Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Gesinde“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 7 (1887), Seite 245
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Gesinde. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 7, Seite 245. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Gesinde (Version vom 01.02.2024)

[245] Gesinde (Miet- oder Dienstgesinde, Dienstboten, Domestiken, Dienerschaft, im mittelalterlichen Latein gasindi, wovon unser G. herzuleiten, oder valeti), diejenigen Personen, welche sich zur Verrichtung der niedern, in der Haus- und Feldwirtschaft vorkommenden Geschäfte und Arbeiten gegen Verabreichung von Lohn und Kost vertragsmäßig anheischig gemacht haben. Je nachdem das G. zu häuslichen oder zu landwirtschaftlichen Dienstleistungen verwendet wird, unterscheidet man zwischen Haus- und Hofgesinde, welch letzterer Ausdruck früherhin auch die Dienerschaft eines fürstlichen Hauses bezeichnete. Durch die Art und Weise der Dienstleistungen unterscheidet das G. sich von sonstigen Hausgenossen (Privatsekretären, Hofmeistern, Verwaltern, Gouvernanten etc.). Bei den Griechen und Römern war der Stand der Dienstboten als freier Menschen ganz unbekannt, da Sklaven deren Stelle vertraten. Auch bei den Germanen war in den frühsten Zeiten von G. im heutigen Sinne nicht die Rede. Erst später bildete sich das Leibeigenschaftsverhältnis aus, das jedoch anfangs nicht bloß zu haus- und landwirtschaftlichen Verrichtungen, sondern auch zu manchen Arten der eigentlich handwerksmäßigen Thätigkeit verpflichtete und erst durch das Emporkommen der städtischen Industrie auf den eigentlichen Zwangsdienst (s. Fronen) beschränkt wurde. Das Gesindeverhältnis wird heutzutage durch einen besondern Vertrag (Gesindevertrag) begründet. Kinder, die noch unter elterlicher Gewalt stehen, können sich nur mit Zustimmung des Vaters, bezüglich der Mutter, minderjährige Waisen und überhaupt unter Vormundschaft stehende Personen nur mit Genehmigung des Vormundes und Ehefrauen nur unter Bewilligung ihrer Ehemänner vermieten. In der Regel wird der Gesindevertrag mündlich abgeschlossen und an manchen Orten dem Dienstboten ein Dienstgeld (Ding-, Miet-, Haftgeld) eingehändigt. Durch den Dienstvertrag übernimmt der Dienstbote die Verpflichtung, alle häuslichen und, falls er für die Feldwirtschaft gemietet ist, auch alle hierzu gehörigen erlaubten Geschäfte nach Anordnung der Dienstherrschaft mit Fleiß und Aufmerksamkeit zu verrichten und dieser Gehorsam und Achtung zu beweisen. Die Dienstherrschaft dagegen ist verpflichtet, dem Dienstboten Lohn und Kost nach Maßgabe der Verabredung und in Ermangelung dieser letztern nach den Ortsgewohnheiten zu verabreichen, demselben nur gesetzlich erlaubte und die Gesundheit nicht gefährdende Verrichtungen anzusinnen und ihn auf keine Weise zu mißhandeln sowie auch ihm den im Dienst ohne seine Schuld erlittenen Schaden zu vergüten, auch, wenn er sich aus Veranlassung des Dienstes eine Krankheit zugezogen, den Dienstboten warten und heilen zu lassen. Das Dienstverhältnis wird außer durch Kündigung und Zeitablauf namentlich aufgelöst durch den Tod des Gesindes, in besondern Fällen auch durch den des Dienstherrn, durch leibes- und lebensgefährliche Mißhandlungen seitens des letztern, durch andauernde Krankheit des Gesindes, durch fortgesetzte grobe Nachlässigkeit desselben, durch Vermögensverfall der Herrschaft, durch außereheliche Schwangerschaft weiblicher Dienstboten, durch Ungehorsam und Widerspenstigkeit des Gesindes, dadurch, daß dasselbe auf längere Zeit in eine strafrechtliche Untersuchung und Haft gezogen wird, und wegen Unredlichkeit des Gesindes der Herrschaft gegenüber. Der Gesindelohn (Lidlohn) gehört zu den im Konkurs bevorzugten Forderungen und zwar nach der deutschen Konkursordnung (§ 54) auf das letzte Jahr vor der Konkurseröffnung. In den meisten deutschen Staaten bestehen entweder allgemeine, das Gesindewesen im Bereich des ganzen Landes regelnde, oder besondere, nur für einzelne Bezirke oder Städte gültige Anordnungen, Gesindeordnungen genannt; auch sind vielfach Gesindezeugnisbücher eingeführt, die bei der Ortspolizei hinterlegt werden, und in welche die Dienstherrschaft abgehenden Dienstboten ihr Zeugnis einträgt. Streitigkeiten zwischen G. und Dienstherrschaft während bestehenden Dienstverhältnisses werden regelmäßig durch die zuständige Polizeibehörde geschlichtet. Die vielfachen Klagen über die Verschlechterung des Gesindes haben in mehreren Städten Dienstbotenverbesserungsvereine, Frauenvereine, Asyle u. dgl. ins Leben gerufen, welche sich die materielle und geistige Hebung und Besserung des Gesindes zum Zweck setzen und als Mittel zu dessen Erreichung Prämienverteilung, öffentliche Belobung und eine angemessene Aufsicht über die sittliche Aufführung der Dienstboten anwenden. Gesindevermieter, d. h. Personen, welche das Geschäft des Gesindevermietens gewerbsmäßig betreiben, haben die Eröffnung des Gewerbebetriebs der zuständigen Behörde anzuzeigen. Nach der deutschen Gewerbeordnung (§ 35) kann ihnen die Ausübung dieses Gewerbebetriebs untersagt werden, wenn Thatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Gewerbtreibenden darthun. Vgl. v. d. Goltz, Die soziale Bedeutung des Gesindewesens (Danz. 1873); Dennstedt, Herrschaft und G. (9. Aufl., Berl. 1876); Eggert, Die Gesindeordnungen preußischer Gesetzgebung (4. Aufl., Bresl. 1877).