MKL1888:Gewißheit
[305] Gewißheit, die auf das Wissen sich stützende Überzeugung. Das Wissen nämlich involviert eine Erkenntnis, an deren Richtigkeit und Wahrheit weder der Wissende selbst zweifelt, noch andre zweifeln sollen. In diesem Sinn verbindet man die Ausdrücke G. und Wahrheit häufig miteinander, obwohl das, was jemand als gewiß gilt, nicht auch immer an sich wahr ist. Daher unterscheidet man mit Recht objektive und subjektive G. Jene beruht auf objektiven, d. h. durch die Gesetze des Erkennens gegebenen, diese auf subjektiven, d. h. in der intellektuellen Befähigung des Subjekts beruhenden, Gründen. Die subjektive G. heißt auch die moralische, welche mehr als bloße Wahrscheinlichkeit ist und deshalb auch Zuversicht genannt wird, weil man sich beim Handeln mit vollem Vertrauen darauf verläßt. Ferner teilt man die G. ein in die unmittelbare und mittelbare. Jene findet statt, wenn ein Satz durch sich selbst gewiß ist oder sich auf unleugbare Thatsachen gründet, diese dagegen, wenn man andre Sätze zu Hilfe nehmen muß, um über die Wahrheit eines gegebenen Satzes ins klare zu kommen, wenn man also des Beweises (Schlusses) dazu bedarf. Der G. steht die Ungewißheit entgegen. Das subjektiv Ungewisse aber muß an sich nicht auch falsch sein; es ist vielmehr nur zweifelhaft, weil keine zureichenden Gründe dafür vorliegenden oder solche auch für das Gegenteil beigebracht werden können. Die Ungewißheit gestaltet sich zur Wahrscheinlichkeit oder zur Unwahrscheinlichkeit, je nachdem das Übergewicht der Gründe sich zur Bejahung oder Verneinung eines Satzes hinneigt. Die Beantwortung der Frage, welches die Grenzen der objektiven G. seien, ist von jeher das Problem aller wissenschaftlichen Forschung und Untersuchung gewesen. Vgl. Windelband, Über die G. der Erkenntnis (Berl. 1873).