig geschleift wurde. 1572 fiel G. an Herzog Ernst den Frommen, den Stifter der neuen gothaischen Linie, der in G. seine Residenz nahm und das Schloß Friedenstein (s. oben) erbaute. Ernst II. (1772–1804) räumte die alten Festungswerke um G. weg und ersetzte sie durch Anlagen. Mit dem Aussterben dieser Linie (1825) kam G. an Koburg. In G. blühte im 18. Jahrh. unter Ekhofs Leitung und der Mitwirkung von Böck, Iffland, Beck etc. bis 1779 die Schauspielkunst, während neuerdings durch A. Petermann (bis 1878 Leiter der geographischen Anstalt von J. Perthes) G. ein Mittelpunkt für die geographischen Wissenschaften auf der ganzen Erde geworden ist. Vgl. Beck, Geschichte der Stadt G. (Gotha 1870); Kühne, Beiträge zur Geschichte der Entwickelung der sozialen Zustände der Stadt und des Herzogtums G. (das. 1862).