MKL1888:Gicht
[328] Gicht, die Mündung eines zum Rösten oder Schmelzen von Erzen dienenden Schachtofens sowie auch der Raum um diese Mündung herum. In ersterm Sinn redet man von Gichtmantel, einem die Ofenmündung bis auf Chargieröffnung umgebenden Cylinder aus Blech oder Mauerwerk, in letzterm von Gichtplateau und Gichtgalerie, einer das Plateau einschließenden Umfriedigung, sowie von Gichtbrücke, einer das Gichtplateau mehrerer Öfen verbindenden Brücke. Ferner bezeichnet G. die nach Volumen oder Gewicht abgeteilten Portionen von Erz und Brennmaterial, welche periodisch durch die Gichtmündung in den Ofen gebracht (aufgegichtet) werden. Hierauf beziehen sich die Ausdrücke: Gichtenwechsel, Niedergangszeit der Gichten im Ofen, Gichtmesser und Gichtwecker, Signale, welche angeben, daß die Gichten so weit im Ofen niedergegangen sind, daß frische aufgegeben werden müssen; s. Gichtaufzug. Bei Frischfeuern (s. Eisen, S. 410) heißt G. diejenige Seite des Herdes, an welcher das einzuschmelzende Roheisen eingeschoben wird.
Gicht (Podagra, Arthrītis vera, A. urĭca, A. guttōsa, franz. la Goutte), eine schmerzhafte, in Anfällen auftretende entzündliche Erkrankung der Gelenke, namentlich der Zehen und Fingergelenke, welche anatomisch durch die Ablagerung harnsaurer Salze in den Gelenken und den sie umgebenden Weichteilen charakterisiert ist. Die echte G. wird gewöhnlich als der Ausdruck einer eigentümlichen Blutentmischung, nämlich der harnsauren Diathese, angesehen, denn man findet bei der G. die Menge der Harnsäure im Blut vermehrt. Worauf diese Vermehrung beruht, ist noch nicht genügend ermittelt; allein es wird angenommen werden dürfen, daß der gichtischen Diathese eine eigentümliche Störung des allgemeinen Stoffwechsels zu Grunde liegt. Es ist nachgewiesen, daß bei der G. die erbliche Anlage eine sehr große Rolle spielt, denn dieselbe läßt sich wohl bei der Hälfte aller Kranken konstatieren. Im Kindesalter kommt die G. gar nicht vor, bei Frauen ist sie weit seltener als bei Männern. Sie befällt nicht leicht jemand vor dem 30.–35. Lebensjahr und gilt mit Recht für eine Krankheit der wohlhabenden Stände. Sie befällt vorzugsweise solche Personen, welche übermäßig reichliche Mahlzeiten lieben, dem Wein- und Biergenuß huldigen und sich dabei wenig Bewegung machen. Ein Gichtanfall tritt wahrscheinlich dann ein, wenn die im Blut angehäufte Harnsäure nicht genügend vollständig durch den Harn ausgeschieden wird. Die Ursache der ungenügenden Ausscheidung scheint darin zu liegen, daß die Harnkanälchen der Nierenpyramiden mit harnsauren Niederschlägen verstopft sind. Die Harnsäure wird unter solchen Umständen an gewissen Orten des Körpers, vorzugsweise in den Gelenken der Zehen (Podagra), aber auch in andern Gelenken, wie bei der G. der Finger (Chiragra), im Ohrknorpel etc., abgelagert. Bevor ein Anfall eintritt, fühlen sich die Kranken schon abgespannt; ihr Schlaf ist unruhig, ihre Verdauung gestört, der Appetit vermindert; sie klagen über Beengung, schwitzen stark und sondern einen spärlichen, konzentrierten Harn ab. Der Anfall selbst stellt sich trotzdem unerwartet und plötzlich, meist um Mitternacht, mit heftigen bohrenden und brennenden Schmerzen in dem Gelenk der großen Zehe ein. Die Schmerzen erreichen bald eine fast unerträgliche Höhe. Die Haut über dem Gelenk rötet sich und ist etwas geschwollen, es tritt Fieber hinzu. Gegen Morgen macht sich ein starker Nachlaß der Schmerzen bemerklich. In der nächsten Nacht erfolgt ein neuer, gleich heftiger oder etwas schwächerer Anfall, und so wechseln erträgliche Tage mit schlechten Nächten ab, bis etwa nach Ablauf einer Woche der Kranke von seinen Schmerzen befreit ist. Der Patient fühlt sich nun sehr erleichtert und wohler als vor dem ersten Anfall. Nach Monaten oder erst nach Jahren tritt gewöhnlich die Krankheit von neuem in der gleichen Art hervor, die Anfälle folgen mit der Zeit schneller aufeinander; aber die kürzern freien Zwischenzeiten sind nicht mehr Perioden vollkommenen Wohlbefindens, sondern es bleiben leichte Schmerzen und eine gewisse Unbehaglichkeit für immer zurück. Es geht also mit der Zeit die akute G. in die chronische G. über.
Als chronische (irreguläre oder atonische) pflegt man diejenigen Fälle zu bezeichnen, bei welchen den Anfällen längere Zeit hindurch Vorboten, namentlich in Gestalt von Verdauungsbeschwerden, vorausgehen, bei welchen die Anfälle selbst weniger schmerzhaft und nur mit geringem Fieber verbunden, dafür aber anhaltender sind, wochen- und monatelang dauern, wobei nicht bloß die Zehen-, sondern auch andre Gelenke gleichzeitig oder eins nach dem andern ergriffen werden. Gerade bei der chronischen G. kommt [329] die massenhafte Ablagerung von harnsauren Salzen in den Gelenken vor, welche manchmal selbst die Haut als steinartige Bildungen (tophi) durchbohren. Das kranke Gelenk geht bei der chronischen G. nach einem Anfall nicht ganz in den Normalzustand zurück; es bleiben harte Stellen, Gichtknoten, Verkrümmungen etc. zurück. Die Gelenke bleiben schließlich fast anhaltend schmerzhaft, schwer beweglich und mißgestaltet. Die Kranken können nicht mehr gehen und sich ihrer Glieder frei bedienen. Hierzu gesellt sich ein andauerndes allgemeines Siechtum. Die Kranken magern ab, die Verdauung ist schwer gestört, es tritt ein hoher Grad von Reizbarkeit und Verstimmung auf. Der Verlauf der G. ist sehr langsam und heimtückisch. Der Ausgang in dauernde Genesung ist im ganzen selten, wahrscheinlich deshalb, weil die Kranken sich nicht eher zu einer gründlichen Änderung ihrer Lebensweise entschließen, als bis die Krankheit fest eingewurzelt ist. Auch der Tod ist ein seltener Ausgang der G.; die meisten Gichtkranken sterben an andern Krankheiten, von welchen sie zufällig betroffen werden. Die Behandlung der G. muß die Regelung der Lebensweise vorzugsweise in das Auge fassen. Der zur G. Geneigte muß eine strenge, ganz mäßige Diät führen, sich bei seinen Mahlzeiten vorzugsweise an vegetabilische Substanzen, Suppe, Obst, Gemüse u. dgl. halten, während der Fleischgenuß einzuschränken ist und nur einmal täglich gestattet werden darf. Wein und Bier wird der Kranke am besten gänzlich vermeiden, auch vom Kaffee und Thee soll er sich fern halten. Dagegen soll der Patient sich viel in der freien Luft bewegen, angemessene körperliche Leistungen verrichten und fleißig Wasser trinken. Gewisse Brunnenkuren, wie Vichy, Karlsbad, Marienbad, Kissingen, Homburg etc., stehen in großem Ruf als Heilmittel gegen die G. In den spätern Stadien der Krankheit leisten die warmen Bäder von Wildbad, Gastein, Teplitz, Pfäfers etc. vorzügliche Dienste. Spezifische Heilmittel gegen die G. gibt es wohl nicht; das Colchicum hat allerdings lange dafür gegolten. Eine Behandlung des Gichtanfalls durch entzündungswidrige Mittel, wie Blutentziehungen, Kälte, starke Laxanzen u. dgl., pflegt eher schädlich als nützlich zu wirken. Dagegen dürfen die narkotischen Mittel zur Verminderung der Schmerzen, z. B. subkutane Einspritzungen einer Morphiumlösung, in ausgedehnte Anwendung gezogen werden.